Mutterform aus Gips zur Herstellung von Zeppelinen. Quelle: Unbekannt

Süßschnäbel sind hier im Paradies. Im Ersten Deutschen Zuckerbäckermuseum im malerischen Kraichtaler Ortsteil Gochsheim dreht sich auf drei Stockwerken alles um die Geschichte des Konditorenhandwerks.

Kraichtal Süßschnäbel sind hier im Paradies. Im Ersten Deutschen Zuckerbäckermuseum im malerischen Kraichtaler Ortsteil Gochsheim dreht sich auf drei Stockwerken alles um die Geschichte des Konditorenhandwerks. 700 historische Exponate zur Herstellung von Kuchen, Konfekt und Co sind in dem sorgfältig renovierten, landwirtschaftlichen Fachwerkgebäude von 1844 untergebracht, dessen Bauherr tatsächlich Zuckerbäcker war.

Im Erdgeschoss des 1986 eröffneten Museums stehen mehrere hundert Kilo schwere Maschinen zur Herstellung von Fondant, Marzipan, Nougat, Eis und Teig – der schmackhafte Rohstoff für die Crème de la Crème von Zuckerbackwerk wie Baumkuchen, Lübecker Nuss und Schwarzwälder Kirschtorte, Luxusgut, das einst dem Adel vorbehalten war. Torten für die breite Bevölkerungsschicht gibt es erst seit 200 Jahren, nachdem Zutaten wie Butter erschwinglicher und Zucker aus heimischen Rüben industriell hergestellt wurden. Bis A Zuckerbeil nfang des 17. Jahrhunderts konnte man Zucker und Konfekt ausschließlich in der Apotheke kaufen, weiß Gästeführerin Simone Dutzi, die im Wechsel mit vier weiteren Kollegen Besucher durch die süße Versuchung führt.

Heute funktionieren moderne Konditoreimaschinen immer noch nach dem Prinzip der schweren, mit Wasserkrafttransmission angetriebenen Schlagmaschine, der Teigknetmaschine oder der Tabliermaschine, mit der die pastöse Zuckermasse Fondant hergestellt wird – und die sind weit mehr als 100 Jahre alt. Es gibt ein riesiges Mahlwerk von 1900 zu bestaunen mit dem Mandeln für Nougat zu Brei gewalzt wurden. Mit dem Baumkuchenofen aus den 20er- bis 30er-Jahren lassen sich bis zu 20 köstlich karamellisierte Teigschichten herstellen. Am gut bestückten Konditorentisch wird man vom Zauber der Kindheit eingeholt. Dort darf dann auch genascht werden, wenn an Ostern Schokoladenhasen und an Weihnachten Nikoläuse gegossen werden oder der renommierte Chocolatier Eberhard Schell Edelschokolade schöpft.

„Gute Schokolade hat Facetten wie guter Rotwein“, schwärmt die Gästeführerin des Museums. Und sie wird ähnlich fachmännisch verkostet: Mit den Schneidezähnen ein Stückchen abknabbern, mit den Backenzähnen zermahlen und danach erst schlucken. Dann nimmt man auch bei Kakaobohnen aus Kuba den Geschmack von Tabak wahr. Schöner als die amerikanische Schriftstellerin Elaine Sherman kann man dem Genussmittel kaum h Konditorenzubehör uldigen: „Schokolade ist wunderbar, mild, sinnlich, tief, dunkel, üppig, befriedigend, potent, massiv, cremig, verführerisch, anregend, prachtvoll, exzessiv, seidig, glatt, luxuriös, himmlisch. Schokolade ist Ruin, Glück, Vergnügen, Liebe, Ekstase, Fantasie …“

