Foto: Plant viele Neuerungen: Christof - Plant viele Neuerungen: Christof Wolfmaier, Rektor der Hochschule Esslingen

Kein Wissenschaftsparadies. Bewerberzahlen gehen zurück, die Konkurrenz ist da, die Wirtschaft verändert sich, neue Anforderungen entstehen. Die Hochschule Esslingen möchte sich diesen Fakten stellen: Rektor Christof Wolfmaier plant eine Strukturreform bis 2030. Mit vielen Neuerungen.

EsslingenLehre im luftleeren Raum. Wissenschaft im wirkungslosen Nichts. Forschung in formlosen Fakultäten. Weiterbildung als wertloser Ballast. Das braucht kein Studierender. Darum möchte Rektor Christof Wolfmaier solche Tendenzen gar nicht erst aufkommen lassen: Elfenbeintürme werden gekippt und die Hochschule Esslingen fit gemacht für einen bis 2030 angestrebten Idealzustand. Ein „herausragender Bildungsort und innovativer Impulsgeber für Wirtschaft, Technik und Soziales und deren Interaktion“ soll sie werden.

Hochschulen sind keine Planeten, die um sich selbst kreisen. Sie sind eingebunden in ein Sonnensystem aus Gesellschaft, Wirtschaft, anderen Lehrinstituten, Studierenden. Doch dieses System könnte in Schieflage geraten, meint Christof Wolfmaier: Der demografische Wandel sorgt für weniger Bewerber, Esslingen steht im Wettbewerb mit anderen Hochschulen wie Stuttgart, Karlsruhe oder der Ludwig-Maximilians-Universität München, sich verändernde Rahmenbedingungen in der Wirtschaft stellen etablierte Studiengänge in Frage, und aktuelle Weiterentwicklungen von Berufsbildern erfordern aktualisierte Lehrinhalte. Doppelstrukturen hemmen das Fortschreiten, der Campus Göppingen steht auf dem Prüfstand, Baumaßnahmen, Sanierungen und der Standort Weststadt verlangen Neuausrichtungen. Darauf muss reagiert werden. Die Hochschule braucht daher laut Christof Wolfmaier ein „attraktives, abgestimmtes, bedarfsgerechtes und weltoffenes Studienangebot“ sowie gut ausgestattete, zukunftsfähige Standorte und Infrastrukturen. Die Einrichtung muss sich als innovativer Impulsgeber etablieren, und ihre einzelnen Bereiche, Technik, Wirtschaft und Soziales, sollen miteinander verbunden werden. Seine Marschroute: Weiterführung des bestehenden Betriebs bei Verbesserung einzelner Bereiche.

Hier bringt Rektor Wolfmaier seine Strukturreform ins Spiel. Indem er schlecht laufende Prozesse vom Platz nimmt, Doppelstrukturen die rote Karte zeigt, Selbstbestimmung und Eigeninitiative aus dem Abseits holt. Kleine Fakultäten müssen weg. Sie haben zu wenig Spielraum, sind nicht schlagkräftig genug, verzetteln sich im Detail. Das große Ganze zählt. Darum möchte Christof Wolfmaier die Zahl der bisher elf Fakultäten an der Hochschule Esslingen auf sechs begrenzen - ausgestattet mit jeweils 30 Professoren sowie 750 bis maximal 1000 Studierenden. Inhaltlich miteinander verzahnte Ausbildungsgänge werden auch organisatorisch zu Mammutfakultäten mit erweiterten Potenzialen verbunden. Einzelne Studiengänge bleiben zwar erhalten, werden aber in größeren Einheiten an den drei Standorten effizient zusammengefasst: Angewandte Naturwissenschaften und Gebäude-Energie-Umwelt, bisher eigenständig, sieht Christof Wolfmaier vereint in der Stadtmitte von Esslingen, die Noch-Einzelfakultäten Betriebswirtschaft und Wirtschaftsingenieurwesen werden als eine Fakultät in Göppingen und der Esslinger Weststadt platziert, die Fahrzeugtechnik bleibt in der Stadtmitte. Informationstechnik kommt in die Weststadt, Maschinenbau, Mechatronik und Elektrotechnik werden in Göppingen und der Stadtmitte verortet, und Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege schließlich als sechste der neuen Fakultäten werden in die Weststadt verlagert.

Sechs Fakultäten also. Und sie bilden sechs separate Einzelsäulen im Organigramm der Hochschule? Nicht der Sinn der Sache, grätscht Christof Wolfmaier dazwischen: „Die etwa 6000 Studierenden und elf Fakultäten steckten bisher in einem relativ starren Konzept, in Silos, in denen sie sich vertikal bewegten“. Nun soll alles anders werden. Flexibler, dynamischer, schlanker. Überflüssiges fliegt raus, Ähnliches wird zusammengefasst, Synergien genutzt. Die neue Hochschulstruktur sieht keine hierarchisch aufgeschichtete Pyramide, sondern eine gut ausdosierte Matrix in einer Art Tabellenform vor. Querverbindungen machen die Einzelfakultäten durchlässiger in den Grenzen, von allen abrufbare Dienstleistungen ermöglichen fächerübergreifende Zusammenarbeit, zentrale Einrichtungen bieten die Chance zu gemeinsamen thematischen Schwerpunkten. Bespiel: Internationalität. Sie, so Christof Wolfmaier, fand bisher an drei verschiedenen Stellen statt - der Graduate School, einer eigenständigen Fakultät mit Unterrichtssprache Englisch, dem International Office und dem Institut für Fremdsprachen. Die Drei werden nun unter einem Dach zusammengefasst und stehen künftig als neu formierte Einheit mit gebündelten Angeboten allen sechs Fakultäten unter dem Arbeitstitel „Internationales“ zur Verfügung. Ebenso die Digitalisierung der Lehre, ein extra aufgebautes Weiterbildungsangebot oder eine stark verbesserte Studieneingangsphase.

Mega-Fakultäten. Große, inhaltlich harmonisierende Einheiten. Vertikale Säulen im Hochschulgefüge. Durch horizontale Querverstreifen wie Digitalisierung oder gemeinsame Weiterbildungsangebote miteinander verlinkt. Klingt gut. Reicht aber nicht. Christof Wolfmaier will mehr. Die sechs Fakultäten müssen sich intern und aus sich selbst heraus inhaltlich optimieren, effizient umbauen, sich neuen Gegebenheiten anpassen. „Reorganisation in Eigenregie“ lautet das Schlüsselwort. Doch es gibt Unterstützung. Fünf, sechs Themen-Scouts möchte der Rektor aus dem Kompetenzpool der Hochschulprofessoren heraussuchen. Sie formieren sich dann zu einer Ideenschmiede, die eigenständig Neues austüftelt - das Lehrangebot ergänzende Studiengänge, zusätzliche Forschungsgegenstände, weitere Wissenschaftsprojekte. Ein Gremium, das das Gesamtsystem Hochschule im Auge behält, sich unabhängig-autonom seine Themen selbst sucht, mit eigenen Geldmitteln, Personal, Raumflächen, Kapazitäten und Kompetenzen ausgestattet ist. Seine Vorschläge gehen direkt an den Senat. Im Optimalfall erwachsen daraus Verbesserungen. „Im schlimmsten Fall sind wir einem falschen Hype gefolgt, haben ein Thema überbewertet, aufs falsche Pferd gesetzt. Aber auch das wäre ein Lernprozess“, meint der Rektor. Wolfmaiers Traum: Visionen werden zu Veränderungen, Strategien zu Strukturen, Perspektiven zu Plänen, Gedankenkonstrukte zu Konzepten.