Die Einwohnerzahl wächst, der Bedarf an Wohnungen ist hoch, deshalb werden eilig auf dem Zollbeg Häuser hochgezogen . Foto: Stadtarchiv Esslingen - Stadtarchiv Esslingen

Im Ost-West-Konflikt werden die Fronten klar: Die Sowejetunion setzt der NATO, der auch Deutschland beitritt, den Warschauer Pakt entgegen. Deutschland nimmt diplomatische Beziehungen mit der UdSSR auf. Und die Stadt Esslingen siedelt den Zollberg auf wegen des hohen Wohnungsbedarfs.

EsslingenDas Jahr 1955 ist geprägt von den Diskussionen um die Frage der Souveränität von Nachkriegsdeutschland. Die Bundesregierung ist dabei insbesondere um die Einbindung in den Kreis der westlichen Staaten bemüht, die ihren Einflussbereich gegenüber dem Osten gesichert wissen wollen. Die Sowjetunion hingegen strebt weiterhin ein vereintes Deutschland an. Im Januar erklärt sie den Kriegszustand mit Deutschland für beendet und bietet gesamtdeutsche Wahlen an – wenn der Bundestag die Pariser Verträge, die die Westbindung und vor allem die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik festschreiben würden, nicht ratifiziert.

Die Frage der Wiederbewaffnung führt in der Bundesrepublik zu heftigen politischen Debatten zwischen der Bundesregierung und der parlamentarischen Opposition, die sich mit Gewerkschaften und Kirchen zur Paulskirchenbewegung zusammengeschlossen hat. Diese Bewegung lehnt die Verträge ab. Trotz aller Proteste ratifiziert der Bundestag die Verträge, die Bundesrepublik wird, abgesehen von einigen Rechten der Besatzungsmächte, souverän. Damit ist der Weg frei für den Beitritt der Bundesrepublik zur Westeuropäischen Union und zur Nato.

Die Reaktion der osteuropäischen Staaten folgt schnell. Die Sowjetunion schließt als Gegengewicht zur Nato zusammen mit Albanien, Bulgarien, der DDR, Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei und Ungarn in Warschau einen „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“. Die Konturen des Ost-West-Konflikts werden deutlich.

Mit der Unterzeichnung der Pariser Verträge kann auch ein Bundesverteidigungsministerium gegründet werden, die USA und die Bundesrepublik schließen ein Abkommen über Hilfsleistungen beim Aufbau der Bundeswehr. Im Dezember wird die Bundeswehr mit 101 Freiwilligen offiziell gegründet.

Im September vereinbart Bundeskanzler Konrad Adenauer in Moskau die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Freilassung der letzten 9625 deutschen Kriegsgefangenen, die noch in der Sowjetunion wegen Kriegsverbrechen inhaftiert sind. Die Eßlinger Zeitung übernimmt dazu einen Kommentar der Nationalzeitung Basel, der mit Spott nicht geizt und feststellt, dass die Sowjetunion die DDR-Regierung durch die diplomatischen Beziehungen regelrecht abserviert hat. Nach der bevorzugten Behandlung, die Adenauer erhalten habe, „fällt es schwer sich vorzustellen, daß die unansehnliche Ostzonenregierung mit ihrer unterernährten Bevölkerung und Wirtschaft noch ernsthaft als gleichwertige deutsche Parallelregierung vorgeführt werden kann“.

In der Bundesrepublik sind die Reaktionen bei der Opposition verhalten. So zitiert die Eßlinger Zeitung den SPD-Politiker Fritz Erler, der befürchtet, dass „die Sorgen um die Erlösung der Zone eher größer als kleiner geworden“ seien.

Die Stadt Esslingen treiben andere Sorgen um. Die Wirtschaft prosperiert, die Einwohnerzahl steigt an. Bereits im Vorjahr war die Marke von 75 000 Einwohnern überschritten worden. Der Wohnungsbau hält allerdings mit der Entwicklung nicht Schritt. Trotz reger Bautätigkeit in der Pliensauvorstadt herrscht großer Mangel.

Deshalb wird in großer Eile der Zollberg als neuer Stadtteil aufgebaut. Wo zuvor nur einige wenige Häuser und die Ausflugsziele Waldheim und Sportplatz zu finden waren, entstehen zügig Wohnblocks und kleine Häuser. Die werden oft mit günstigen Baukrediten errichtet, was dem Zollberg den Namen Schuldenbuckel einträgt.