Auf einer solchen Liege wird Verurteilten die Todesspritze gesetzt. Foto: dpa/Paul Buck

Taiwan gilt international als Beispiel, dass eine chinesische Demokratie möglich ist. Dabei gibt es einen Makel: Noch immer wird an der Todesstrafe festgehalten. Eine Debatte darüber gibt es auch kaum.

Natürlich sind wir dagegen“, sagt Wang Si auf die Frage, die sie für eine der wichtigsten ihres Landes hält: Was tun mit der Todesstrafe? „Wir finden, kein Mensch sollte für eine Straftat mit dem Leben bezahlen, und sei sie noch so schwer.“ Ein Justizsystem solle zwar bestrafen, aber auch eine zweite Chance ermöglichen. „Die wäre mit dem Tod doch vorbei.“ Wang Si, eine junge Frau aus Taipeh, geht noch einen Schritt weiter: „Wir sind stolz darauf, eine Demokratie zu sein. Aber dann müssen wir auch die Menschenrechte wahren!“

Wang Si ist Stellvertretende Vorsitzende der Taiwan-Vereinigung für Menschenrechte (TAHR), einer der wichtigsten Nichtregierungsorganisationen in Taiwan, die auf eine stolze Geschichte zurückblicken kann: In den 1980er Jahren im Untergrund entstanden, zählt TAHR zu den Wegbereiterinnen der Demokratie in Taiwan. Sie kämpfte für die ersten freien Wahlen in den 1990er Jahren, eine freie Presse und eine unabhängige Justiz. Aber was die Todesstrafe angeht, fehlt Wang Si mittlerweile der Optimismus: „Wir fordern die Abschaffung schon lange. Auf uns wird nicht gehört.“

Aktuell sind 38 Personen in Taiwan zum Tode verurteilt, die noch auf ihre Vollstreckung warten. Im 23-Millionenstaat südlich des chinesischen Festlandes ist der Tod die rechtmäßige Strafe für Mord und einige weitere schwere Verbrechen. Weltweit sehen diverse NGOs die Todesstrafe als gravierende Menschenrechtsverletzung an, da sie das Recht auf Leben sowie Freiheit von Folter und Degradierung nicht achte. Unter der aktuellen Präsidentin Tsai Ing-wen sind zwar weniger Personen exekutiert worden als unter der konservativen Vorgängerregierung. Aber Bestand hat die Todesstrafe weiterhin.

Taiwan in mächtiger Gesellschaft

Damit befindet sich der Inselstaat zwar mit anderen großen Demokratien wie den USA und Japan in mächtiger Gesellschaft. Dennoch prangt damit an der taiwanischen Demokratie ein gehöriger Makel. Schließlich gilt Taiwan international als Beispiel dafür, dass eine chinesische Demokratie funktionieren kann. Denn in Festlandchina, wo die autoritär ausgerichtete Kommunistische Partei regiert und auch Anspruch auf die Insel Taiwan erhebt, betonen Offizielle immer wieder, eine Demokratie passe nicht zur chinesischen Kultur.

Taiwan, das offiziell „Republik China“ heißt, beweist seit Jahrzehnten das Gegenteil. Am Ende des Chinesischen Bürgerkriegs, den die Kommunisten gegen die Anhänger der Nationalen Volkspartei (KMT) gewannen, zogen sich die Nationalisten 1949 auf die Insel Taiwan zurück – und regierten hier zunächst als Militärdiktatur. Mitte der 1980er Jahre aber gelang eine Demokratisierung. Doch während diverse Elemente des Militärstaats beseitigt wurden, ist die Todesstrafe geblieben. Dies wiederum ist eine unangenehme Gemeinsamkeit mit dem chinesischen Festland, wo die Todesstrafe ebenfalls – allerdings in viel höherer Zahl – Anwendung findet.

