27.7.2017 Das Kino auf der Burg ist mit der KSK Band in die neue Saison gestartet.

 Foto: Hauenschild

Kaum zu glauben, aber wahr: Als eines der letzten Länder in Europa hat die Schweiz das Wahlrecht für Frauen erst 1971 eingeführt. All jenen beherzten Frauen, die sich damals gegen mannigfache Widerstände für Gleichberechtigung engagiert hatten, setzt die Schweizer Filmemacherin Petra Volpe in ihrer Komödie „Die göttliche Ordnung“, die ab 3. August in den deutschen Kinos zu sehen ist, ein Denkmal. Beim Open-Air-Kino auf der Esslinger Burg ist dieser vorzügliche Streifen bereits am Samstag, 29. Juli, in einer Vorpremiere zu sehen. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt die Regisseurin, die sich mit Hauptdarstellerin Marie Leuenberger auf der Burg angesagt hat, warum ihr diese Produktion so wichtig ist.

1971 mussten die Schweizer Frauen hart um ihr Wahlrecht kämpfen - heute ist das für uns ganz selbstverständlich. Was hat Sie für dieses Thema eingenommen?

Volpe: Ganz so selbstverständlich ist die Gleichberechtigung der Frauen leider auch heute noch nicht. Wir dürfen wählen, aber es gibt noch vieles, worin Frauen in der Gesellschaft benachteiligt werden - denken Sie nur an die Lohngleichheit. Von Weitem sieht alles schon ganz gut aus, doch wenn man näherkommt, erkennt man rasch, dass noch einige Arbeit vor uns liegt. Frauengeschichten und Gleichberechtigung haben mich schon immer umgetrieben. Als wir dieses Projekt vor fünf Jahren begonnen haben, konnten wir jedoch nicht ahnen, wie aktuell dieses Thema wieder werden würde. Denken Sie nur an den Rechtsruck in Europa und daran, dass die USA einen Präsidenten haben, der sich derart offen sexistisch äußert. Das hat die Frauenbewegung wieder sehr befeuert und den Film aktueller gemacht, als uns lieb sein konnte.

Wird dieser Eindruck auch bestätigt, wenn Sie derzeit mit Ihrem Film auf Tour sind?

Volpe: Ganz deutlich. Und was uns besonders freut: Der Film spricht nicht nur Frauen, sondern auch viele Männer an, weil er bewusst keine simple Schwarz-Weiß-Perspektive einnimmt. Es gibt ein starkes Bewusstsein dafür, dass Frauen bis 1971 in der Schweiz wie unmündige Kinder behandelt wurden und dass etwas davon auch heute noch übrig ist. Dass man darüber heute wieder offen spricht, freut mich. Wenn ich vor 20 Jahren gesagt habe, dass Frauen weiter für ihre Rechte kämpfen müssen, meinten viele, es sei doch schon alles erreicht. Viele fanden, dass es extrem unsexy sei, Feministin zu sein. Inzwischen gibt es wieder ein viel stärkeres Bewusstsein dafür, dass noch einiges zu tun ist. Es reicht nicht, Gesetze zu verabschieden - ihr Geist muss sich auch in unserem Alltag vollends durchsetzen.

Sie haben mit vielen Frauen gesprochen, die damals für ihr Recht gekämpft haben. Denen setzen Sie ein Denkmal. Spürt man ein stärkeres Verantwortungsgefühl, den Frauen, die man im Hinterkopf hat, gerecht werden zu müssen?

Volpe: Das hatte ich definitiv, und ich musste mich anfangs ein bisschen zwingen, solche Gedanken abzuschütteln, weil es mich gelähmt hätte, immer nur daran zu denken, dass ich im Sinne dieser couragierten Frauen alles richtig machen muss. Aber der Wunsch, einen Film zu drehen, der diesen Frauen gerecht wird und der ihrem Kampf den nötigen Respekt zollt, hat mich durch das ganze Projekt getragen, zumal mir das Thema sehr am Herzen liegt.

Vordergründig geht es Ihnen zwar um die Frauenrechte, bei näherem Hinsehen machen Sie uns aber auch bewusst, dass wir insgesamt sorgsamer mit unseren Freiheitsrechten umgehen müssen ...

Volpe: Dieser Film ist definitiv auch ein Plädoyer für Zivilcourage und für die Demokratie. Unsere Gesellschaft ist in einem stetem Wandel, und man sollte sich hüten vor der Vorstellung, dass die Demokratie irgendwann erreicht ist und dass man sich dann bequem im Sessel zurücklehnen darf. Jeden Tag muss man sich dafür entscheiden, unsere demokratischen Rechte wahrzunehmen und dafür einzustehen. Wenn man sich anschaut, wie heute gewählt oder eher nicht gewählt wird, hat man den Eindruck, dass sich eine gewisse Faulheit eingeschlichen hat. So überlässt man das Feld den undemokratischen Kräften, und das ist ganz gefährlich.

