Gui Gedda - Kochpapst aus der Provence. Foto: Didier Vasse Quelle: Unbekannt

Im Schwäbischen ist Gelbe Rübe die gängige Bezeichnung. Die Farbbezeichnung Orange gab es früher nicht. Nummer 122 in „Carotae frictae oenogaro inferuntur“ war in der TatGeddas Hausrezept, nur eben auf Latein.

Von Gudrun Mangold

Gelbe Rüben, steht auf einem Schild, als Karotten sind sie am nächsten Stand ausgewiesen und als Möhren schließlich am dritten - ein ausländischer Besucher des Esslinger Wochenmarkts beispielsweise muss sich die Augen reiben, weil mit den entsprechenden Beschilderungen durchaus kein Gemüseeintopf zusammenkommt, sondern immer nur das eine gemeint ist: leuchtend orangefarbene, schlanke oder dicke Rüben, vielleicht mit ein paar Wurzelhärchen, wahlweise ohne oder - als Zeichen absoluter Frische - mit weichem, fiedrigem, sattgrünen Kraut.

Erklären könnte man es dem irritierten Fremden so: Wer hochdeutsch spricht, sagt entweder Karotte, was auf das lateinische carota oder das griechische karoton zurückgeht, oder man sagt Möhre oder auch Mohrrübe, was ähnlich schon im Althochdeutschen gebräuchlich war. Hingegen in den süddeutschen Dialekten und eben auch im Schwäbischen ist Gelbe Rübe die gängige Bezeichnung, auch wenn die schmackhafte Wurzel ja eigentlich fast nie gelb ist. Dafür gibt es eine simple Erklärung. Die Farbbezeichnung Orange gab es früher einfach noch nicht und kam erst mit der Zitrusfrucht Orange in den deutschen Sprachfarbkasten. Goethe beispielsweise umschrieb in seiner Farbenlehre solche Töne noch als rotgelb oder gelbrot. Jedenfalls ist eine Gelbe Rübe, und sei sie noch so orange, deutlich gelber als eine Rote Rübe. Und mit Letzterer ist immer Rote Bete gemeint. Gelbe Rüben und Rote Rüben haben rein gar nichts miteinander am Kraut - die zweiten gehören zur Familie der Fuchsschwanzgewächse.

Unsere Gelben Rüben hingegen zählen zu den Doldenblütlern, von denen eine ganze Schar in der Küche Verwendung findet. Unter den Gewürzpflanzen beispielsweise Anis, Dill und Kümmel. Als Gemüse kennt man aus dieser Familie etwa Fenchel oder Sellerie. Charakteristisch für alle sind die meist weißen, ein bisschen wie Schaum aussehenden Blüten, die auf Strahlen sitzen und zusammen die Form von aufgespannten Schirmchen ergeben. Gerade weil sich viele Doldenblütler sehr ähnlich sehen, sollte man höllisch aufpassen. Die einen sind überaus schmackhaft und gesund, aber andere sind giftig, wie die Hundspetersilie, oder sogar extrem giftig, wie der Schierling, mit dem der griechische Philosoph Sokrates hingerichtet wurde.

Dass die handelsüblichen Karotten meist orangefarben sind - egal, welche Form sie haben - wird in der einschlägigen Literatur gerne den Züchtungen ab dem 17. Jahrhundert und damals auftauchenden, angeblich ersten Abbildungen zugeschrieben. Doch auch schon die entsprechenden Zeichnungen im „Wiener Dioskurides“, einer 512 angefertigten Abschrift der Sammlung des gleichnamigen griechischen Arztes aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitzählung, sind bereits eindeutig orange koloriert. Gut zu sehen ist auf diesen Bildern auch, dass die Möhren damals noch reichlich verzweigt waren. Erst die späteren Züchtungen zielten auf eine möglichst kompakte Form.

Viele der uns heute bekannten Sorten tauchen seit Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts auf und kommen aus dem französischen Sprachraum. Darunter auch eine auf dem deutschen Markt besonders beliebte und bekannte Sorte: die orangefarbene „Nantaise“ mit ihren zahlreichen Untersorten, benannt nach der Stadt Nantes im westlichen Loiretal. Geschätzt wird nicht nur ihr frischer, leicht süßlicher Geschmack, sondern auch ihre zylindrische Form: Sie ist von oben bis unten etwa gleich dick. Klein und kugelrund hingegen, aber ebenfalls klassisch orange, ist die Sorte „Pariser Markt“, die nicht nur mit ihrer hübschen Form, sondern auch mit einem hohen Zuckergehalt verführt. Besonders bunt und formschön ist die „Violette Chantenay“ - sie ist alles auf einmal: oben breit, unten zur Spitze verengt, die Schulter ist dunkelviolett, die Mitte rotorange, die Spitze kann gelb bis weißlich sein.

Und richtig gelbe Gelbe Rüben? Gibt es auch. Zum Beispiel die „Jaune longue du Doubs“, benannt nach dem schweizerisch-französischen Fluss. Sie ist lang, spitz zulaufend und nur wenig süß, dafür aber robust und gut lagerfähig. Auch wenn in Europa die orangefarbenen Rüben stark dominieren, so gibt es tatsächlich auch weiße, gelbe, rötliche, violette bis fast schwarze Sorten je nach Herkunftsland. Nicht immer handelt es sich dabei zwangsläufig um alte Sorten, es können durchaus auch neuere Züchtungen sein.

Doch egal, welche Farbe und welche Form - die Karotte kann einfach alles. Sie ist die Tausendkünstlerin auf dem Tisch. Gar nicht zu toppen: frisch geerntet und gewaschen, einfach reinbeißen. Das klassische Butterbrot dazu empfiehlt sich, da das Provitamin A, für deren hohen Gehalt die Karotte berühmt ist, nur fettlöslich ist. Und dann - roh, gedünstet, gebraten, gekocht, gebacken, einfach alles ist möglich: Salat, Saft, Suppe, Gemüse, Kuchen - alles.

