Im Jahr 1931 beschließt der Esslinger Gemeinderat den Bau der Erwerbslosen-Randsiedlung Sirnau. 56 Familien melden sich gleich zu Beginn an. Foto: Archiv EZ - Archiv EZ

Während die Rechten sich zusammenrotten und auf der Straße für Gewalt sorgen, überlegt die Regierung 1931, dass sie der Arbeitslosigkeit mit Selbstversorgung begegnet.

EsslingenDie wirtschaftliche und soziale Situation in Deutschland verschärft sich im Jahr 1931 zusehends. Die Zahl der Arbeitslosen beträgt im Frühjahr fast fünf Millionen. Viele von ihnen erhalten keine Arbeitslosenunterstützung mehr und sind auf die Wohlfahrt angewiesen. Im Herbst wird die Bezugsdauer der Arbeitslosenunterstützung von 26 auf 20 Wochen gekürzt. Die Renten werden per Notverordnung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg gesenkt. Zum Jahresende beträgt die offizielle Arbeitslosenzahl 5,6 Millionen.

Als Reaktion fordert die Reichsregierung von den Alliierten ein Ende der Reparationen. Der amerikanische Präsident Herbert Hoover schlägt daraufhin vor, alle Reparationen und Kriegsschulden ein Jahr lang ruhen zu lassen. Schließlich erhält Deutschland von den Alliierten einen Kredit von 419 Millionen Reichsmark zur Bewältigung der größten Probleme.

Mit dem wirtschaftlichen Niedergang spitzt sich auch die innenpolitische Krise zu. Die rechtsradikalen Organisationen und vor allem die NSDAP verzeichnen starken Zulauf. Die Nationalsozialisten werden zunehmend hoffähig, sind in den Großbetrieben auf Stimmenfang unterwegs und in vielen Länderparlamenten fest verankert. Adolf Hitler diskutiert mit der Großindustrie die Ziele der Partei, wird von Reichspräsident Paul von Hindenburg und Reichskanzler Heinrich Brüning empfangen und betont, die NSDAP wolle nur auf legalem Weg an die Macht gelangen.

Abseits der offiziellen Bühnen zeigt die NSDAP ein anderes Gesicht. Die SA wird für den Straßenkampf militärisch reorganisiert, zunehmend kommt es zu Übergriffen und Überfällen auf Kommunisten sowie jüdische Geschäfte und Bürger. In Bad Harzburg gründen Vertreter der NSDAP, der Deutschnationalen Volkspartei, der Organisation „Stahlhelm“ und rechtsradikaler Verbände die „Harzburger Front“ mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen. Zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen schränkt Hindenburg per Notverordnung das Versammlungsrecht und die Pressefreiheit ein, Zeitungen können leichter verboten werden.

Im September diskutiert die Reichsregierung die Idee, Arbeitslosen am Rand der Städte Grundstücke für den Bau kleiner Häuser zur Verfügung zu stellen. Durch die Möglichkeit einer teilweisen Selbstversorgung mit Gemüseanbau und Kleintierhaltung sollen mit diesen Randsiedlungen die Unterstützungskassen entlastet und die Wohnungsnot gemildert werden.

Im Herbst werden die Pläne konkret. Württemberg erhält 1,1 Millionen Reichsmark, von denen 70 000 Reichsmark an die Stadt Esslingen als Darlehen weitergereicht werden, die dafür eine Siedlung für Erwerbslose bauen muss. Wegen der günstigen Bodenbeschaffenheit entscheidet sich der Gemeinderat für Sirnau. „Es handelt sich um schlichte Siedlungen, an denen die Siedler selbst mitbauen helfen müssen“, beschreibt die Eßlinger Zeitung. Auch wenn der materielle Nutzen klein sei, „der sittliche Wert ist nicht von der Hand zu weisen. Der Arbeitslose steht wieder vor einer Aufgabe, sein Dasein bekommt wieder eine Art Inhalt.“ 56 potenzielle Siedler melden sich nach der Bekanntgabe des Beschlusses. „Goldene Berge und Milch und Honig zu versprechen, vermag auch aufgrund dieses Projektes niemand“, auch sei „dieser Siedlerversuch kein Universalmittel gegen die Arbeitslosigkeit, aber er ist gesund und entwicklungsfähig“, kommentiert die Zeitung.