Gutachterin Ursula Wittwer-Backofen im Gerichtssaal. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Jürgen Ruf

Freiburg - Hussein K. sitzt an diesem zehnten Verhandlungstag auf der Anklagebank und schweigt. Nur wenige Meter von ihm entfernt berichten Sachverständige, was sie herausgefunden haben. Im Freiburger Prozess um den jungen Flüchtling, dem der Sexualmord an einer Studentin zur Last gelegt wird, ist für das Urteil das Alter des Angeklagten entscheidend. Ein erstes Gutachten ist sich sicher: Hussein K. ist, entgegen seiner früheren Behauptung, kein Jugendlicher und auch kein Heranwachsender mehr. Auch ein weiteres Gutachtren geht von einem höheren Alter aus.

Ein Zahn dient beim ersten Gutachten als wesentliches Beweismittel. Das Beweisstück mit der Nummer 14.2.2.2.25.48 sollte gestern vor der Freiburger Kammer die Wahrheit ans Licht bringen. Es ist ein Eckzahn des Angeklagten, der ihm von einem Zahnarzt bei einem Routineeingriff gezogen worden war. Andere Zähne hatten ihn überlagert, deshalb wurde Zahn Nummer 13 mit der Wurzel herausgeholt. Hussein K. behielt ihn als Souvenir. Er bewahrte ihn in seinem Zimmer in Freiburg auf. Dort fanden Polizeibeamte den Zahn, als sie nach der Festnahme des Flüchtlings alles durchsuchten.

Hussein K. steht seit zwei Monaten vor Gericht. Er hat zugegeben, im Oktober 2016 in Freiburg die 19-Jährige vergewaltigt und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt zu haben. Die Frau ertrank im Wasser des Flusses Dreisam. Der Fall löste, noch vor dem Anschlag eines Tunesiers auf den Berliner Weihnachtsmarkt, Debatten über die deutsche Flüchtlingspolitik aus. K. hatte behauptet, zur Tatzeit 17 Jahre alt gewesen zu sein. Zum Prozessauftakt gab er zu, älter zu sein. Ein konkretes oder belegbares Alter nannte er nicht.

Für den Prozess spielt der Zahn eine zentrale Rolle. Denn es ist unklar, wie alt der vor der Jugendkammer stehende Hussein K. wirklich ist. Er galt als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling und hatte keine Papiere, als er im November 2015 nach Deutschland kam. Die Staatsanwaltschaft hält K. angesichts von zwei Altersgutachten für mindestens 22 Jahre alt. Die Ergebnisse der Zahnuntersuchung gelten dabei als vergleichsweise sicher.

„So etwas haben wir selten in Strafverfahren, dass wir diese Methode anwenden können“, sagt die Wissenschaftlerin Ursula Wittwer-Backofen. Gezogen werden können Zähne nicht, wenn der Betroffene nicht einverstanden ist. Das wäre illegal. Dass im konkreten Fall ein Zahn gefunden wurde, war Glück für die Ermittler. Er liefert zur Altersdiagnostik klarere Ergebnisse als beispielsweise die weit häufiger verwendete Röntgenuntersuchung der Handwurzelknochen, sagt die 60 Jahre alte Anthropologin.

Denn an Zähnen und deren Wurzel bilden sich, ähnlich wie bei Bäumen, sogenannte Jahresringe, erklärt die Wissenschaftlerin. Durch sie lässt sich das Alter errechnen. Wittwer-Backofen und ihre Kollegen an der Freiburger Uni haben bei solchen Untersuchungen deutschlandweit eine Führungsrolle. Meist hätten sie es mit historischen Skeletten zu tun, sagt die Gutachterin. Aktuelle Strafverfahren seien selten.

Unter dem Mikroskop haben sie Altersringe gezählt und 400 Fotos von ihnen gemacht. Das Ergebnis der Untersuchungen: Hussein K. ist laut Gutachten 25,8 Jahre alt. Rechne man alle Fehlerquellen und wissenschaftliche Unsicherheiten mit ein, ergebe sich für den Angeklagten eine Altersspanne von 22,5 bis 29,5 Jahre.

Folgt das Gericht dieser Einschätzung, würde für den Angeklagten Erwachsenenstrafrecht gelten. Ihm droht dann eine lebenslange Haft, möglicherweise Sicherungsverwahrung. Für Jugendliche und Heranwachsende sind die Strafen geringer. Voraussetzung: Die Verurteilten müssen zur Tatzeit jünger als 22 Jahre sein.

Mit dem Urteil in dem Verfahren wird nach Angaben der Vorsitzenden Richterin Kathrin Schenk 2018 gerechnet. Bis dahin sollen weitere Sachverständige und Zeugen gehört werden.