Wer ein Filmprojekt realisieren möchte, braucht nicht nur einen guten Stoff, sondern auch das nötige Geld. War’s schwierig, „Die göttliche Ordnung“ zu finanzieren?

Volpe: Bei manchen Projekten ist das wirklich nicht ganz einfach - in diesem Fall war’s erfreulicherweise kein Problem. Ich hatte eher den Eindruck, dass viele nur darauf gewartet haben, dass endlich jemand einen Film über dieses Thema macht. Das ist so peinlich für die Schweiz, dass viele fanden, dass man endlich mal wieder daran erinnern muss. Ich hatte das Gefühl, dass es in den Film-Förder-Jurys eher ein Erstaunen gab, dass es so lange gedauert hat, bis der lange Weg der Schweiz zum Frauenwahlrecht endlich im Kino thematisiert wurde.

Die Schweiz sieht sich gern als Vorbild in Sachen Demokratie und verweist zum Beispiel darauf, dass das Volk oft entscheiden darf ...

Volpe: Genau das war bei diesem Thema ein Problem: Man hat das Volk entscheiden lassen, was bedeutet hat, dass nur Männer abstimmen durften. Hinterher hat sich die Politik darauf berufen, dass es der Wunsch des Volks gewesen sei, das Frauenwahlrecht erst so spät einzuführen. Dabei ist jedem klar: Wenn sich die Politiker dafür eingesetzt hätten, wären die Frauen viel früher zu ihrem Recht gekommen.

Trotz allem wirkt Ihr Film niemals verbiestert, sondern schlägt einen leichten, oft sogar humorvollen Ton an. Hätten Sie die Geschichte auch anders erzählen können?

Volpe: Natürlich, aber das hätte nicht zu meinem Anspruch gepasst. Ich wollte nicht die Männer an den Pranger stellen, sondern zeigen, dass auch sie Gefangene solcher Konventionen sind. Und mir war an einer positiven Message gelegen. Wenn man sich die aktuelle Situation in der Welt anschaut, fehlt es oft an der nötigen Ermutigung. Wir brauchen eine positive Utopie. Gerade im Augenblick muss man von solchen Helden des Alltags erzählen, die aufgestanden sind, die gekämpft haben für das, was ihnen wichtig war, und die damit etwas erreicht haben. Jeder kann jeden Tag an seinem Platz und mit seinen Möglichkeiten etwas dafür tun, dass unsere Welt ein bisschen besser und gerechter und freiheitlicher wird. Jeder kann verstehen, dass das Private politisch ist. Viele habenim Moment ein gewisses Ohnmachtsgefühl. Wenn man sich solche Geschichten anschaut, sieht man, dass der Mensch durchaus etwas ausrichten kann. Das will ich vor allem jüngeren Zuschauern mitgeben.

Interview: Alexander Maier

Wissenswertes Zum Film und seiner Macherin

Die Regisseurin: Die Schweizerin Petra Volpe hat an der Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg studiert und arbeitet seit ihrem Diplomabschluss 2003 als Drehbuchautorin und Regisseurin, Schon während ihrer Studienzeit schrieb sie und führte Regie bei etlichen Kurzspielfilmen. Für die Neuverfilmung des Klassikers „Heidi“ schrieb sie das Drehbuch. Petra Volpe lebt in Berlin und New York. Ihr Kinodebüt „Traumland“ kam nach erfolgreicher Festival-Tour 2014 in die Schweizer Kinos und war für vier Schweizer Filmpreise nominiert. „Die göttliche Ordnung“ erhielt drei Schweizer Filmpreise - unter anderem für das beste Drehbuch.

Der Film: Nora (Marie Leuenberger) lebt 1971 als Hausfrau und Mutter mit ihrem Mann, zwei Söhnen und einem missmutigen Schwiegervater in einem beschaulichen Dorf im Appenzell. Dort ist nur wenig von den gesellschaftlichen Umwälzungen der 68er-Bewegung zu spüren. Die Dorf- und Familienordnung gerät ins Wanken, als Nora beginnt, sich für das Frauenwahlrecht einzusetzen, über dessen Einführung die Männer abstimmen sollen. Und sie reißt mit ihrem Engagement auch andere Frauen mit. Gemeinsam kämpfen sie nicht nur für ihre Gleichberechtigung, sondern auch gegen eine verstaubte Sexualmoral - und gegen vielfältige Widerstände.