Kein Platz blieb im Bürgersaal des Alten Rathauses leer, wo die Bürger engagiert über die Zukunft der Esslinger Bücherei diskutierten. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Selten hat ein kommunalpolitisches Thema die Esslinger so intensiv bewegt wie die Zukunft ihrer Stadtbücherei. Nun hat die Stadtverwaltung erstmals die Bürger zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung eingeladen, und der Andrang sprach für sich: Obwohl ständig neue Stühle gebracht wurden, blieb vielen nur ein Stehplatz. Baubürgermeister Wilfried Wallbrecht und Kulturbürgermeister Markus Raab machten sich für einen Neubau zwischen Küferstraße und Kupfergasse stark. Dagegen meldeten sich viele Bürger zu Wort, die gerne eine modernisierte und erweiterte Bibliothek im Bebenhäuser Pfleghof hätten - und die irritiert waren, dass bereits Anfang Oktober eine Standortentscheidung fallen soll, obwohl es noch keine konkretere Planung gibt. „Können Sie bei dieser Sachlage guten Gewissens schon entscheiden?“, fragte Ulrike Gräter.

Unterschiedliche Perspektiven

Raab unterstrich die dringende Notwendigkeit einer Erweiterung und skizzierte die Anforderungen an eine zukunftsfähige Bücherei, die eine Mischung aus Traditionellem und Modernem, Analogem und Digitalem brauche. Eine Bibliothek müsse ein Ort des Lernens, der Begegnung und des Austauschs und eine Anlaufstelle für soziale Belange sein. In einem Neubau an der Küferstraße sieht er die Chance, „einzigartige Synergien“ durch die Nachbarschaft zur Musikschule und einen attraktiven Lesegarten zu schaffen. Wallbrecht sieht im aktuellen Büchereigebäude schlechtere Entwicklungsmöglichkeiten, einen hohen Sanierungsbedarf sowie statische und technische Risiken. Außerdem sei man nicht so flexibel. Einen Umbau des Pfleghofs bei laufendem Betrieb schloss er aus - dann müsse die Bücherei in ein Interimsquartier umziehen. In einem groben Standortvergleich hatte die Verwaltung die vier Varianten mit jeweils 3000 beziehungsweise 3600 Quadratmetern Nutzfläche untersucht - für Wallbrecht kommt nur die größere Lösung in Frage. Damit werde Esslingen „deutlich über dem Landesdurchschnitt liegen“.

Auch wenn sich die Bürgermeister mühten, einen Neubau im besten Licht zu zeigen, konnten sie sich viele unangenehme Nachfragen nicht ersparen. Petra Helmcke beschlich der Verdacht, dass die Stadt die Erweiterung des Pfleghofs mit kritischeren Maßstäben messe als einen Neubau: „Kostenrisiken gibt es nicht nur bei Sanierungen im Bestand.“ Sylvia Greiffenhagen, die Vorsitzende des Fördervereins der Bücherei, fand in Wallbrechts Zahlen manche Ungereimtheiten. Ein Bücherei-Neubau müsse deutlich über 4000 Quadratmeter haben. Kompromisse würden von den Bürgern allenfalls wegen der hohen Identifikation mit dem Pfleghof akzeptiert. Ulrike Gräter fand es „ziemlich sportlich“, bereits Anfang Oktober zu entscheiden, obwohl es nur sehr grobe Vorstellungen über Kosten und Grundrisse gibt. Dass die Verwaltung trotzdem so eindeutig für den Neubau Partei ergreift, mache sie nachdenklich. Um all die neuen Ideen zu verwirklichen, brauche man „ein zehnstöckiges Gebäude“.

Tatsächlich will die Verwaltung einen viergeschossigen Bau zwischen Küferstraße und Kupfergasse. Dass dort der Diakonieladen weichen müsste, beklagte Dietmar Bauer-Sonn. Wallbrecht sagte zu, ein neues Domizil für den Diakonieladen zu finden, das man aber noch nicht habe. Das Tempo, das die Stadt vorlegt, sei „in dieser Phase vertretbar“. Dagegen empfahl Zuhörer Hans Norbert Janowski, zunächst zu prüfen, wo und wie sich ein neues Raumkonzept unterbringen ließe und erst dann eine Standortentscheidung zu treffen. Ein Anwohner der Kupfergasse sah einen vierstöckigen Neubau kritisch. „Das wird bei uns stockdunkel. Ich glaube, dass sich einige wehren werden.“

Zuhörer Wolfgang Kümmerle sprach sich klar für einen Neubau aus: „Wir müssen an künftige Generationen denken. Für die soll etwas Neues entstehen.“ Sibylle Hauser brach eine Lanze für den Pfleghof und betonte dessen besonderes Flair. Petra Helmcke erinnerte an den Jugendgemeinderat, der sich gerade wegen der Atmosphäre für den Pfleghof ausgesprochen hatte. Helmcke hat Zweifel, ob eine Bibliothek, in der viele Besucher Ruhe suchten, direkt neben einer Musikschule richtig untergebracht ist: „Gerade im Sommer müssen Sie klimatisieren oder die Fenster geschlossen halten.“ Von geschlossenen Fenstern rät Ruth Mack vom Förderverein nach den Erfahrungen anderer Bücherei-Neubauten ab: „Das ist im Sommer unerträglich.“

Viele wollten wissen, was bei einem Auszug der Bücherei aus dem Bebenhäuser Pfleghof werden soll. Wallbrecht erklärte, dass man sich darüber noch keine Gedanken gemacht habe. Ein Verkauf sei derzeit nicht im Gespräch, verbindliche Zusagen mochte er auf Nachfrage jedoch nicht machen. Deshalb empfahl Hanne Kretschmer der Stadt: „Wenn Sie in einem Neubau auch nicht mehr als 3600 Quadratmeter schaffen können, bleiben Sie am besten gleich im Pfleghof.“ Für Zuhörer Volker Adams stellte sich nach diesem Abend vor allem eine Frage: „Wie will der Gemeinderat auf dieser dürftigen Grundlage schon Anfang Oktober eine tragfähige Entscheidung treffen?“ Und er schrieb dem Rathaus ins Stammbuch: „Lassen Sie sich Zeit für eine sachgerechte Entscheidung und nehmen Sie die Bürger mit. Es geht um ein Stück Zukunft.“

Wissenswertes zur Esslinger Bücherei

Zahlen: Etwa 1000 Menschen besuchen täglich die Stadtbücherei in der Heugasse. 2016 gab es 935 314 Entleihungen - 51 Prozent mehr als noch im Jahr 2000. Aktuell hält die Bücherei 150 779 Bücher, CDs, DVDs und andere Medien vor.

Standort-Varianten: Vier Lösungen für die Zukunft der Bücherei sind im Gespräch. Ein Umzug ins Blarer-Gemeindehaus und ein Neubau zwischen Kies- und Küferstraße haben kaum mehr Chancen. Ein Neubau zwischen Küferstraße und Kupfergasse und eine Erweiterung und Modernisierung des bisherigen Standorts im Bebenhäuser Pfleghof könnten jeweils 3600 Quadratmeter statt bisher 2100 Nutzfläche bringen.