Genäht wird die Kollektion in Gächingen. Foto: Kurz - Kurz

Naturmode made auf der Schwäbischen Alb funktioniert – Veronika Kraiser lässt ihre Kollektion aus feine Faser der Merinolandschafe herstellen. In einem renovierten Bauernhaus verkauft sie die wärmende Kleidung.

Von Roland Kurz

St. Johann Naturmode made auf der Schwäbischen Alb – dieses Geschäftsmodell funktioniert. Mit Kleidung aus der feinen Faser der Merino-Landschafe stellt Veronika Kraiser seit einigen Jahren eine Kollektion zusammen. In einem renovierten Bauernhaus in St. Johann-Gächingen verkauft die Chefin von Flomax die wärmenden Pullover, Kleider, Schals und Mützen. Genäht werden die Kleider im Neubau nebenan.

Den Schäfer Gerhard Stotz aus Münsingen lernte Veronika Kraiser auf einem Sockenstrick-Festival kennen; das war 2008, als die Designerin nach neuen Geschäftsfeldern Ausschau hielt. Der Schäfer, der auch den Start des Biosphärengebiets Schwäbische Alb unterstützte, schwärmte von der feinen Faser seiner Merinolandschafe und lud die Modemacherin auf seinen Hof ein. Gemeinsam kundschafteten sie die möglichen Produktionswege aus.

Wo lässt man die Wolle waschen? Wo kämmen und spinnen? Zwar lebt die Textilindustrie auf der Alb immer noch, aber mit Schafen hatte sie seit langer Zeit nichts mehr am Hut. Mit zwei Tonnen Schafwolle fuhren die Ehepaare Stotz und Kraiser deshalb nach Österreich, abends kamen sie mit der gewaschenen Wolle zurück. Doch für die Spinnmaschine war die Wolle nicht sauber genug, das Material reichte nur für Handstrickgarn. Das bedeutete, ein Jahr warten, bis die etwa 2600 Schafe von Gerhard Stotz wieder geschoren werden konnten. Die Hände in den Schoß legen musste Veronika Kraiser deswegen nicht. Mit der Produktlinie Flomax – benannt nach den zwei Söhnen – ist die Modedesignerin schon seit 1995 unterwegs. Sie hatte zunächst Bekleidungsschneiderin gelernt und dann fünf Semester an der Modeschule Nürtingen studiert. Dann kamen die Kinder Florian und Maximilian und die Karriere setzte sich in einem Nähzimmer im großelterlichen Bauernhaus in Gächingen fort, wo die Mama für einen Naturmodeversender arbeitete.

Knick führt zum Glück

1995 machte sich Veronika Kraiser selbstständig, entwarf eine Kinderkollektion und brachte 1996 von ihrer ersten Messe neue Kunden mit. Die Produktion mit biozertifizierter, fair gehandelter Baumwolle und Bio-Schurwolle startete, erste Mitarbeiter wurden eingestellt. Im Jahr 2000 wagte das Ehepaar Kraiser einen großen Schritt: Neben das Bauernhaus setzte es ein Produktionsgebäude, öko-gerecht als Holzbau. Der Aufwärtstrend verlief aber nicht geradlinig. 2008 brachen die Aufträge ein; auch die Hersteller von Naturmode ließen zunehmend im Ausland produzieren. Der Knick war ein Glück. Sonst wäre Veronika Kraiser nicht auf der Suche nach neuen Geschäftsideen dem Wanderschäfer Stotz begegnet. Beim zweiten Anlauf fuhren der Schäfer und die Designerin mit ihrer Wolle nach Belgien zum Waschen. Auf dem Rückweg über Frankreich entdeckten sie die Firma, die bis heute die weiße Merinowolle in feine parallele Kammzüge legt. Gefärbt wird in Deutschland, mit synthetischen Farbstoffen, aber von höchster Qualität, betont Kraiser.

