Weihbischof Gerhard Schneider beim Pontifikalamt mit in der Domkirche St. Eberhard in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Stuttgarter Gottesdienste der zwei großen Kirchen sind geprägt von der Coronapandemie. Weihbischof Schneider erinnert die Christen daran, dass es die Heilige Familie seinerzeit wohl auch nicht besonders heimelig hatte im Stall zu Betlehem.

Stuttgart - Trotz korrekt getragenem Mund-Nasen-Schutz ist die Dame im Vorraum der Domkirche St. Eberhard in Stuttgart unverkennbar glücklich, als ihr ein mangels Bedarf zurückgegebener Anmeldezettel für die Feier des Pontifikalamts am Morgen des ersten Weihnachtstages überreicht wird. „Ich dachte mir, ich versuche es einfach mal, obwohl eigentlich alle 140 Plätze vergeben waren“, sagt sie. Hätte es nicht mit dem Zutritt zum Gottesdienst geklappt, wäre sie auf die Online-Übertragung oder die Aufzeichnung im Internet ausgewichen. So sei es aber natürlich schöner.

Weihnachten 2020 werde „in einem Jahr der verlorenen Selbstverständlichkeiten“ begangen, stellt Weihbischof Gerhard Schneider kurz darauf fest. Im Kirchenraum gelten Abstandsregeln und Maskenpflicht. Eine Stimme aus dem Off weist die Gemeinde vor dem Gottesdienst darauf hin, welche Vorgaben während der Kommunion zu beachten sind und durch welche Tür das Gotteshaus während des Hochamts verlassen werden darf.

Das Vokalquartett bleibt beim Gesang allein

Gesungen wird abgesehen von der Liturgie nur auf der rechten Empore. Ein Vokalquartett und ein Streicherensemble übernehmen die musikalische Gestaltung. Lieder wie „Fröhlich soll mein Herze springen“ oder „Es ist ein Ros entsprungen“ vermitteln ein Gefühl der Vertrautheit. Dass niemand einstimmt, wirkt fremd. „Es ist Weihnachten wie immer und doch anders“, so Schneider, der mit Bischofsstab und FFP2-Maske die Festtagsstimmung anno 2020 geradezu verkörpert.

Auf seltsame Weise sei die notgedrungen weniger romantische und gemütliche Form der Andacht dem Anlass aber durchaus angemessen. Im Stall zu Betlehem sei es wahrscheinlich längst nicht so warm und heimelig gewesen, wie es die idealisierten Krippendarstellungen suggerierten, gibt der Weihbischof zu bedenken. Das ändere nichts daran, dass es Vielen zu schaffen mache, Menschen, die ihnen am Herzen lägen, nicht sehen zu können. „Es ist nicht das gleiche, wenn man sich vor der Kirche nicht umarmen kann“, findet Sophia (17), die sich nach dem rund einstündigen, kompakten Gottesdienst noch kurz Zeit genommen hat, eine Freundin zu begrüßen. Die Masken bleiben auf. Immerhin: Die beiden können sich persönlich schöne Feiertage wünschen.

Bischof July nennt medizinische Kräfte Freudenboten

In der evangelischen Stiftskirche gibt es nicht nur Anmeldekarten und markierte Sitzplätze, sondern sogar Platznummern. Der Raum wirkt sehr überschaubar gefüllt. Dennoch: Es ist eine gemeinsame Feier. „Wir brauchen ein starkes Erleben von Gemeinschaft. Wir brauchen Weihnachten“, betont Landesbischof Frank Otfried July, der in seiner Predigt Sorgen und Dunkelheit mit Bildern der Hoffnung kontrastiert.

Die Notärzte, Krankenschwestern oder Polizisten, die in den vergangenen Tagen mit ihrem Tanz zum Lied „Jerusalema“ Aufsehen erregten, würdigt er als Freudenboten; „Als Christen wollen wir uns, berührt durch die Botschaft von Weihnachten, mit allen Menschen guten Willens neu verbinden. Mit Menschen, die trotz großer Lasten tanzen, die für uns in Forschung, Pflege, Bildung und anderswo arbeiten und Lösungen suchen.“ Auch wenn es darum geht, Gräben zu überwinden. Als Beispiel nennt July das West-Eastern Divan Orchestra, in dem Israelis und Palästinenser gemeinsam musizieren und auf diesem Wege Brücken bauen.

Coronaregeln zwischen Feierlichkeit und Verantwortungsbewusstsein

„Das Jahr 2020 hat die Menschen in ein Exil der ganz eigenen Art gebracht“, kommentiert July die pandemiebedingte Tendenz zum Rückzug ins Private, zur Vereinzelung oder gar Vereinsamung. „Mir war es gerade dieses Weihnachten wichtig, den Gottesdienst zusammen mit anderen zu feiern“, benennt ein Herr seine Beweggründe für den Kirchgang.

Bedenken hinsichtlich der Ausbreitung des Corona-Virus hat er im Zusammenhang mit den Weihnachtsgottesdiensten nicht. Die Hygienemaßnahmen empfindet er als überzeugend. „Soweit ich weiß, gab es bislang nur bei freikirchlichen Veranstaltungen Probleme, wo sich die Leute einfach zu nahe kamen“, sagt er. „Hier werden alle Regeln befolgt. Das ist vielleicht nicht besonders feierlich, aber dafür verantwortungsbewusst.“