Von Nico Fricke

Das Prozedere war einfach und eingespielt: Die Gewerkschafter fordern sechs Prozent mehr Geld, die Arbeitgeber bieten zwei, dann gibt es ein paar Warnstreiks - und man trifft sich irgendwo in der Mitte. So oder ähnlich verliefen die Tarifrunden in der Metall- und Elektroindustrie in den vergangenen Jahren. Und so hätte sie auch dieses Jahr wieder verlaufen können - wäre nicht die Mitte abhandengekommen, der natürliche Treffpunkt für einen Kompromiss. Unvereinbar wie noch selten zuvor stehen sich die Positionen von IG Metall und Arbeitgebern gegenüber. Die Gewerkschaft knüpft ihre Lohnforderungen an die Option für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten, die Arbeitszeit befristet auf 28 Wochenstunden senken zu können - bei einem Teillohnausgleich für bestimmte Personengruppen. Die Arbeitgeber halten dieses Modell für rechtswidrig, pochen aber ebenfalls auf eine Flexibilisierung der Arbeitszeit - allerdings nach oben.

Wenige Tage vor der nächsten Verhandlungsrunde hat die IG Metall mit Warnstreiks den Druck erhöht - eine Eskalation des Konflikts ist wahrscheinlich. Doch einen längeren Arbeitskampf in der deutschen Schlüsselindustrie kann sich niemand wünschen. Die Gewerkschafter dürfen den Bogen nicht überspannen, die Arbeitgeber müssen sich ein Entgegenkommen abringen. Wer das Recht auf Arbeitszeitverkürzung durchsetzen will, muss auch Lösungen anbieten, wie die Mehrarbeit in Zeiten des Fachkräftemangels aufgefangen werden kann. Doch das hieße Rütteln an der 35-Stunden-Woche. Ob die Gewerkschaft dazu bereit ist?