Edgar Müller Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Der Esslinger Automobilzulieferer Eberspächer will guten Einfällen systematisch auf die Sprünge helfen. Eine junge Abteilung sucht nach Innovationen im Haus und bei Start-ups.

EsslingenDer Weg zu Edgar Müllers Abteilung führt durch graue, etwas in die Jahre gekommene Flure, der Blick aus dem Fenster geht auf einen klassischen Anlieferungsbereich für die Produktion von Fahrzeugheizungen im Esslinger Werk 3 von Eberspächer. Doch das Büro von „Next Shed“ – so heißt die zehnköpfige Gruppe von Müller – hebt sich von seiner Umgebung ab: Neben den PC-Arbeitsplätzen für Einzelne gibt es auch diverse Arbeitsmöglichkeiten für Gruppen, viele bunte Klebezettel an weißen Sideboards, modische Palettenbänke und einen großen Bildschirm für Präsentationen. Die Mitarbeiter und ihre Gäste bräuchten eine kreativere Umgebung, um „neue Gedanken fassen zu können“, sagt Edgar Müller. Schließlich hat „Next Shed“ die Aufgabe, neue Geschäftsfelder für Eberspächer zu entwickeln.

Suche nach dem neuen Sheddach

Zwar ist bei Eberspächer im Gegensatz zu manch anderem mittelständischen Unternehmen im Kreis Esslingen keine Kurzarbeit angemeldet worden. Doch bei dem Zulieferer der Automobilindustrie, der ein Gros seines Umsatzes mit Abgastechnik macht, drohen im zweiten Halbjahr 2019 der Konjunkturabschwung und die Krise der Automobilwirtschaft ebenfalls empfindlicher aufs Geschäft zu drücken, wie Heinrich Baumann, geschäftsführender Gesellschafter, im Oktober im Gespräch mit unserer Zeitung durchblicken ließ – daran habe sich seither nichts geändert, sagt nun Pressesprecherin Anja Kaufer. Bislang beliefern alle Geschäftsfelder der Eberspächer-Gruppe die Automobilindustrie. Doch das könnte sich künftig ändern: Die Abteilung Next Shed, die Edgar Müller seit eineinhalb Jahren aufbaut, hat explizit den Auftrag, sich auch mit Ideen jenseits des Automotive-Bereichs zu beschäftigen, die mit dem bisherigen Portfolio von Eberspächer verzahnt sind. Dass dahinter womöglich die Erkenntnis steht, dass Eberspächer sich angesichts der Automobilkrise breiter aufstellen und in andere Branchen vorrücken muss, wollen Kaufer und Müller so allerdings nicht bestätigen. Es könne ebenso sein, dass sich die künftig durch „Next Shed“ erschlossenen Business-Units im Automotive-Bereich befänden, meint der 46 Jahre alte Abteilungsleiter.

So oder so: Mit „Next Shed“ werden offenbar große Hoffnungen verbunden. Der Name ist, wie Edgar Müller erklärt, vom Sheddach abgeleitet, dem Erfolgsprodukt, auf dem Flaschnermeister Jakob Eberspächer einst das Unternehmen begründete (siehe Infokasten). Die Abteilung soll also den nächsten Verkaufsschlager finden. „Es geht nicht um kleine Ideen, sondern ein Business, dass man in der Geschäftsbilanz auch bemerkt“, sagt Müller. Dafür hat er sich keine Entwickler aus der Branche ins Team geholt, sondern Menschen mit ganz unterschiedlichen Vorerfahrungen. Was sie eint: Mehr als die Hälfte hätten bereits selbst gegründet, so Müller, der Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurwesen studiert hat. Sein Team sucht in sechs Feldern nach Innovationen: Heizen und Kühlen, intelligente Akustiksysteme, Anwendungen zur Verbesserung der Luft- und Wasserqualität, mobile Energiespeicher, autonome Systeme abseits der Automobilindustrie und Mobilitätslösungen.

Das Team will Start-ups finden, die vom Know-how und den Produktideen her zu Eberspächer passen könnten. Zu diesem Zweck ist Eberspächer kürzlich Kooperationspartner der Stuttgarter Start-up-Autobahn geworden, eine Plattform, die etablierte Unternehmen und Gründer vernetzt. Auf der anderen Seite sucht „Next Shed“ nach Ideen im eigenen Unternehmen. Dazu können Mitarbeiter auf Ausschreibungen reagieren oder mit eigenen Einfällen an die Abteilung herantreten. Drei Mal im Jahr findet ein sogenanntes „Innovation Council“ statt, zu dem die Mitarbeiter sowie Start-ups ihre Ideen in Kurzpräsentationen der Firmenspitze vorstellen können, die dann entscheidet, ob diese weiterverfolgt werden oder nicht. Das Next-Shed-Team unterstützt die Teilnehmer bei der Ausarbeitung der Idee. Es prüft auch intensiv, ob es dafür überhaupt einen Markt gibt, indem es mit potenziellen Kunden spricht: „Viele Entwickler fangen mit der technischen Umsetzung an und wissen nicht, ob sie sie verkaufen können. Wir drehen das um.“

Entwicklung systematisch

Derzeit gebe es 35 Ideen, die der Geschäftsführung erstmals vorgestellt werden sollen, sagt Müller. Drei weitere seien schon eine Stufe weiter. Um was es dabei geht, will er aber nicht verraten. Bis dato ist nur eine Kooperation öffentlich, die „Next Shed“ in die Wege geleitet hat: Eberspächer hat 2018 an Pace Telematics einen Geschäftsanteil von mehr als 20 Prozent erworben. Das Karlsruher Start-up bietet Technik an, um Autos auf einfache Weise zu Smartcars zu machen, die beispielsweise in Echtzeit die Verbrauchsdaten des Autos ans Smartphone senden. Das Know-how von Pace soll die Vernetzung von Eberspächer-Komponenten untereinander und mit anderen Funktionen im Fahrzeug ermöglichen. Mehr zum gemeinsamen Projekt gibt Eberspächer nicht preis.

Es gebe weiterhin die Entwicklungsabteilungen in den bestehenden Unternehmenssparten, in die investiert werde, betont Pressesprecherin Kaufer. Eberspächer ist selbstbewusst ob der eigenen Innovationskraft. „Unser Unternehmen hat ein Innovationsgen und sich immer wieder in seiner Geschichte neu erfunden“, sagt sie und verweist auf die Beheizungssysteme für elektrische Autos, die Eberspächer seit 2011 anbietet – lange vor der Dieselkrise und „Next Shed“ – womit die Esslinger mittlerweile Weltmarktführer seien. Man habe in den vergangenen Jahren mehrere neue Business-Units entwickelt, aber nicht systematisch, sondern mehr zufällig, erklärt Müller die Beweggründe, seine Abteilung aufzubauen. An ihm und seinen Mitarbeitern sei es nun, „dem Glück eine Chance zu geben“. Diese offene Herangehensweise werde am Ende des Tages zum Erfolg führen, ist er sich sicher – während es jeder, der der nicht gezielt links und rechts schaut, schwer haben werde.