Von Petra Bail
Esslingen - Zweieinhalb Jahre mussten die Esslinger Fans darben. Jetzt steht die Kurzhosengang mit einem neuen Abenteuer wieder auf der Matte. Zoran Drvenkars dritter Band „Die Kurzhosengang und das Totem von Okkerville“ hatte in einer temporeichen und witzigen Bühnenfassung von Jakob Weiss für Zuschauer ab elf Jahren Premiere an der Jungen WLB. Nach wie vor stapfen die vier Freunde in kurzen Hosen durch den kanadischen Winter auf der Bühne im Podium 2. Diesmal jedoch nicht in himmelblauen Nickipullis, sondern im zünftigen Naturburschenlook mit Fellhosen und Lederweste. Aber die Hosen sind immer noch kurz. Woher die Vorliebe des Berliner Autors für den Kanadischen Winter kommt, weiß nicht mal er selbst. Das nordamerikanische Land hat er nie besucht. Schnee findet er toll. Blödsinn auch. Für seine Bücher legte er sich Fantasie-Pseudonyme kanadischer Schriftsteller und die passende haarsträubende Biografie zu, die bereits höchst amüsanter Teil der fantasiestrotzenden, unglaublichen Abenteuer sind.
Yves Lanois, in einem Vorort von Toronto geboren, gründete mit zehn Jahren einen der ersten kanadischen Horrorclubs und war berühmt für seine Auftritte in Geisterbahnen. Dem entsprechend fielen seine ersten Schreibversuche aus. Rein zufällig lag er auf der gleichen literarischen Wellenlänge wie Victor Caspak, der bei seinen Tanten in Toronto aufwuchs. Mit 17 schrieb er für eine Sportzeitschrift und hatte Jobs als Eisrinkratte (kein Mensch weiß, was das ist), Krankenwagenfahrer und Schneeschieber. Auf einer Angeltour hörten die beiden vom Mythos der „Short ones“, also der Kurzhosen, lernten im selben Jahr die Kurzhosengang kennen und schrieben deren unglaublichen Abenteuergeschichten auf. Und ebenfalls rein zufällig stammt die „angebliche“ deutsche Übersetzung der Bände von keinem geringeren als Andreas Steinhöfel, einem der genialsten Kinder- und Jugendbuchautoren hierzulande.
Wer weiß, vielleicht ist ja Zoran Drvenkar in Wirklichkeit Andreas Steinhöfel oder umgekehrt. Genauso, wie die Kurzhosengang gleichzeitig auch die Pauli-Gang ist, der größte Widersacher seit Kindergartenzeiten. Bei Drvenkar muss mit dem Absurdesten gerechnet werden. Auf jeden Fall muss man mächtig auf der Hut sein, bei diesem lustvollen und spannenden Verwirrspiel, einer anspruchsvollen Jonglage mit der Kontingenz - es könnte so sein, wie erzählt, aber auch ganz anders. Das kurbelt das Kopfkino der Zuschauer mächtig an. Damit das ganze Theater nicht aus dem Ruder läuft und jeder etwas anderes sieht, hat Jakob Weiss die verschlungenen Pfade des urkomischen Horrortrips mit Vampiren und Mumien mit einem roten Faden dramaturgisch verknüpft.
Auftritt Pauli-Gang. Den düsteren Westernhelden mit sicheldünnen Revolverhelden-Bärtchen hat Elena Gaus schwarze Cowboymänteln auf den Leib geschneidert, damit auch optisch keine Zweifel aufkommen, dass die vier Bandenmitglieder, genannt Pauli eins, zwei, vier und fünf (drei fehlt bewusst) die Bösewichte sind. Sie wollen Snickers, Rudolpho, Island und Zement von der Kurzhosengang an den Karren fahren - und das auch noch in einem Samba Bus, der mitten in der kanadischen Eiswüste von der Straße gefegt wird.
Die Pauli-Gang ist hinter dem Totem her, das auf mysteriöse Weise gleichzeitig mit Islands Vater verschwunden ist. Blöd nur, dass das Stammeszeichen das Schutzschild und Glücksbringer von Okkerville ist, die Heimatstadt der beiden Gangs, 100 Kilometer nördlich von Toronto. Actionreich wird der Interessenskonflikt ausgetragen. In Sportlehrer Kniescheibes Samba Bus donnern die Kurzhosen nach Kotzebue, einer Stadt in Alaska. Dort befinden sich laut der alten Laroux, einer hellsichtigen Vampirin mit Sonnenbrille, Island Vater Franco und das Totem. Island soll das Erbe des Vaters antreten, „Donnervogel“ und damit unsterblich werden. Doch, wer will schon immer zwölf Jahre alt bleiben, während die Freunde altern? Island nicht. Dafür aber der 126-jährige Urgroßvater von Pauli fünf, der Uri heißen möchte, den aber alle die Mumie nennen, weshalb auch er hinter dem Totem her ist. Die vier Freunde rennen, reiten, fahren mit 120 Stundenkilometer enge Serpentinen im Samba Bus und stürzen in einem akrobatischen Szenario mit dem größten Transporthubschrauber der Welt, einem Kehrbesen, ab. Zement stellt die Feindseligkeiten mit der Pauli-Gang auf den Prüfstand. Keiner weiß, woher die Animositäten rühren. Statt großem Show-down gibt’s eine Versöhnung. Mit Pauli eins kommt er zum Schluss, dass Vertragen gut ist, ein kleiner Kampf ab und an aber auch. Und so steht dem gemeinsamen Pommesessen mit Pauli eins nichts im Weg.
Weitere Vorstellungen am 1. und 28. Oktober.