Zum Spinnen tritt die Wolle eine Reise nach Rumänien an. Gestrickt wird wieder auf der Alb, in einem Kleinbetrieb in einem Nachbarort von Gächingen. Auch das Nähen will Kraiser unbedingt hier halten. Den Auftrag einer Handschuhfirma, die in Ungarn nähen lässt, hat sie deshalb abgelehnt. Kraiser: „Ich habe ein Faible für die regionale Produktion.“ Ihr können die Kunden zuschauen, wenn sie durch die Glasfront spickeln. Auf dem Schneidetisch trennt Lydia Reisner die Ballenware auf. Nach Maßgabe von Veronika Kraiser sind die bemusterten Bahnen schon in der Länge von Pullover oder Rock produziert. Mit dem Bandmesser werden die aufgetrennten Textilteile so geschnitten, wie es die Schablone vorgibt. Bis zu zwölf Näherinnen setzen Rücken- und Vorderteile zusammen und nähen dann Ärmel ein. Am Schluss wird das Nahtende mit einem Häkchen eingezogen – fertig. Fast. Gebügelt wird auch noch. Jetzt wandert die Ware in den Laden oder in den Versandraum.

Doch viele Kunden genießen den Einkauf in der Scheune des Bauernhauses, wo Kraisers 2011 den Laden auf vier Ebenen ausgedehnt haben. In vielen Regalen dominieren die Farben grau und beige. Für Veronika Kraiser ist das die Palette, die zu Albmerino passt. Buntes findet man in der Flomax-Linie. Die Merino-Mode ist von regionalen Motiven geprägt. „Die Silberdistel ist der ewige Renner“, sagt die Designerin, die im Bauernhaus einen Tisch mit Computer für sich reserviert hat: Das ist ihr Atelier, mit Blick auf den Kirchturm und einen Schuppen. Neben Pusteblume, Hagebutte, Schnecke und Schäfchen hat auch ein Alblinsen-Halm den Weg auf Herrenpullover und Damen-Cacheur gefunden.

Anfassen hilft gegen Vorbehalte

Die Kundschaft ist tendenziell etwas älter und reicht bis zur 100-Jährigen aus dem Altersheim, die auf Albmerino schwört, weil nichts besser wärmt. Sofort in die Waschmaschine stecken muss man die Schafwolle auch nicht, lüften reicht erstmal. Schafwolle kratzt doch, oder? „Ein ewiger Kampf“, jammert Kraiser. „Gegen das Vorurteil hilft nur Anfassen.“ Zu ihren Kunden zählen auch Gastwirte aus der Region, die ihre Angestellten mit Schäfle oder Silberdistel durchs Lokal schicken. Auch mit dem Biosphärengebiet Schwäbische Alb arbeitet Kraiser zusammen. 2012 hat sie versucht, ihren Kundenkreis nach Berlin auszudehnen, weil sich eine Bekannte anbot, einen Laden zu betreiben. Am Prenzlauer Berg liefen die Ökos jedoch am Merino-Laden meist vorbei. Nach zwei Jahren schloss Kraiser die Filiale. Gächingen funktioniert, Berlin nicht.

Seit letztem Jahr arbeitet die ganze Familie im Unternehmen. Neben Ehemann Volkert, der als Betriebswirt seit vielen Jahren dabei ist, sind die beiden Söhne eingestiegen. Maximilian hat die Auftragsbearbeitung übernommen und kümmert sich um die Maschinen, Florian ist für Marketing und Online-Verkauf verantwortlich, der immer wichtiger wird. Für die Ausdehnung der Produktion sind natürliche Grenzen gesetzt. Ein Schaf liefert pro Jahr vier Kilo Wolle. Und bislang will sich Veronika Kraiser ganz auf Gerhard Stotz verlassen. „Es kommt auf die Feinheit der Faser an und die richtige Länge – und das ist Vertrauenssache“, sagt die Firmenchefin. Schäfer Stotz habe den Blick für die Wollfaser. Für die Schäferei ist der Trend zur Naturwolle erfreulich. „Jetzt kommt wieder ein bisschen mehr Geld herein, sodass nicht nur die Schurkosten gedeckt sind“, sagt Schäfer-Gattin Bärbel Stotz.

Große Ziele setzen oder Businesspläne aufstellen, davon hält die Modemacherin von der Alb nicht viel. Rausgehen und auf die Kundschaft hören, das ist ihre Devise. Und zieht zufrieden Bilanz: „Ich habe meinen Traum gelebt: Modedesign studiert und jetzt bin ich Chefin einer eigenen Marke.“