Im Plochinger Kletterwald lernen deutsche und polnische Schüler und Lehrer, einander in Extremsituationen zu vertrauen. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Schüler der Kennedy-Schule in Esslingen und des Wirtschafts-Lyzeums in der Partnerstadt Piotrków Trybunalski begegnen sich seit zehn Jahren. Der Austausch ist lebendig wie eh und je.

Kreis Esslingen Viele kleine und größere Schritte gegen das Vergessen gehen deutsche und polnische Schüler aus Esslingen und der Partnerstadt Piotrków Trybunalski. Seit zehn Jahren pflegen die Kennedy-Schule und das Wirtschafts-Lyzeum Piotrków einen regen Austausch. Dieses Jahr waren zwölf polnische Schüler an der Esslinger Partnerschule zu Gast. „Wir legen nicht nur Wert auf persönliche Kontakte und auf gemeinsames Erleben“, sagt Heidi Mößner. „Ziel ist es, mit den Schülerinnen und Schülern die gemeinsame Geschichte aufzuarbeiten.“ Aufgebaut hat ihre Vorgängerin Beate Thalmann den Austausch zwischen den beiden Nachbarländern. Besonders eindrücklich war für die Jugendlichen der Besuch in der Zentralen Stelle zur Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg.

„Wir haben über konkrete Fälle gesprochen“, erzählt Isabel. Die 17-Jährige beeindruckt die gründliche Arbeit der Juristen an der Forschungsstelle sehr. Aus ihrer Sicht ist es wichtig, die Verbrechen aufzuarbeiten, solange Opfer und Täter noch am Leben sind. Die konkreten Fälle haben die Geschichte für Jeannette (19) noch greifbarer gemacht, als es historische Fakten könnten. Besonders interessant fand die Wirtschafts-Gymnasiastin die Frage, ob und wie die Wärter in den Konzentrationslagern zu bestrafen sind. Die Mehrheit der Schüler ist zu dem Schluss gekommen, dass ihre Schuld nicht von der Hand zu weisen ist, darüber hat die Gruppe allerdings heftig diskutiert. Oberstudienrätin Mößner freut sich über das große Interesse der Elft- bis Dreizehntklässler an der gemeinsamen Historie. „Wenn wir die Geschichte nicht vergessen, sorgen wir dafür, dass sich dieses dunkle Kapitel nicht wiederholt.“

„Sich der Geschichte stellen“

Das sieht auch ihr polnischer Kollege Piotr Bereska so. Ihm ist es wichtig, mit den Gymnasiasten das Konzentrationslager in Auschwitz-Birkenau zu besuchen. „Sich der Geschichte stellen“ ist dem Geschichtslehrer ein großes Anliegen. „Die Besichtigung des Museums konfrontiert die Schülerinnen und Schüler mit der Wirklichkeit, die nicht leicht zu verkraften ist“, sagt Bereska. „Aber das ist für uns alle wichtig, damit wirkliche Versöhnung möglich wird.“ Ebenso lenkt Bereska, der auch Sozialkunde unterrichtet, den Blick auf die aktuelle Politik. „Wir müssen Vorurteile abbauen, damit die EU Wirklichkeit wird.“ Die Politik des Nachbarlands Deutschland sei bei ihnen im Unterricht Thema. Deshalb ist der Pädagoge sehr glücklich über den Austausch, der seinen Schülern neue Horizonte eröffne. Die europäische Politik war unterdessen Thema beim Besuch im Europäischen Parlament. Neben einer Führung durfte die Gruppe dort auch in eine Sitzung hineinschnuppern, um mehr über die Strukturen innerhalb der EU zu erfahren.

„Wenn wir uns treffen, haben wir andere Themen“, sagt Simon und lacht. Er und seine Familie genießen den Austausch mit dem Gast aus Polen sehr. Da werde über Bands geplaudert, über das Shoppen oder über persönliche Dinge. „Unsere Schüler sprechen Deutsch, aber das läuft bei manchen nicht so flüssig“, sagt der Deutschlehrer Igor Nowików. Deshalb ist beim gemeinsamen Ausflug in den Plochinger Kletterwald vorwiegend die englische Sprache zu hören. Für den begeisterten Kletterer Nowików ist es eine sehr gute Idee, gemeinsam Sport zu machen und die Wipfel-Parcours unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade zu entdecken. An Karabinern und Seilen bestens gesichert, klettern die Jugendlichen mit ihren Lehrern gemeinsam in den Bäumen – und der polnische Deutsch-Lehrer ist überzeugt: „Es ist schön, ganz ohne Worte zu erfahren, dass man einander vertrauen kann.“

Trotz aller Gemeinsamkeiten haben die Schülerinnen und Schüler auch Unterschiede ausgemacht. „Mein Gastvater in Polen hat einen Bauernhof“, erzählt Jeannette. Die Gegend um Esslingens Partnerstadt Piotrków sei viel landwirtschaftlicher geprägt. Einige Schüler, die schon in Polen waren, wundern sich, dass in dem osteuropäischen Land viel seltener gefrühstückt wird als in Deutschland. Während in Polen etliche Schüler Deutsch als zweite Fremdsprache lernen und Praktika in Unternehmen im Nachbarland sehr gefragt sind, gibt es in Deutschland kam Jugendliche, die Polnisch lernen.

Kontakt soll bestehen bleiben

Die 18-jährige Karolina aus Piotrków Trybunalski hat indes beim Fernsehen die deutsche Sprache besser zu verstehen gelernt. Neben politischen Sendungen hat sie auch eine Serie angeschaut. „Die sprechen ziemlich schnell, aber es ist eine gute Übung.“ Der polnischen Wirtschaftsgymnasiastin ist es wichtig, dass der Kontakt auch über die gegenseitigen Besuche hinaus bestehen bleibt. „Wir kommunizieren über Facebook und andere Kanäle, das geht ja inzwischen ganz leicht“ – und 2019 steht dann wieder ein Gegenbesuch der deutschen Schüler auf dem Plan.