Im frühen 19. Jahrhundert wurden neben Torten optisch opulente Eisspeisen in Konditoreien hergestellt. Man denke nur an die Fürst-Pückler-Eisbomben. Die Utensilien im Zuckerbäckermuseum sind schlichter. Neben einer Eismaschine für den Handbetrieb und einem alten Eisschrank, der mit Braucheis gefüllt wurde, steht auch eine Vitrine mit Utensilien zur Herstellung des leckeren Hüftgolds. Dekoblätter für Schokolade, Garnierspritze, Eisstange, Ausstecherle und zwei tellergroße Marzipanmodeln des Hauses Baden mit Porträts von Hilda von Baden und Großherzog Friedrich II., ihrem Mann. Die damit gefertigten Naschereien wurden laut Simone Dutzi an Untertanen verschenkt, die Besonderes geleistet hatten. Und sie erzählt den Mythos der Hildabrötle, die ihren Namen der letzten Großherzogin von Baden verdanken. Andernorts heißt das beliebte Weihnachtsgebäck mit Himbeergelee und Puderzucker Spitzbuben oder Pfau Rote Mutterform aus Gips für Zeppelin-Model enauge. Doch der Legende nach soll die sozial engagierte Adlige dem Hofkonditor den Auftrag gegeben haben, es für die ärmere Bevölkerung zu kreieren.

Im ersten Stock funkeln Hunderte von äußerst originellen Modeln, die der Düsseldorfer Sammler Alexander Pauels dem Zuckerbäckermuseum vermacht hat. Allesamt Raritäten, die heute nirgends mehr zu kriegen sind. Wer glaubt, dass die hohlen Formen aus Weißblech für Schokolade, Gusseisen für Zuckerbackkunst und, eher toxisch, aus Zink und Blei für Speiseeis nur an Weihnachten und Ostern Verwendung fanden, irrt. Die Formen entstanden 1830 in Frankreich und kamen 1860 nach Deutschland. In zahlreichen Vitrinen spiegeln sie die Zeitgeschichte in Form von Panzern, Flugzeugen, Schiffen, Weckern, Schuhen, Zigarren, Pistolen und Füllern wider. Ein 70 Zentimeter großer Deutscher Riese aus versilbertem Weißblech macht dem Eichhörnchen und der Ente, deren süßer Schokokern gut und gerne drei Kilo auf die Waage bringt, verlo ckende Konkurrenz. Wann die flüssige Schokolade die richtige Temperatur hat, um in den Model gegossen zu werden, spürt ein erfahrener Chocolatier an den Lippen.

Beim Lustwandeln in den zweiten Stock begleiten Spekulatiusformen an der Wand die Schleckermäuler; oben symbolisiert eine gasbetriebene Siebträgermaschine von 1910 aus einem Wiener Café die Caféhaus-Kultur. Eine Bonbonmaschine mit Messingrolle zum Ausformen der leckeren Plombenzieher lässt Kinderherzen höher schlagen, ein Zuckerbeil erinnert an die Kreuzritter, die im 11. Jahrhundert Zucker und Gewürze aus dem Nahen Osten nach Europa brachten. Auch die Entstehung der Hohlformen für rote Zuckerhasen oder karamellige Rahmhasen aus einer Mutterform wird dargestellt. Die Gipsformen stammen von der Firma Georg Lieb aus Stuttgart-Degerloch, die sich inzwisch en aus dem Zuckerformengeschäft zurückgezogen hat. Es gibt jede Menge Literatur über „das Gebot der Leckerheit“. Glutenfrei, vegan und kalorienarm sind die Stichworte des modernen Zuckerbäckertrends. Klassiker, wie Bienenstich und Sachertorte, modern aufgearbeitet, rücken ins Rampenlicht. Schließlich erkannte schon Goethe: „Die Menschheit, merk‘ ich, mag noch so sehr zu ihrem höchsten Ziele vorschreiten, die Zuckerbäcker rücken immer nach.“ Ein Leben ohne Zuckerbäckerprodukte wäre möglich, aber sinnlos.

Süße Aktionen

Das Erste Deutsche Zuckerbäckermuseum in der Hinteren Gasse 20 in Kraichtal-Gochsheim ist von Februar bis November sonntags von 13 bis 18 Uhr geöffnet. Gruppen- und Themenführungen sind jederzeit buchbar. Mehrmals im Jahr gibt es Sonderaktionen. Am Internationalen Museumstag, Sonntag, 13. Mai dreht sich alles um edle Schokolade, ebenso am 7. Oktober. Infos unter www.kraichtal.de, Telefon Stadtmarketing 0 72 50/77 44.