Von Bettina Grachtrup

Stuttgart - Was für ein Zufall: Vor fast genau fünf Jahren stimmten die Baden-Württemberger mehrheitlich für den Weiterbau des Bahnprojekts Stuttgart 21. Dabei hatten Kritiker ausdrücklich vor Kostenrisiken gewarnt. Nun ist klar, dass das Projekt teurer wird als geplant. Die Bahn will, dass sich die Projektpartner - Stadt Stuttgart, Region und Land - an den Mehrkosten beteiligen, und sie wird dies wohl vor Gericht einfordern. Fragen und Antworten zu einem Thema, dass das Land schon seit Jahren beschäftigt.

Worum geht es?

Mit dem Projekt Stuttgart 21 soll der bisherige Kopfbahnhof mit 16 Gleisen durch eine unterirdische Durchgangsstation mit acht Gleisen ersetzt werden. Zudem ist eine Schnellbahnstrecke von Stuttgart nach Ulm im Bau, um die Fahrzeit zwischen den beiden Städten von 54 auf 31 Minuten zu verringern. Baubeginn war im Februar 2010.

Was ergab die Volksabstimmung?

Stuttgart 21 war in der Bevölkerung hoch umstritten. Es gilt als ein Grund für den Regierungswechsel 2011. CDU und FDP mussten die Macht an Grüne und SPD abgeben. Da die Grünen gegen das Projekt waren, die SPD aber dafür, befragte Grün-Rot die Bevölkerung per Volksabstimmung. Das Ergebnis: Eine Mehrheit von 58,8 Prozent stimmte gegen einen Ausstieg des Landes aus dem Milliardenvorhaben. Die grün-rote Landesregierung sah sich fortan an das Votum gebunden.

Was ist nun das Problem?

Die Kritiker hatten es geahnt: Stuttgart 21 wird teurer als geplant und später fertig. Vor dreieinhalb Jahren genehmigte der Aufsichtsrat der Bahn eine Erhöhung des Finanzrahmens um zwei auf 6,5 Milliarden Euro und beauftragte den Vorstand, mit den Partnern über die Übernahme von Mehrkosten zu verhandeln. Doch die Landesregierung wiederholt seitdem nur ihr Mantra: Der Kostendeckel gilt. Das Land will sich nur mit den vereinbarten 930 Millionen Euro an dem Projekt beteiligen, aber keinen Cent mehr geben. Im Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 heißt es: „Im Fall weiterer Kostensteigerungen nehmen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen und das Land Gespräche auf.“ Was das praktisch bedeutet, darüber gehen die Meinungen auseinander. Das Land meint, dass die Klausel nur bedeutet, miteinander über die Kostensteigerungen sprechen zu müssen, während die Bahn das Land in der Pflicht sieht, sich an den Mehrkosten zu beteiligen.

Warum will die Bahn jetzt klagen?

Die Bahn befürchtet, dass die von ihr gesehenen finanziellen Ansprüche an die Projektpartner zum Jahresende verjähren könnten. Daher bat sie die Partner, einer Verlängerung der Verjährungsfrist zuzustimmen. Die Stadt will aber auf keinen Fall mitziehen, und auch die Region Stuttgart und das Land winken ab. Die Bahn will deshalb noch im Dezember Klage einreichen. Im Frühjahr 2016 gab es bekanntlich einen Regierungswechsel von Grün-Rot hin zu Grün-Schwarz. Die Haltung zum Thema Mehrkosten bei Stuttgart 21 war ein heikler Punkt in den Koalitionsverhandlungen, hatte sich die CDU doch immer für Stuttgart 21 positioniert. Letztlich einigten sich Grüne und CDU darauf, das Ergebnis der Volksabstimmung von 2011 als bindend zu betrachten, also über den vereinbarten Betrag von 930 Millionen Euro hinaus keine Zahlungen zu leisten.

Wie geht es nun weiter?

Beschließt das Kabinett am Dienstag, die Verlängerung der Verjährungsfrist für finanzielle Ansprüche abzulehnen, könnte die Bahn klagen. Weitergebaut wird in Stuttgart derweil aber trotzdem.

„Justizprojekt“ Stuttgart 21

Eine Klage der Bahn gegen Land und Stadt wäre nicht die erste juristische Auseinandersetzung um Stuttgart 21. Ein Überblick:

„Schwarzer Donnerstag“: Zumeist ging es um den eskalierten Polizeieinsatz gegen Demonstranten mit mehr als 100 Verletzten im September 2010. Ein Prozess gegen zwei Polizeiführer, die an dem umstrittenen Wasserwerfer-Einsatz beteiligt waren, wurde vom Landgericht Stuttgart zwar wegen geringer Schuld eingestellt. Das Verwaltungsgericht Stuttgart erklärte den ganzen Einsatz aber später für rechtswidrig, da es sich beim Protest gegen Baumrodungen rechtlich gesehen um eine vom Grundgesetz besonders geschützte Versammlung handelte.

Urheberrecht: Nach zwei Jahren beendet der Bundesgerichtshof einen anderen Streit: Peter Dübbers, Enkel des Architekten des Hauptbahnhofes Paul Bonatz, wollte seine ererbten Urheberrechte gegen die Pläne der Bahn zum Teilabbruch des Bauwerks geltend machen. Der Nordflügel war da bereits abgerissen. Dübbers unterlag in dem Prozess gegen die Bahn.

Meinungsfreiheit: Das Landgericht Offenburg entschied, dass der Projektgegner Gangolf Stocker weiterhin sagen, dass er bei Befürwortern des Bahnprojekts „mafiöse Strukturen“ sieht. Die Aussage Stockers, die sich auch auf den Schwanauer Hersteller von Tunnelbohrmaschinen, Martin Herrenknecht, bezog, sei vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.