Aus Sicht der Anlieger wird die Mutzenreisstraße immer mehr von der Wohn- zur Durchgangsstraße. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Fast neun Monate war die Zollbergstraße im vergangenen Jahr halbseitig gesperrt. Die Leidensgeschichte setzt sich im nächsten Jahr fort – wieder zum Leidwesen der Mutzenreissträßler.

EsslingenEigentlich ist es gute Tradition, dass die Stadtverwaltung zu einer Einwohnerversammlung immer irgendein kleines Bonbon in den jeweiligen Stadtteil mitbringt. Nicht so am Donnerstagabend im Zollberger Waldheim. Gut, es gab ein Buch und warme Worte für die ausscheidenden Bürgerausschussmitglieder Rena Farquhar, Kerim Coskun und Hartmut Gerhardt. Aber ansonsten hatten OB Jürgen Zieger und sein Team für die Zollberger nur Bitteres im Gepäck. Das hat sich die Verwaltung nicht ausgesucht. Aber dass sie es betont desinteressiert und wenig vermittelnd ans Publikum brachte, hat man ihr schon übelgenommen.

Ein dreiviertel Jahr lang war vor allem der Zollberger Westen vom Umleitungsverkehr gepeinigt, bedingt durch die halbseitige Sperrung der Zollbergstraße und die Bauarbeiten rund um den Festoknoten. Darunter hatte vor allem die Mutzenreisstraße gelitten. „Die ohnehin immer mehr zunehmende Verkehrsbelastung hat sich durch die Baustelle noch verschärft“, so der amtierende Bürgerausschussvorsitzende Peter Zürn. Der Bürgerausschuss wünschte sich deshalb „verkehrsregelnde Maßnahmen und eine weiträumigere Umleitung, wenn im nächsten Jahr der zweite Bauabschnitt in der Zollbergstraße kommt.“

Doch stattdessen mussten die Zollberger erfahren, dass der rutschende Hang in der Kehre bei der Hausnummer 46 im kommenden Jahr nur unter Vollsperrung der Hauptverkehrsachse saniert werden kann. Immerhin soll der Festoknoten bis dahin fertig sein. Allerdings wird 2019 auch ein Radweg an der Champagne entstehen, zudem kündigt sich im Tal die Sanierung der Vogelsangbrücke (2019/2020) an. Fazit: Auch im kommenden Jahr wird die Mutzenreisstraße wieder Teil der Umleitungsstrecke sein – dieses Mal dann sogar bei einer vorübergehend komplett abgeriegelten Baustelle, bedauerte Tiefbauamtsleiter Uwe Heinemann.

Aus Sicht des Ordnungsamts haben die Belastungen für die Mutzenreissträßler in den vergangenen Jahren jenseits der Umleitungszeit jedoch nicht wesentlich zugenommen. Zu Beginn der halbseitigen Sperrung der Zollbergstraße im vergangenen Mai seien sie zwar drastisch in die Höhe geklettert. Doch dann hätten sie sich wieder normalisiert – meint jedenfalls Christian Völkel: „Der Verkehr ist wie Wasser, er sucht sich seinen Weg dort, wo er durchkommt.“

Das sahen die Anwohner der Mutzenreisstraße ganz anders. Monika Perignon hatte bereits im vergangenen Jahr Baubürgermeister Wilfried Wallbrecht eine lange Unterschriftenliste übergeben – und nie etwas von ihm gehört. In den vergangenen Tagen hat sie wieder mehr als 200 Unterschriften gesammelt – und Autos gezählt. Und sie kam auf wesentlich mehr Durchgangsverkehr als die Verwaltung. So fordern die Anlieger der Mutzenreisstraße zumindest für die Umleitungszeit eine gleichmäßigere Belastung der umliegenden Straßen. Zum Beispiel eine vorübergehende Einbahnregelung für ihren Straßenzug und die Eichendorffstraße. Beides seien 30er-Straßen, da könne man die Eichendorffstraße nicht immer mit dem Verweis auf die Grundschule außen vor lassen. Der OB indessen hielt nicht viel von großräumigen Umleitungen, die die Fahrer zu noch längeren Wegen brächten und die Luft noch schlechter machten. Sein Baubürgermeister meinte: „Das führt nur zu Verkehrsverlagerungen.“

Um den Verkehr nach den Umleitungszeiten wieder in seine Schranken zu bringen, brachte eine andere Anliegerin die Pförtnerampel an der Hohenheimer Straße ins Spiel. Das vor etlichen Jahren als Verkehrsbremse auslegte Teil lasse mittlerweile nicht mehr nur noch drei bis vier, sondern sechs bis sieben Autos durch. Was nicht nur eine Zuhörerin im Saal festgestellt hatte. Bürgermeister Winfried Wallbrecht indessen bestritt, dass da jemand an der Grünschaltung gedreht habe.

