Ob Beschäftigte ihre Erkrankung im Job kommunizieren, ist eine schwierige Entscheidung. Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert - dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Verschweigen, offen reden oder lügen? Wer psychisch erkrankt, steht am Arbeitsplatz vor der Frage, ob er es erzählt. Vertrauenspersonen können helfen.

Berlin/MainzBurnout, Depression, Angststörung – wer psychisch krank ist, tut sich oft schon mit kleinen Aufgaben schwer. Der Stress im Job kann da schnell überfordern. Viele Arbeitnehmer stehen dann vor der Frage: Sage ich meinem Chef die Wahrheit?

„Ich bin auf keinen Fall verpflichtet, etwas zur Art meiner Erkrankung zu sagen“, erklärt Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin. Anhaltspunkte für den Grund einer Krankschreibung könne der Arbeitgeber aber trotzdem finden. „Bei psychischen Erkrankungen ist immer das Problem, dass aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hervorgeht, welcher Arzt mich behandelt hat.“ Eine Internetsuche verrät, ob es ein Arzt für psychische Leiden war. Betroffene ließen sich deshalb zum Beispiel lieber von einem Allgemeinmediziner wegen Magenschmerzen krankschreiben.

Dabei sind psychische Erkrankungen alles andere als selten. In Deutschland sind sie der häufigste Grund für Berufsunfähigkeit. Das legt zumindest eine Studie der Versicherung Swiss Life Deutschland nahe. Eine psychische Erkrankung ist demnach bei mehr als jedem Dritten (37 Prozent) die Ursache für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsleben.

Erste Zeichen erkennen

Ein erstes Alarmsignal im Job könne sein, dass man die Motivation für Dinge verliert, für die man sonst gebrannt hat, erklärt Professor Thomas Rigotti, Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologe an der Uni Mainz. Oder wenn man ständig müde ist, sich nicht mehr konzentrieren kann, an sich selbst zu zweifeln beginnt oder die Kontrolle zu verlieren glaubt. „Wenn das alles längere Zeit anhält, also über mehrere Tage oder Wochen, dann sind das schon klare Indikatoren, dass man nicht nur einfach kurzfristig Stress hat, sondern eine psychische Erkrankung entwickelt“, sagt Rigotti.

Wo bei kurzen Episoden vielleicht noch eine Krankschreibung wegen Grippe zur Genesung ausreicht, stehen Betroffene, die länger ausfallen, vor der Frage, ob sie ihre psychische Erkrankung offenlegen oder nicht. „Es gibt da nicht das Patentrezept“, sagt Jürgen Hesse vom Büro für Berufsstrategie in Berlin. „Es ist ein Weg, den man herausfinden muss – für sich und auch im Umgang mit den anderen.“ Die Entscheidung hänge zunächst einmal von einem selbst ab. Wem schon eine Lüge schwerfällt, der kann eine erfundene Geschichte kaum über längere Zeit aufrecht erhalten.

Daneben sollten Betroffene ein Gefühl für ihr Arbeitsumfeld entwickeln und sich fragen: Was habe ich für ein Gegenüber? Es gebe Vorgesetzte und Kollegen, die sehr verständnisvoll reagieren, und wieder andere, die eine solche Offenheit überhaupt nicht zu schätzen wissen. „Man muss jetzt nicht gleich alles erzählen, aber man kann vorsichtig schauen, wie sensibel ist mein Gegenüber ist “, rät Hesse. Letztlich sei es aber eine individuelle Entscheidung. „Für einige ist es ein ganz wesentlicher Schritt, dass sie lernen, darüber zu sprechen“, sagt Hesse. „Für andere ist es wesentlich, dass sie das für sich behalten können.“

Entschließt man sich für einen offenen Umgang mit der Krankheit, sollte man es dem ganzen Team sagen. Wenn man dem einen alles erzähle und dem anderen nichts, spreche sich das irgendwann herum, sagt Hesse. Man könne auch nachforschen, ob es ähnliche Fälle im Unternehmen schon einmal gegeben hat, rät Fachanwalt Bredereck. „Geht der Arbeitgeber professionell vor, würde ich mir überlegen, mit der Krankheit offen umzugehen.“ Vor einem „Outing“ sollten sich Betroffene beraten lassen. Im schlimmsten Fall könnten psychisch kranke Mitarbeiter nach einer Offenlegung in die Eigenkündigung getrieben werden. Sie seien instabil und damit leichte Opfer etwa für Mobbing, erklärt Bredereck.

Nicht denselben Stellenwert

Mittlerweile seien psychische Krankheiten akzeptierter, findet Arbeitspsychologe Rigotti. Er plädiert für einen offenen Umgang. „Das Tabu ist so ein bisschen gebrochen.“ Allerdings hätten seelische Leiden noch nicht den gleichen Stellenwert wie sichtbare Erkrankungen. „Wenn man sich ein Bein gebrochen hat, dann ist das Verständnis dafür größer, dass bestimmte Dinge nicht funktionieren, als bei einer psychischen Erkrankung.“

Das Büro ist für Betroffene oft eine der letzten Stationen, an denen sie sich zu einer psychischen Erkrankung bekennen. Diese Erfahrung hat Ralf Stegmann gemacht. Er ist Experte für Wiedereingliederung bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Berlin. Für eine Studie interviewte er psychisch kranke Arbeitnehmer. Im Beruf hätten viele trotz Erkrankung „auf Autopilot“ geschaltet und oft funktioniert „bis zum Umfallen“, berichtet er. „Viele nehmen es erst wahr, wenn gar nichts mehr geht.“

Dabei gebe es in den meisten Unternehmen Stellen, die unterstützen. Das können der Betriebsrat, Betriebsärzte, die Schwerbehindertenvertretung oder – im Fall von großen Unternehmen – das betriebliche Gesundheitsmanagement sein. Stegmann betont: „Vertrauenspersonen sind das Entscheidende.“