Wie reagieren die Leute, wenn Sie sagen, dass Sie von der Linken sind? Foto: Kaier

Von Dagmar Weinberg

Umzüge spülen manchmal längst Vergessenes an die Oberfläche. So hat Martin Auerbach, als er kürzlich seine Siebensachen für den Umzug in eine neue Wohnung zusammengepackt hat, ein T-Shirt wiederentdeckt, das wie geschaffen für seine Wahlkampfauftritte ist. Wie die Fahne der Linke, die an diesem Abend vor dem Eingang zum Jugendhaus Komma im Wind flattert, ist es knallrot. Und neben dem Emblem von Verdi prangt das Wort „Zukunftsgestalter“ auf der Brust des Esslinger Stadtrats, der jetzt für den Bundestag kandidiert.

Ihm gehe es im Wahlkampf nicht zuvörderst darum, prominente Mitglieder seiner Partei nach Esslingen zu holen und Hallen zu füllen. „Ich möchte mit den Leuten ins Gespräch kommen und sie über Inhalte gewinnen“, sagt der 41-Jährige. Doch was brennt den Menschen auf den Nägeln und was erwarten sie von einer linken Politik? Um das zu eruieren, verteilt er nicht nur in aller Herrgottsfrühe am Esslinger Bahnhof seinen politisch-biografischen Steckbrief und Infomaterial („das nehmen die Leute sehr gerne mit“), steht an Infoständen zu ausführlichen Gesprächen bereit oder organisiert Veranstaltungen, in denen darüber diskutiert wird, wie Wohnraum wieder bezahlbar werden kann. „Statt immer mehr Grünflächen zuzubauen, brauchen wir sozialen Wohnungsbau und ein Wohnraummanagement“, erklärt Martin Auerbach, für den das Thema Ökologie „immer auch mit der sozialen Frage gekoppelt ist“.

„Mitmachpartei“

Da die Linke eine „basisdemokratische Mitmachpartei ist“, hat er an diesem Abend Parteifreunde und Sympathisanten in die Jugendkneipe Fünfbisneun eingeladen, um von Gerhard Wick, 1. Bevollmächtigte der IG Metall Esslingen, zu erfahren, was denn die Beschäftigten wollen. In der Kneipe fühlt sich gelernte Jugend- und Heimerzieher auch deshalb wohl, „weil das Jugendhaus eine Institution ist, in der sehr viel und sehr wichtige soziale Arbeit geleistet wird“. Da das Komma barrierefrei ist, „kann jeder hierher kommen“. Ein Grund, warum Die Linke auch am Wahlabend zur Party ins Fünfbisneun laden wird.

„Wir sind ein kleiner Kreis von Aufrechten und Idealisten, die gemeinsam die Welt verändern und sie wieder für alle sozial gerechter machen wollen“, beschreibt der Bundestagskandidat sein Credo. Damit spricht er dem guten Dutzend Zuhörerinnen und Zuhörern aus der Seele, die es sich bei einem Gläschen Wein oder Antialkoholischem auf den schwarz gepolsterten Bänken bequem gemacht haben und zunächst Gerhard Wick zuhören. Dass die Umfrage der IG Metall, an der sich im Bereich der Geschäftsstelle Esslingen exakt 6977 Befragte beteiligt haben - „wir haben nicht Gewerkschaftsmitglieder, sondern die Beschäftigten insgesamt befragt“, betont Wick - „eine hohe Zustimmung zu unseren Topthemen erbracht hat“, hören Martin Auerbach und seine Gäste natürlich gerne. Schließlich setzt auch er sich dafür ein, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse abgeschafft, Tarifverträge und Arbeitsschutzgesetze eingehalten werden und vor allem jede und jeder „von seiner Arbeit leben kann und im Alter eine gute Rente bekommt“.

Bei der Umfrage ist auch deutlich geworden, „dass die Rente mit 67 für die meisten Beschäftigten ein Unding ist“, berichtet der 1. Bevollmächtigte der IG Metall. „Auf dieses Thema sollten wir als Linke im Wahlkampf genauer eingehen“, schlägt einer der Zuhörer vor. Eine Anregung, die sich Martin Auerbach sofort notiert. „Veranstaltungen wie diese erden mich und geben mir neue Impulse für den Wahlkampf“, erklärt er. „Als kleine Partei leben wir davon, dass wir uns gegenseitig befruchten.“

Im Rahmen der Serie Stippvisite begleitet die Redaktion die Kandidatinnen und Kandidaten von CDU, SPD, Grünen, FDP, Linke und AfD während ihres Wahlkampfes und stellt die Bewerber für die Bundestagswahl am 24. September vor.

Gewerkschaftlich engagiert

Privater Lebenslauf: Martin Auerbach wurde im Juli 1976 in Backnang geboren und ist in Winnenden aufgewachsen. Nach Schule und Vorpraktikum verließ er seine schwäbische Heimat und ließ sich beim Christlichen Jugenddorfwerk Deutschland in Wissen an der Sieg zum Jugend- und Heimerzieher ausbilden. Da er sich nicht für „Kanzler, Volk und Vaterland erschießen lassen wollte“, verweigerte er den Kriegsdienst und leistete an der Johannes-Wagner-Schule für Gehörbehinderte in Nürtingen sowie im Esslinger Verein Jugendhilfe (der später zur Stiftung Jugendhilfe aktiv fusionierte) seinen Zivildienst. Nach dem Zivildienst trat er eine Stelle in einer Wohngruppe an und arbeitet seit 2001 im Theodor-Rothschild-Haus in der Inobhutnahmestelle des Landkreises. Martin Auerbach ist evangelisch, ledig und kinderlos.

Politischer Werdegang: Nachdem Martin Auerbach 2004 in die Mitarbeitervertretung gewählt worden war, wurde er 2007 Mitglied der Gewerkschaft Verdi. Nicht zuletzt aus Enttäuschung über den Weg, den die SPD in den vergangenen Jahren eingeschlagen hat, trat er 2014 der Partei Die Linke bei - aus seiner Sicht, die einzige Partei in Deutschland, „die die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch im Auge hat und konkrete Verbesserungen fordert“. Er ist „Mit-Vorsitzender“ im Linke-Ortsverband Esslingen und sitzt für die Partei im Esslinger Gemeinderat.

Ehrenämter: Neben seinem Engagement als Stadtrat, ist Martin Auerbach Mitarbeitervertreter (Betriebsrat), setzt sich für Flüchtlinge ein, ist stellvertretender Vorsitzender des Verdi-Ortsvereins Esslingen sowie Vorstandsmitglied im Interkulturellen Forum (adg). Er engagiert sich in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) sowie der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen des Diakonischen Werks Württemberg.