Die Esslinger Kultur zeichnet sich durch ihren Facettenreichtum aus, der sich beim Festival „Stadt im Fluss“ besonders eindrucksvoll zeigt. Foto: Kaier Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

154 Seiten ist sie lang - die neue Esslinger Kulturkonzeption. Weil sich dieses Papier, an dem Kulturamtsleiter Benedikt Stegmayer mehr als ein Jahr gearbeitet hatte, als Richtschnur für die Kulturpolitik der Stadt versteht, werden die Inhalte in der örtlichen Szene intensiv diskutiert. Der Kulturausschuss des Gemeinderates wird die Konzeption im Herbst beraten. Die SPD-Ratsfraktion wollte sich schon vorher ein Bild machen und bat Künstler und Kulturschaffende zur Anhörung in die Dieselstraße. Eine der wichtigsten Erkenntnisse des Abends: Viele Kulturakteure fühlen sich durch die traditionelle Unterfinanzierung der Esslinger Kultur und durch die ständigen Sparappelle aus der Kommunalpolitik in ihren Möglichkeiten und in ihrer Kreativität eingeschränkt.

Dass viele bei der Lektüre der Kulturkonzeption Visionen und den großen Wurf vermissen, ist bekannt. Sabine Bartsch, Sprecherin des Netzwerks Kultur und Geschäftsführerin des Kulturzentrums Dieselstraße, bescheinigt dem Kulturamtsleiter „eine wirklich gute Arbeit“. Dass Kulturbürgermeister Markus Raab wiederholt darauf verwiesen hatte, dass die Kultur im Rahmen der strategischen Haushaltskonsolidierung 380 000 Euro einsparen sollte und dass diese Forderung nicht vom Tisch ist, empfand Bartsch wie ein Damoklesschwert: „Da hat man sich gar nicht mehr getraut, neue Ideen zu entwickeln.“ Die Sprecherin des Netzwerks Kultur wundert sich immer wieder, weshalb die Kassen in Esslingen chronisch knapp sein sollen, wenn andererseits bundesweit regelmäßig von erheblichen Steuermehreinnahmen der Kommunen berichtet wird: „Fast könnte man das Gefühl bekommen, dass der städtische Etat kleingerechnet wird, damit keiner auf die Idee kommt, noch Visionen zu formulieren.“

Stärken der lokalen Szene betonen

SPD-Stadträtin Christa Müller bat um Verständnis dafür, dass die Stadt ihr strukturelles Defizit im Haushalt grundsätzlich angehen und dauerhaft nur mit den Einnahmen planen möchte, die sie sicher verbuchen kann. Marco Süß, der Leiter der Jungen WLB, machte derweil deutlich, dass der ständige Spardruck nicht förderlich sei für die Kultur - vor allem mit Blick auf die Zukunft: „Wenn man immer nur Angst haben muss, dass das Geld nicht reicht, kann sich nichts Innovatives entwickeln. Dann bekommt man nur den Kompromiss des Kompromisses. Das ist kein gutes Signal gerade an junge Menschen, die sich überlegen, kulturell aktiv zu werden.“ Schon deshalb wäre es nach Einschätzung von Ulrike Gräter, der Vorsitzenden des Esslinger Vocalensembles, wichtig, in der Konzeption „mehr kleine Schritte aufzuzeigen, die sich gut realisieren lassen.“ Überrascht war sie, dass das Kulturamt für die künstlerische Leitung des Kulturfests „Stadt im Fluss“ das Theater Rampe aus Stuttgart engagiert hat: „Wir haben so viele kluge und kreative Köpfe in Esslingen - die könnten das genauso gut. Wir wollen mit diesem Festival doch zeigen, was unsere Stadt und ihre Kultur zu bieten hat.“

Bernd Daferner vom Verein der Freunde der WLB sieht in Esslingen glänzende Voraussetzungen für eine florierende Kulturszene: „Wenn man sieht, wie differenziert und vielfältig das Angebot hier ist - das ist einmalig.“ Trotzdem wünscht sich Daferner größere Anstrengungen, um noch mehr Menschen für die Kultur zu begeistern: „Eine Nicht-Nutzer-Analyse könnte zeigen, wo man noch ansetzen kann.“ Der Künstler Albrecht Weckmann schätzt an Stegmayers Konzeption vor allem eines: „Sie zeigt, was für eine tolle Kultur wir in Esslingen haben.“ Allerdings würde er sich wünschen, dass die Stadt beim Thema bildende Kunst nicht nur an die Präsentation, sondern mehr als bisher an die Künstler und deren Arbeitsbedingungen denkt.

„Kein Schnellschuss für Bücherei“

Sabine Bartsch erinnerte an den Gedanken eines Produktionszentrums, den das Netzwerk Kultur eingebracht hatte: „Ein Produktionszentrum, wo Neues entstehen kann und wo die Kreativität den nötigen Freiraum findet, wäre ein wichtiger Beitrag - gerade wenn man junge Künstler in Esslingen halten oder herholen möchte.“ Dabei könnte nach ihrer Einschätzung die Stadtbücherei eine zentrale Rolle spielen: „Wenn man eine neue Bücherei für die nächsten 30 Jahre baut, sollte man etwas größer denken. Wir warnen bei diesem wichtigen Thema vor einem Schnellschuss, nur weil der Oberbürgermeister das Thema vor der Sommerpause beerdigen will.“

Während sich Stegmayer in der ergebnisoffenen Standort-Diskussion erstmals aus der Deckung wagte und die Vorzüge eines Neubaus in der Küferstraße und die Nachteile eines Verbleibs im Bebenhäuser Pfleghof betonte, kritisierten viele, dass die Stadt nach jahrelangem Warten nun auf eine ganz schnelle Entscheidung drängt. Marco Süß fand es „erschreckend, wie von einigen mit der hochkompetenten Bücherei-Leiterin umgegangen wurde“, als sie im Kulturausschuss die Plädoyers vieler Bücherei-Nutzer für einen Verbleib im Bebenhäuser Pfleghof zitiert hatte. Und Ulrike Gräter fragt sich, „weshalb das Wort der vielen Menschen, die im Pfleghof bleiben möchten, nicht mehr Gewicht hat“.

SPD-Ratsherr Richard Kramartschik räumte ein, dass sich seine Fraktion schwertue mit der Entscheidung, zumal zwei Standorte erst kurzfristig hinzukamen. Einerseits wolle die SPD die Bücherei möglichst rasch zukunftsfähig aufstellen. Andererseits sei der Zeitdruck immens, zumal wesentliche Fakten erst sehr kurzfristig auf den Tisch kommen und man im Interesse einer sachgerechten Entscheidung alles bedenken wolle: „Ob wir das noch vor der Sommerpause schaffen, weiß ich nicht.“ Doch da nahm Komma-Leiter Andreas Jacobson die Stadträte in die Pflicht: „Der Gemeinderat ist der Souverän und entscheidet, wann beschlossen wird. Wenn zwischen der Vorlage der wesentlichsten Entscheidungsgrundlagen und dem Grundsatzbeschluss im Gemeinderat nur zwölf Tage Zeit bleiben, ist das unfassbar.“