Vincent Klink fächert in seinem Buch „Voll ins Gemüse“ zum Beispiel eine Karotten-Safran-Suppe auf, einen Karottensalat mit Walnüssen und karamellisierte Gewürz-Karotten mit Peperoni. Angeregt durch die Rüblitorte, wie der bodenständige Stuttgarter Sternekoch schreibt, sei er auf die Idee gekommen, dass sich Karotten auch für ein Kompott eignen könnten. Dazu empfiehlt er, gewürfelte Karotten mit einer Vanille-Schote in wenig Wasser aufzukochen, teilweise zu pürieren bis zu einer „marmeladigen Konsistenz“, Zucker und nach Belieben frisch gemörserten Kardamom dazu zu geben.

Apropos Rüblitorte - die gehört seit 2008 zum kulinarischen Erbe der Schweiz und wird speziell dem Aargau zugeschrieben, das auch „Rüebliland“ genannt werde. Eines der ältesten gedruckten Rezepte findet sich in einer Rezeptsammlung der „Haushaltungsschule Kaiseraugst“ und geht - ganz nach Klinks Geschmack - in die Vollen: an Rüebli, Zucker, Haselnüssen oder wahlweise Mandeln werden jeweils ein ganzes Pfund angegeben, dazu kommen acht Eier und 100 Gramm Mehl, außerdem Backpulver, Saft und Schale einer Zitrone sowie Rum für die Glasur.

Die allerschönste Geschichte zu Karotten hat Gui Gedda zu erzählen - von der französischen Presse wird dieser große Koch aus Bormes-les-Mimosas an der Côte d’Azur gerne als „Papst der provenzalischen Küche“ bezeichnet oder auch poetisch als „Marcel Pagnol der französischen Küche“. Gedda sagt, er sei in der Küche geboren - alle seine Vorfahren waren Köchinnen und Köche. Eingewandert waren die italienischen Urgroßeltern aus dem Piemont nach Marseille. Die mitgebrachten Familienrezepte wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Darunter die „Carottes à la crème d’olives vertes“. Diese Karotten, die wie Kartoffelstifte frittiert werden, gelten als eine Spezialität der Geddas - Gui kennt niemanden sonst in der Provence, der Karotten auf diese Weise zubereitet. Eines Tages, als er für ein paar Hundert Leute zu kochen hatte, sei er von einem Monsieur von der Handelskammer auf die frittierten Karotten angesprochen worden - und dass sich doch auch bei Apicius ein solches Rezept finde. Das Erstaunen war riesengroß, am allermeisten bei Gui Gedda selbst. Er wusste damals noch nichts von Apicius, geschweige denn von einem Rezept aus der Antike, das seinem eigenen ähnle. Die Rede war von einer Sammlung, die als ältestes Kochbuch der Welt tituliert und einem Römer namens Apicius zugeschrieben wird. Ob ein Mann dieses Namens wirklich der Autor war, ist allerdings im Dunkeln.

Als gesichert gilt aber, dass die Rezepte im dritten oder vierten Jahrhundert zusammengestellt wurden. Gui Gedda war neugierig geworden. Tatsächlich fand er in besagter Schrift dann unter Nummer 122 das Rezept für „Carotae frictae oenogaro inferuntur“ - und in der Tat, es war sein Hausrezept, nur eben auf Latein. Die italienischstämmigen Geddas kochten also immerzu und bis heute wie die alten Römer! Wie das Rezept in die Familie kam, weiß Gui Gedda nicht - aber er weiß, wie man köstliche Karotten zubereitet.

Gui Gedda / Marie-Pierre-Moine: Die Küche der Provence. Eine Kochschule für Genießer. 352 Seiten mit 360 Farbfotografien. Dorley Kindersley. 24,95 Euro.

wie im alten rom - karotten nach gui gedda

Zutaten für vier Personen:

1,5 kg Karotten, 1/4 l Erdnussöl, 80 g oder 20 Stück grüne Oliven, 3 Knoblauchzehen, Blätter von drei Stängeln glatter Petersilie, 15 cl Sahne, 1 Esslöffel Butter, 2 Messerspitzen Salz, weißer Pfeffer aus der Mühle, ½ Glas Wasser

Die Karotten schälen und in dicke Stifte schneiden (wie Kartoffeln für Pommes frites). Zu beachten ist die lange Kochzeit auf kleiner Flamme zwischen 50 Minuten und einer Stunde, während der man die Karottenstifte oft drehen muss: Sie sollen keinesfalls knusprig werden, sie sollen garen, aber nicht rösten - das bedarf ständiger Aufmerksamkeit.

Nebenbei entsteint man die grünen Oliven, blanchiert sie zwei bis drei Minuten und lässt sie in einem Sieb abtropfen. Sind die Karotten gar, lässt man sie ebenfalls etwa eine halbe Stunde abtropfen.

In einer Schmorpfanne mit hohem Rand die Butter zerlassen, den Knoblauch und die gehackte Petersilie dazu geben, eine Minute lang mit einem Holzlöffel umdrehen, dann die Karotten und die Oliven dazu geben, zwei bis drei Minuten lang mehrmals vermengen. Leicht salzen, mit der Mühle pfeffern, die Sahne dazu geben und nach weiteren fünf Minuten auch das Wasser. Umdrehen, vermischen, probieren und die Soße abschmecken. Auf ganz kleiner Flamme weitere zehn Minuten sieden lassen. Dann in einer erwärmten flachen Schüssel servieren.