Nach erbittertem Streit wird 1964 der Bau einer neuen Stadthalle beschlossen. Knapp vier Jahre später wird in der neuen Halle gefeiert. Foto: Stadtarchiv Esslingen - Stadtarchiv Esslingen

Während 1964 in der Esslinger Kommunalpolitik ein alter Streit beigelegt wird, ist die weltpolitische Lage kritisch: Ost und West drohen sich wieder voneinander zu entfernen und die USA zetteln den Vietnamkrieg an.

EsslingenDas Jahr 1964 bringt einige weltpolitisch längerfristig wirksame Entwicklungen mit sich. In die Ost-West-Beziehungen in Europa zieht Entspannung ein. Bundeskanzler Ludwig Erhard lehnt zwar nach wie vor die Oder-Neiße-Linie als Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen ab, doch die im Vorjahr vereinbarten Handelsbeziehungen nehmen Fahrt auf. Zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR wird eine direkte Fluglinie eröffnet.

In der Sowjetunion treibt Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow die Entstalinisierung weiter voran. Im Zuge der schrittweisen politischen Liberalisierung vertritt er eine Politik der friedlichen Koexistenz unterschiedlicher Gesellschaftssysteme und schlägt als Regelung zwei souveräne deutsche Staaten und ein politisch eigenständiges West-Berlin vor.

Im Oktober wird der sowjetische Liberalisierungskurs gestoppt. Der 70 Jahre alte Chruschtschow wird laut einer auch in der Eßlinger Zeitung veröffentlichten Meldung der Nachrichtenagentur Tass „wegen seines fortgeschrittenen Alters“ aller Ämter enthoben. Nachfolger werden Alexej Kossygin als Regierungschef und Leonid Breschnew als Parteichef.

Die Eßlinger Zeitung würdigt die politischen Leistungen Chruschtschows und insbesondere die Koexistenz-Theorie, die „tiefgreifende Erschütterungen im Leben der Sowjetunion und der anderen kommunistischen Länder“ zur Folge gehabt habe. Besonders das von dieser neuen politischen Weltsicht herrührende Zerwürfnis mit der Volksrepublik China dürfe als Auslöser der Entmachtung zu sehen sein.

Die politische Entspannung in Europa lässt die USA ihr Augenmerk auf ihre Interessensphäre Asien und dort besonders das seit dem Waffenstillstand 1954 entlang des 17. Breitengrads in Nord und Süd geteilte Vietnam richten. Amerikanische Kriegsschiffe melden im August, im Golf von Tonkin vor der Küste Nordvietnams von nordvietnamesischen Schiffen beschossen worden zu sein. Amerikanische Flugzeuge bombardieren daraufhin Ziele in Nordvietnam. Präsident Lyndon B. Johnson weitet die Intervention aus, bereits im Folgejahr führen die USA einen systematischen Luftkrieg gegen den Norden, im Süden werden Bodentruppen stationiert. Die im Jahr 1971 veröffentlichten Pentagon-Papiere weisen nach, dass die USA diesen Krieg seit geraumer Zeit geplant hatten und der Tonkin-Zwischenfall gezielt vorgetäuscht worden war.

EZ favorisiert die Burg als Standort

In Esslingen findet eine mehrjährige Hängepartie ein Ende. Der Gemeinderat beschließt, die neue Stadthalle auf dem Eckgrundstück Ebershalden-/Grabbrunnenstraße errichten zu lassen. Die Alternativen Kronenhof und Burg sind damit vom Tisch. Dem Beschluss war ein mehrjähriger, erbittert geführter Streit um den Standort vorausgegangen, den die Eßlinger Zeitung als „kalten Saalbaukrieg“ bezeichnet. Der sei durch „bessere Einsicht“ beendet, die „scheinbar hoffnungslos festgefrorenen Fronten innerhalb des Gemeinderates durch den Tauwind der Vernunft zum Schmelzen gebracht“ worden.

„Wir wollen jedoch keinerlei Hehl daraus machen, dass wir weiterhin die Burg für den richtigen Standort gehalten haben“, eine Stadthalle dort hätte das Areal aufgewertet, kommentiert die Zeitung und fordert: „Die Burg kann und muß zu einem Schmuckstück werden, das uns Bürgern zur Erholung und Freude, der Stadt zur Ehre und den Fremden zum Anziehungspunkt wird.“