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Stuttgart - Der Landtag hat den zweiten NSU-Untersuchungsausschuss eingesetzt. Das Gremium soll unter anderem noch nicht geklärten Verbindungen der Rechtsterroristen ins Land nachgehen. Vorsitzender ist wie in der vergangenen Wahlperiode der frühere Landtagsvizepräsident und Esslinger Landtagsabgeordnete Wolfgang Drexler (SPD).

Der neue NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags ist eingesetzt. Er soll unter anderem prüfen, was die Rechtsterroristen ins Land geführt hat. Gibt es bereits Hinweise auf besondere Zentren, mögliche Verbindungen zu Rockern oder in die rechte Musikszene?

Drexler: Einige mögliche Kontakte der Terroristen nach Baden-Württemberg sind bekannt, auch zu Personen, die auch in der rechtsradikalen Musikszene aktiv sind. Als prominente Beispiele für Verbindungen der Terrorgruppe nach Baden-Württemberg möchte ich die „Spätzles-Connection“ und die Band „Noie Werte“ nennen. Die Mitglieder der Terrorgruppe sollen zu einigen Personen aus der rechtsextremen Szene in Baden-Württemberg enge Beziehungen gepflegt haben, die „EG Umfeld“ kam im Jahr 2014 zu dem Schluss, dass von 1993 bis 2001 allein circa 30 Besuche des Trios in Ludwigsburg belegt seien. Zwei Lieder der Band „Noie Werte“ wurden als Untermalung für ein nichtveröffentlichtes Bekennervideo der Terrorgruppe verwendet, darüber hinaus soll beispielsweise ein Band-Mitglied im Januar 2000 bei einer NPD-Veranstaltung gesagt haben, „den Dreien ginge es gut“. Aus dem vorgehenden NSU-Untersuchungsausschuss habe ich eine aus über hundert Namen von Personen und weiteren Namen von rechtsradikalen Bands und Gruppierungen bestehende Arbeitsliste, die alle für das Netzwerk der Terrorgruppe relevant sein könnten.

Nach wie vor Grund für Spekulationen ist die Rolle der Geheimdienste. Untersuchungsgegenstand des zweiten Ausschusses ist auch, ob auf der Theresienwiese in Heilbronn bei der Ermordung der Polizistin Kiesewetter Geheimdienstler in der Nähe waren. Lässt sich nach so langer Zeit noch etwas Konkretes finden?

Drexler: Wir haben inzwischen alle relevanten Akten zu diesem Thema, zudem sind nun noch zwei weitere Zeugen beschlossen worden. Es wird nun darum gehen, die verschiedenen Stücke, also die aus dem letzten Untersuchungsausschuss bekannten Zeugenaussagen, die Akten, die Erkenntnisse anderer Gremien und die nun hinzukommenden Zeugenaussagen zu einem möglichst tragfähigen Mosaik zusammen zu setzen. Wir werden noch einen BND-Mitarbeiter und einen früheren Mitarbeiter der US-Streitkräfte laden, der einen großen Anteil bei der Entstehung der Vermutungen über eine Anwesenheit amerikanischer Dienste gehabt haben dürfte.

Gesucht wird auch nach Menschen, die den Terroristen möglicherweise Unterschlupf gewährten oder ihnen sonst halfen. Warum war das nicht bereits Gegenstand der Polizeiarbeit?

Drexler: Natürlich war das auch schon Gegenstand der Polizeiarbeit. Wir werden aber genau hinschauen, wo es noch Möglichkeiten gibt, die Untersuchungen voranzutreiben. Zudem ist es auch unsere Aufgabe als Untersuchungsausschuss, den Behörden bei ihrer Arbeit über die Schultern zu schauen und zu prüfen, was getan wurde, was versäumt wurde, wo Fehler gemacht wurden und welche Schlüsse daraus für die Zukunft zu ziehen sind.

Der neue Ausschuss soll unter anderem auch Verbindungen des Ku-Klux-Klan zum NSU und zu den Verfassungsschutz-V-Leuten Corelli und Primus überprüfen.

Drexler: Unser neuer Untersuchungsauftrag sieht ausdrücklich das Verhältnis der Ku-Klux-Klan-Gruppen in Deutschland im internationalen Kontext und ihre Bedeutung für die Terrorgruppe „NSU“ vor. Dabei wird auch die Frage zu stellen sein, ob die Gruppen über gemeinsame Kontakte in die USA die Terrorgruppe unterstützt haben. Zudem soll Achim S., der Gründer der EWK/KKK (European White Knights of the Ku Klux Klan), als Zeuge vernommen werden, nachdem eine Vernehmung durch den Vorgängerausschuss nicht möglich war. In dem von ihm gegründeten Geheimbund war auch der V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz, „Corelli“, Mitglied. Laut Zeitungsberichten soll eine Unterhaltung von „Corelli“ und Achim S. aus dem Jahr 2000 dokumentiert sein, wo „Corelli“ angeregt habe, dass Waffen für die Gruppe über Ralf M., also „Primus“, besorgt werden sollten.

Die jüngsten Erkenntnisse im Fall des 2014 unter ungeklärten Umständen verstorbenen V-Mannes „Corelli“ sind eine neue Pleite für die Behörden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat zum Beispiel Handys falsch oder gar nicht ausgewertet - ein Versagen wie nach dem Flammentod des Neonazi-Aussteigers Florian Heilig auf dem Cannstatter Wasen. Was ist los bei den Behörden?

Drexler: Diese Vorfälle bestürzen mich und ich bin der Meinung, dass man solche Fehler klar und öffentlich benennen muss. Nur so kann das Vertrauen in die öffentlichen Institutionen wiederhergestellt werden. Ich will aber nicht von einem generellen Versagen sprechen, letztendlich haben wir in der vergangenen Ausschussarbeit auch einige Beispiele von geradezu vorbildlicher Ermittlungsarbeit erlebt. Ich möchte exemplarisch nur die Ermittlungen im Todesfall Arthur C. nennen. Letztendlich gilt es aber, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, hierzu soll der Untersuchungsausschuss beitragen.

Gefragt wird im Untersuchungsauftrag auch danach, ob im Land Akten zum Komplex NSU vernichtet wurden. Gibt es dafür Hinweise?

Drexler: Der letzte Ausschuss hat sich damit schon beschäftigt und bislang keine Hinweise darauf gefunden. Das LKA hat im Jahr 2012 für die Polizei auf eine Anregung des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages eine Untersuchung durchgeführt und keine Indizien finden können. Auch im Landesamt für Verfassungsschutz wurde uns nichts dazu bekannt, hierzu wurde auch die Präsidentin als Zeugin befragt. Das Justizministerium hat dem Untersuchungsausschuss mitgeteilt, dass außer Einzelvorgängen zu Gefangeneneingaben bis einschließlich 1994 keine Aktenaussonderungen von Vorgängen, die den Untersuchungsausschuss betreffen, stattgefunden hätten. Der neue Ausschuss soll sich aber weiter mit der Frage beschäftigen und weitere Untersuchungen vornehmen.

Im neuen Ausschuss ist auch die AfD vertreten. Welche Auswirkungen erwarten Sie auf die Arbeit?

Drexler: Ich hoffe, dass dies keine negativen Auswirkungen auf die Aufklärungsarbeit des Ausschusses haben wird.

Die Fragen stellte Hermann Neu.