Ein leeres Klassenzimmer. Foto: Peter Endig/Archiv Foto: DPA - Symbolbild - dpa/Peter Endig

Eltern sorgen sich wegen häufiger Unterrichtsausfälle um die Zukunft ihrer Kinder. Eine Elternvertretung will deshalb das Land vor Gericht bringen.

Stuttgart (dpa/lsw)Elternvertreter drohen mit einer Klage gegen das Land Baden-Württemberg, weil die Unterrichtsausfälle an Gymnasien ihrer Meinung nach ein unzumutbares Ausmaß erreicht haben. Zunächst wollen die Eltern aber noch einmal das Gespräch mit Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) suchen, um kurzfristige Verbesserungen bei der Unterrichtserteilung zu erreichen. "Die Situation ist eine Katastrophe, und sie muss schnell geändert werden", sagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Elternbeiräte in Stuttgart, Michael Mattig-Gerlach, am Freitag in Stuttgart. Ein Gerichtsverfahren könnte sich mehrere Jahre lang hinziehen.

Jens Hoeksma, Vater eines Gymnasiasten in Freiburg, sagte: "Ich habe Angst um meinen Sohn, dass er das Abitur nicht schafft." Die Prüfungsanforderungen im Abitur seien gleich geblieben, obwohl wegen der Ausfallzeiten weniger Stoff vermittelt werde. Hoeksma listete 92 Stunden auf, die seit Beginn dieses Schuljahres bei seinem ältesten Sohn in der zehnten Klasse ausgefallen und auch nicht vertreten worden seien. Laut Mattig-Gerlach entspricht dies einem Anteil von elf Prozent an dem Unterricht, der eigentlich erteilt werden sollte. Hoeksma sagte, er habe nicht das Geld, um seinen Sohn auf eine Privatschule zu schicken oder bei der Schülerhilfe anzumelden. Die Arbeitsgemeinschaft sieht Hoeksmas Sohn als einen potenziellen Kläger.

Eine Sprecherin des Kultusministeriums bestätigte den Unterrichtsausfall in diesem konkreten Fall. Das Regierungspräsidium Freiburg sei mit dem Gymnasium im Gespräch, um den Ausfall zu verringern. Grundsätzlich gebe es aber Planungsfehler aus der Vergangenheit. "Das Grundproblem besteht darin, dass es derzeit schlicht zu wenig Lehrer gibt. Wir haben im Moment offene Stellen, die wir aber leider nicht alle besetzen können", teilte das Ministerium mit. Die CDU hat seit 2016 das Kultusministerium inne. Von 2011 bis 2016 wurde das Ressort von der SPD geleitet.

Die Arbeitsgemeinschaft Stuttgart präsentierte ein Rechtsgutachten des Anwalts Thomas Würtenberger. Er vertritt die Meinung, dass in den letzten drei Jahren vor dem Abitur an den Gymnasien nicht mehr als acht Prozent an Unterricht in den Abiturfächern ausfallen dürfe. Bei einer höheren Quote sei zu befürchten, dass die Chancengleichheit eines Schülers im Vergleich zu denen, die keine hohen Unterrichtsausfälle verkraften müssten, nicht gewährleistet sei. Ein Schüler könne auf seinem künftigen Berufsweg beeinträchtigt sein - etwa, wenn er wegen eines schlechten Abiturs keine Zulassung zum Wunschstudium bekomme.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert vom Land mehr Lehrer, die als Vertretung einspringen können. Im September 2018 hätten rund 2000 Gymnasiallehrer keine Stellen bekommen, sagte Landeschefin Doro Moritz. Der Bildungsexperte der SPD, Stefan Fulst-Blei, warf der grün-schwarzen Regierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Tatenlosigkeit vor. Es sei richtig, dass Eltern bereit seien, vor Gericht zu ziehen. Dass an den Gymnasien so viel Unterricht ausfalle, gehe aber auf die Kappe von Ministerin Eisenmann. "Denn es sitzen auch dieses Schuljahr wieder über 2000 ausgebildete Gymnasialehrkräfte ohne Stelle auf der Straße."

Eisenmann hatte jüngst erklärt, dass sie in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2030 einen Bedarf von rund 10 600 zusätzlichen Lehrerstellen sieht. Die Landesregierung will in diesem Jahr den Doppelhaushalt für die Jahre 2020/2021 aufstellen. Ob es dann bereits zu einer nennenswerten Aufstockung von Lehrerstellen gibt, ist noch unklar.