In Festlandchina werden laut Schätzung internationaler NGOs jährlich Tausende Todesurteile vollstreckt. In Taiwan sind es unter der seit 2016 regierenden Tsai Ing-wen bisher zwei gewesen. Nur warum schafft sie Taiwan – das inmitten Pekings diplomatischer Isolierungspolitik gegenüber Taiwan immerzu um internationale Anerkennung kämpft – nicht einfach generell ab? Ho Meng-Hua hält das Thema für ein großes Tabu. Ho ist Abgeordnete in der Hauptstadt Taipeh für die auf nationaler Ebene regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) – jener Partei, die mehr als jede andere für eine liberale politische Ordnung auf der Insel steht. Aber zur Todesstrafe sagt Ho: „Das Thema ist einfach unangenehm.“ Zwar sei die DPP, inklusive der Präsidentin Tsai, grundsätzlich gegen die Todesstrafe. „Das trifft sogar auch auf einige Mitglieder der KMT zu“, versichert sie.

Extreme Gegenargumente

„Aber bei dieser Angelegenheit wird es sehr schnell sehr emotional. Wenn es einmal um die Abschaffung geht, kommen extreme Gegenargumente wie: ‚Was, wenn deine Familie getötet wird? Was würdest du dem Mörder wünschen?‘“ Ho glaubt auch, dass sich die Medien auf das Thema stürzen würden, wenn die Todesstrafe erst abgeschafft wäre und Schwerkriminelle diesem ultimativen Urteil entkämen. „Daher versuchen die großen Parteien, dieses Thema eher zu meiden.“

Dies ist umso beachtlicher, da die politische Debattenkultur in Taiwan bei anderen Themen mit Vehemenz geführt wird. Aber auch jetzt, wo die Insel kurz vor einer Präsidentschaftswahl im Januar steht, flammt rund um das Thema Todesstrafe keine allzu laute Debatte auf. Im Mai veröffentlichte die Zeitung Taipei Times zwar einen Artikel zweier britischer Professorinnen, die das „Death Penalty Research Unit“ an der Universität Oxford leiten, in dem gefordert wurde: „Die Zeit ist reif für Taiwan, das Richtige zu tun und die Todesstrafe abzuschaffen.“

Aber im Wahlkampf beansprucht dies niemand wirklich für sich. Es könnte auch daran liegen, dass eine Umfrage der eher konservativen Stiftung für das Volk im Herbst vergangenen Jahres ergab, dass an die 87 Prozent der Menschen in Taiwan gegen die Abschaffung einer Todesstrafe waren. Zwar hatte drei Jahre zuvor eine detailliertere Befragung durch das „Death Penalty Research Project“ auch offenbart, dass die Menschen überwiegend uninformiert sind über Praxis und Folgen, wie etwa die Vollstreckung gegen Unschuldige.

35 Menschen sind aktuell zum Tode verurteilt

Doch der überwiegende Eindruck für die meisten in Taiwan ist bis heute: Die Todesstrafe schaffe Sicherheit und Gerechtigkeit. So spielt sich die Debatte derzeit auf einer anderen, technischeren Ebene ab: 35 der aktuell zum Tode verurteilten Personen haben kürzlich darum gekämpft, in Revision auf andere Richterinnen stoßen zu dürfen als diejenigen, die das Urteil gegen sie ausgesprochen haben. Skeptische Stimmen sehen hierin einen Versuch, das Verfahren und damit die Vollstreckung hinauszuzögern. Das Verfassungsgericht entschied im August weitgehend gegen die Todeskandidaten.

Das wiederum war dann doch Anlass für ein bisschen Wahlkampf. So hat das Büro von Hou You-ih, Präsidentschaftskandidat der konservativen KMT, mittlerweile erklärt: „Wenn Hou You-ih Präsident wird, wird er definitiv wieder im Einklang mit dem Gesetz Exekutionen aufnehmen.“

Welttag gegen die Todesstrafe

International
Der Welttag gegen die Todesstrafe wird seit dem Jahr 2003 jährlich am 10. Oktober begangen. Seit 2007 ist dieser Tag in Europa auch der Europäische Tag gegen die Todesstrafe. Hintergrund ist der Kampf gegen die Todesstrafe, deren weltweite Abschaffung gefordert wird.

Länder
Es gibt jedes Jahr mehr als 500 Hinrichtungen. Die Todesstrafe gibt es in Jordanien, Kuwait, Libyen, Nigeria, Nordkorea, Oman, Pakistan, Palästinensische Gebiete, Saudi-Arabien, Singapur, Somalia, Sudan, Südsudan, Syrien, Taiwan, Thailand, Vereinigte Arabische Emirate, Vereinigte Staaten, Vietnam.