Wenig Freude gab es auch beim Dauerbrenner Pfeifferklinge. Seit zwölf Jahren ist die Fußgängerverbindung über dem darunter liegenden Kanal in die Pliensauvorstadt abgesperrt. Zürn: „Daran haben sich schon vier Bürgerausschüsse abgearbeitet.“ Der neu gewählte wird es wieder tun müssen. Denn mittlerweile, musste Heinemann einräumen, hat sich hinter den Gittern „ein Biotop“ gebildet, das die Sanierungsarbeiten zusätzlich erschwere. Die sind ohnehin knifflig, „denn hier geht das gesamte Mischwasser durch die Klinge“. Deshalb muss ein 1,60 Meter breiter Tunnel gebaut werden. Dafür braucht man große Maschinen und Platz, weshalb die Stadt jetzt in den Grunderwerb eingestiegen ist. Sprich: Baubeginn für den Kanal ist frühestens 2020, bis 2022 ist mit einem Deckel darauf nicht zu rechnen. Den hat man sich dann als „gut befestigten Schotter- oder Waldweg“ vorzustellen.

Eher ein Waldpfad wird künftig auch der Weg über den Eisberg, den die Verwaltung aus Sicherheitsgründen gesperrt hatte und für einen höheren sechsstelligen Betrag wieder öffnen möchte. Doch da müsse der ATU noch drüber, wollte Heinemann noch nicht mehr verraten. Die schnelle Verbindung über den Alicensteg in die Stadt, die auch am Donnerstagabend wieder vermisst wurde, wird es aber definitiv nicht mehr geben, bekräftigte Wallbrecht.

Schwaches Ergebnis für den amtierenden Bürgerausschuss

Ausgang: Mit Rena Farquhar, Kerim Coskun und Hartmut Gerhardt haben sich drei Mitglieder aus dem Bürgerausschuss verabschiedet. Für die 15 Plätze im neuen Gremium hatten sich 16 Kandidaten beworben. Dabei haben die jungen Neuen den alten Hasen im Gremium den Rang abgelaufen: Stimmenkönig ist mit 60 Kreuzchen Erstbewerber Dominik Laux, der sich für bessere Radwegeverbindungen und mehr Aufenthaltsqualität am Zollernplatz einsetzen will. Apothekerin Annette Demuth-Weiss ist mit 52 Stimmen die einzige aus dem alten Gremium, die sich unter den Top fünf halten konnte. Nur eine Stimme hinter ihr liegt Katrin Bunjes-Thie, selbstständige Hebamme und ebenfalls Erstbewerberin. 48 Stimmen erhielten Filiz Mutlu-Alexiou, die das Schreibwarengeschäft samt Postfiliale am Zollernplatz betreibt, und die junge Nina Volpp, beide auch erstmals Kandidatinnen für den Bürgerausschuss. Dagmar Schmid, seit 2006 im Gremium, kam mit 47 Voten auf Platz sechs. Peter Zürn, der amtierende Vorsitzende , landete gemeinsam mit Erwin Bär und Placido Di Fazio bei 46 Stimmen und Rang sieben. Die weitere Reihenfolge: Cornelia Kling (43), Felix Hausmann (43), Jürgen Seifried (43) Gertraud Epple (42), Ulrich Klein (40) und Wolfgang Schiegg (38). Nicht gewählt wurde Petra Leins (35) . Von 71 abgegebenen Stimmzetteln waren drei ungültig.

Einschätzung: Ist der Bürgerausschuss zu nah an der Verwaltung dran, nimmt er die Stimmungen im Stadtteil nicht mehr richtig wahr? „Ich war nie der Stimmenkönig, ich bin auch nicht populistisch. Das Ergebnis ist vielleicht dem geschuldet, dass ich mich als Vermittler zwischen Bürger und Verwaltung sehe, also als Sachwalter für beide Seiten im Sinne einer guten Lösung“, bleibt der langjährige Vorsitzende Peter Zürn gelassen. Dieses Jahr hätten eben die Mutzenreissträßler ihre Leute verstärkt ins Gremium gewählt .Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, dass der Bürgerausschuss mit seinem Einsatz für die veränderte Busführung nicht gut angekommen sei. Zürn bestreitet das.