Hans Fallada litt zeitlebens unter Depressionen, Alkohol- und Drogensucht. Hier eine undatierte Aufnahme des Dichters. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Nada Weigelt

Es ist erst einige Jahr her, dass Hans Falladas Meisterwerk „Jeder stirbt für sich allein“ eine beispiellose Wiederentdeckung erlebte. Zum 125. Geburtsjahr des großen deutschen Schriftstellers (1893-1947) hat jetzt der Aufbau Verlag einen Band mit bisher weitgehend unbekannten Geschichten herausgebracht, der einen neuen und berührenden Einblick in sein zerrissenes Leben gibt.

„Literatur und Leben verhalten sich bei Fallada wie in einem Spiegelkabinett“, schreibt Peter Walther, der die 27 Erzählungen und literarischen Notizen bei der Recherche zu seiner viel gelobten Fallada-Biografie entdeckt hat. Sie waren bisher gar nicht oder nur in einer Zeitung veröffentlicht. Unter dem Titel „Junge Liebe zwischen Trümmern“ wird von Anfang an die Tragik deutlich, unter der dieses Leben steht. 1893 als Sohn einer gut situierten Juristenfamilie in Greifswald geboren, litt Fallada - mit bürgerlichem Namen Rudolf Ditzen - zeitlebens unter Depressionen, Alkohol- und Drogensucht. Immer wieder muss er nach Zusammenbrüchen in die Psychiatrie, zwei Mal auch ins Gefängnis. Wie schwer das Aufrappeln jedes Mal ist, lässt die Erzählung „Der Strafentlassene“ nachempfinden - ein Vorgriff auf den später so erfolgreichen Roman „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ (1934).

Von seinem wohl traumatischsten Erlebnis erzählt der Autor in einem eigentümlich sachlichen Ton, wie von einer dritten Person. Gemeinsam mit seinem besten Schulfreund will er Selbstmord begehen, sie tarnen die Aktion als Duell. Der Freund stirbt von seiner Hand, er selbst überlebt schwer verletzt. „In dem ganzen lag ein unauslöschlicher Durst und ein Hunger nach Sättigung“, schreibt er. „Aus dem Spiele war ein Ernst geworden, der stark war.“ Wie die großen Romane, so lebt auch dieser Band von dem genauen Blick, den Fallada auf das Leben der kleinen Leute hat. Das gilt beispielsweise für die luftig leichte, aber eigentlich tieftraurige Geschichte einer Liebe, die an Aknepickeln scheitert. Oder für die skurrile Erzählung „Die Bucklige“, in dem eine Leichenwäscherin ihn neben einem tot aufgebahrten Kind verführen will.

Besonders berührend ist Falladas „Pfingstgruß an Achim“, eine heimliche Liebeserklärung an seinen jüngsten Sohn, den er mit zwei Geschwistern und der Mutter Suse für eine junge, ebenfalls morphiumsüchtige Frau verlassen hat. Sie wird es später auch sein, die ihm 1947 nach einem neuerlichen Zusammenbruch den letzten Stoff besorgt: Am 5. Februar stirbt er in einem Behelfskrankenhaus in Berlin mit 53 Jahren an den Folgen seiner Drogensucht.

Lesenswert wird das Buch besonders auch durch das Nachwort von Herausgeber Walther, der die Entstehung der Geschichten vor dem biografischen und historischen Hintergrund verständlich macht. Wie Fallada, der erst mit 37 Jahren zu schreiben begann, seinen ersten Welterfolg „Kleiner Mann, was nun?“ (1932) kaum fassen kann. Wie er sich in der Nazizeit mit weitgehend unverfänglichem Material durchschlägt.

Und wie er nach Krieg und Zusammenbruch trotz allem noch einmal auf einen Neuanfang hofft. Im letzten und längsten Text des Buches macht er deutlich, wie sehr für ihn auch die Schriftstellerei eine Sucht war - und zugleich der wohl einzige Halt. „Ich schreibe die Bücher ja nicht um der anderen willen“, notiert er da. „Ich schreibe sie nur mir zur Freude, mich wie ein kleiner Herrgott und Weltenschöpfer zu fühlen, darum schreibe ich sie.“

Hans Fallada: Junge Liebe zwischen Trümmern. Herausgegeben von Peter Walther. Aufbau Verlag, Berlin . 298 Seiten, 20 Euro.