Quelle: Unbekannt

Von Pfarrer Bernhard Ascher, Plochingen

Neben der Ampel im Plochinger Stadtteil Stumpenhof steht ein Kreuz. Darauf steht der Name eines Mannes. Das Zeichen und die Symbolkraft verstehen wir sofort. An dieser Stelle verstarb der Mann durch einen tragischen Verkehrsunfall. Für die Angehörigen war sein Tod gewiss ein schwerer Schicksalsschlag. Vieles sind sie „losgeworden“: sprachlos, hilflos, fassungslos. Der Mann und Vater geht außer Haus und kommt nicht mehr zurück. Der verhängnisvolle Unfall lässt sich gar nicht genau in Worte ausdrücken und fassen. Die Emotionen empfinden Trauer und Schmerz, der Verstand ringt um Worte. Wir geraten an Grenzen des Verstehens, und auf die Frage nach dem „Warum“ finden wir keine Antwort. Und doch gilt es, diesem Geschehen einen Ausdruck zu geben. Eben dafür steht das Kreuz. Für die unbegreiflichen Schicksalsschläge, die Menschen erleiden müssen, für die unbegreiflichen Taten, die Menschen einander antun, für das, was uns ohnmächtig und hilflos werden lässt, für das, was Menschen erniedrigt und ihre Würde raubt.

Tagtäglich begegnet uns dieses „Kreuz“. Wir müssen nur aufmerksam unsere Augen öffnen und die täglichen Nachrichten hören. Christen verbinden das Kreuz mit dem Schicksal Jesu von Nazareth. Menschlich gesehen ist er ein Opfer politischer und religiöser Intrigen und eines Schauprozesses, die Folter, Schmährufe und ein ungerechtes Todesurteil zur Folge hatten. Einsam und verlassen starb er mit dem Ruf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Mit ihm können sich Menschen identifizieren, deren Leben sich schicksalhaft gefügt hat und die ohnmächtig und verlassen dastehen.

Li

cht und B

lu

men

al

s Leben

szeichen

Das Kreuz ist aber noch mehr als ein Abbild schicksalhafter Taten und Ereignisse. Es gibt in uns eine Sehnsucht, die nach Überwindung des „Kreuzes“ geradezu schreit. Neben dem Straßenkreuz auf dem Stumpenhof sehe ich immer Blumen und eine brennende Kerze. Licht und Blumen sind Zeichen des Lebens. Gerade am Ort des tragischen Unglücks. Den Angehörigen ist es wichtig, die Erinnerung an den Verunglückten aufrechtzuerhalten. Vor kurzem bin ich auf einen bemerkenswerten Spruch gestoßen: „Der Tod kann uns von dem Menschen trennen, der zu uns gehörte, aber er kann uns nicht das nehmen, was uns mit diesem Menschen verbindet.“ Dafür steht das Kreuz mit den Blumen und der brennenden Kerze. Ein Mensch kann Lebensspuren hinterlassen, die auch der Tod nicht zerstören kann.

In dieser Woche haben Christen das Fest Kreuzerhöhung gefeiert. Es erinnert an ein Ereignis in Jerusalem im Jahr 335. Kaiserin Helena ließ auf dem Kalvarienberg den Schutt der Geschichte wegräumen. Dabei wurde der Kreuzesbalken Jesu gefunden. Am 14. September konnte dann der Bischof von Jerusalem dieses Kreuz in der neu errichteten Grabeskirche zur Verehrung zeigen, indem er das Kreuz hochhielt. Das war nämlich die gläubige Erfahrung der ersten Christen: Der Kreuzestod Jesu, den sie erst einmal nicht verstanden, konnte ihnen nicht das nehmen, was sie mit ihm verbanden. Ja mehr noch: Er hinterließ so nachhaltige, intensive und lebendige Spuren, dass sie glauben konnten: Er lebt. Seine Worte und Taten sind bis heute Gegenwart. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Dann animiert uns das Kreuz, dort solidarisch Zeichen des Lebens zu setzen, wo Menschen von Schicksalen gebeutelt und getroffen sind. Dann lassen sich auch dort Lebensspuren finden, wo wir es nicht vermuten.