Erika Hahn steckt ihre Energie und Leidenschaft nun in ihre Hobbys. Foto: Weiß - Weiß

Erika Hahn gut sechs Jahrzehnte damit verbracht, „zu lernen, zu studieren, Lern- und Bildungskontexte zu gestalten und dafür zu sorgen, dass Menschen gut lernen können“.

EsslingenRechnet man ihre Zeit als Schülerin, als Biologie- und Chemie-Studentin, als Lehrerin und Fachberaterin, als Referentin für Naturwissenschaften am Kultusministerium, als Uni-Dozentin für Fachdidaktik und als Leiterin des Staatlichen Seminars für Didaktik und Lehrerbildung am Gymnasium in Esslingen zusammen, dann hat Erika Hahn gut sechs Jahrzehnte damit verbracht, „zu lernen, zu studieren, Lern- und Bildungskontexte zu gestalten und dafür zu sorgen, dass Menschen gut lernen können“. Ende August geht die Professorin in den Ruhestand, nach 21 Jahren als Direktorin des Seminars, an dem Lehramtsstudierende während und nach Abschluss ihres Universitätsstudiums pädagogisch, didaktisch und methodisch ausgebildet und auf ihren Beruf als Gymnasiallehrer vorbereitet werden.

Während ihre beiden Vorgänger in der Seminarleitung einen eher präsidialen Führungsstil pflegten, sorgte Erika Hahn, die 1997 als Zweitjüngste zum Kollegium dazustieß, für frischen Wind: „Mit flachen Hierarchien alle in die Verantwortung nehmen, ihre individuellen Fähigkeiten nutzen und damit alle Potenziale für die Referendar-Ausbildung nutzbar machen“, so lautete das Credo der Team-Playerin Hahn: „Es gibt mir ein sehr gutes Gefühl, alle Fragestellungen mit meinem Team zu debattieren und zu bearbeiten, innovativ und fantasievoll, wertschätzend, transparent, sachlich klar und ergebnisorientiert.“ Zusammenhalt, Unterstützung und ein offener Umgang miteinander wurden bei ihr großgeschrieben: „Jede und jeder kann irgendetwas am besten, und diese Schätze muss man heben.“ Das klingt nach dem sprichwörtlich gewordenen „Esslinger Geist“ am Seminar, und das ist mit eine Erklärung dafür, weshalb das Esslinger Seminar – obwohl nicht an einer Universitätsstadt verortet – bei Referendaren aus der ganzen Bundesrepublik gefragt ist.

Nie ging es Erika Hahn und ihrem 65-köpfigen Kollegium darum, geklonte Lehrer-Persönlichkeiten zu schaffen: „Wir geben immer unterschiedlichste Beispiele und sagen: Probieren Sie aus, was zu Ihnen, was zu Ihrer Klasse und was zur jeweiligen Situation passt.“ Was in ihren Augen einen guten Lehrer ausmacht?

Esslinger Vorkurs-Modell

„Die Grundlage eines Lehrers muss eine fachlich fundierte Ausbildung sein. Eine aktuelle Studie zeigt eine eindeutige Beziehung zwischen der fachlichen Kompetenz der Lehrer und der Leistung ihrer Schüler. Eigentlich sagt einem das der gesunde Menschenverstand, aber das wurde jahrelang aus ideologischen Gründen kleingeredet“, wird sie deutlich. „Als Lehrer muss ich wissen, wovon ich rede. Ich muss für mein Fach brennen, ich muss mein Wissen gerne mit meinen Schülern teilen, und ich muss sie mitreißen können.“

Das Esslinger Seminar, eines von neun in Baden-Württemberg, ist eine wichtige Drehscheibe im Bildungsgefüge, denn es steht im steten Kontakt zu Regierungspräsidium und Kultusministerium, es pflegt den Wissensaustausch mit Universitäten und der alle Hochschulen im Raum Stuttgart integrierenden Professional School of Education, und es kooperiert mit den Ausbildungsgymnasien. „Sie alle gemeinsam ringen – in den allermeisten Fällen engagiert und mit offenen Ohren und wachen Augen – um die bestmögliche Ausbildung“, attestiert die scheidende Direktorin ihren Mitstreitern. Angesichts der schulischen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen sei das nicht immer einfach: „Es ist eine Kunst, auf den richtigen Zug aufzuspringen und nicht jeder Schnapsidee nachzurennen oder auf jede ideologisch begründete Meinung zu reagieren.“ Die Digitalisierung habe für eine enorme Beschleunigung gesorgt: „Als ich hierher kam, hing man einen Zettel ans Schwarze Brett, den nach 14 Tagen alle gelesen hatten. Heute schicke ich morgens eine E-Mail und habe nachmittags von allen eine Rückmeldung.“ Auch auf die Veränderung der Aufgaben, mit denen Lehrer konfrontiert werden, musste das Seminar reagieren: Unter Hahns Ägide wurde das „Esslinger Vorkurs-Modell“ entwickelt, nach dem die neuen Referendare möglichst schnell selbst unterrichten. Zusätzliche Ausbildungsinhalte wurden eingeführt, die Didaktik für neue Fächer wie Deutsch als Zweitsprache, Naturwissenschaft und Technik oder Kunst und Intermediale Kommunikation wurde entwickelt, die Projektarbeit mit schülerzentrierten Lernformen wurde in den Fokus genommen, Kurse für Stimmschulung, Rhetorik, Einsatz digitaler Medien und Zeitmanagement machen heute den Lehrer-Nachwuchs fit.

Hahn sieht für das Seminar, das 2014 sein 50-jähriges Bestehen feierte, hoffnungsfroh in die Zukunft: „Ich verlasse ein gut bestelltes Haus. Wir werden sicherlich auch im neuen Domizil in der Weststadt unsere erfolgreiche Arbeit fortsetzen können. Zu einem optimalen Standort fehlt uns nur noch eine Halle für die Sportlehrerausbildung. Leider ist meine Nachfolge noch nicht geklärt.“ Ihre Energie wird künftig ebenso in ihre Hobbys, ins Reisen, Tennisspielen und in die Gartenarbeit fließen wie in ihr ehrenamtliches Engagement: Im Vorstand der Freunde der Wilhelma, im Ehrenrat des MTV Stuttgart und im Zonta-Club Stuttgart. Außerdem unterstützt sie im Nachwuchsleistungszentrum der Stuttgarter Kickers die Spieler beim Lernen: „Wenn man weiß, dass nur 0,3 Prozent von ihnen den Sprung ins Profilager schaffen, ist es gescheit, einen ordentlichen Schulabschluss zu haben.“