Der Esslinger Gemeinderat hat sich nach der Kommunalwahl im Mai in seiner jüngsten Sitzung neu konstituiert. Dabei stellten die Linken einen Antrag auf die künftige Übertragung der Ratssitzungen im Livestream. Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Die Fraktion der Linken im Gemeinderat Esslingen möchte, dass Sitzungen per Livestream übertragen werden. Ob der Vorschlag umgesetzt wird, darüber wird der Ältestenrat diskutieren – aber das dauert noch.

EsslingenDer gläserne Abgeordnete! Der Esslinger Gemeinderat könnte diesem Idealbild ein Stück näher rücken: Denn die dreiköpfige Fraktion der Linken hat in der jüngsten Sitzung des Gremiums den Antrag gestellt, die öffentlichen Zusammenkünfte des Rates und seiner Ausschüsse künftig per Livestream zu übertragen. Das sorge für mehr Transparenz der Arbeit, so die Begründung.

Nachmittags um 16 Uhr – der Termin der Esslinger Gemeinderatssitzungen. Ein Termin, der den Besuch vieler Berufstätiger schon aus Zeitgründen ausschließt. Ein Grund, warum die Linken die „Übertragung, Aufzeichnung und Archivierung des öffentlichen Teils der Ratssitzungen und der Ausschüsse“ eingefordert haben. Außerdem, so heißt es in dem Antrag der Fraktion weiter, treffe der Rat relevante Entscheidungen für alle Bürger, und durch den Einsatz der neuen sozialen Medien könnten die Entscheidungen besser nachvollzogen werden. Die größere Transparenz sei eine Motivation für den Antrag, ergänzt Heinrich Brinker, Kreisvorstandssprecher der Linken, auf Anfrage der Eßlinger Zeitung. Es gehe aber auch darum, junge Menschen für Politik zu gewinnen und sie dort abzuholen, wo sie abgeholt werden können – über die neuen sozialen Medien.

Esslingen ist den Linken nicht genug: Der Antrag, so Heinrich Brinker, soll in allen Gemeinden im Kreis gestellt werden, in denen seine Partei im Gemeinderat vertreten ist, also in Kirchheim, Ostfildern, Leinfelden-Echterdingen und Filderstadt. Für viele Gemeinderäte, so der Linken-Kreisvorstandssprecher, könne die Übertragung der Sitzungen per Livestream eine Umstellung bedeuten. Bisher würden nur die Stadtabgeordneten und wenige Zuschauer den Verlauf der Debatten verfolgen, doch mit der Nutzung der neuen sozialen Medien sei die breite Öffentlichkeit mit im Boot. Das würde dann auch eine andere Art der Präsentation nach sich ziehen: „Man muss versuchen, seine Beiträge interessanter zu gestalten.“ Dass manche Gemeinderatspunkte nicht unbedingt zu Adrenalinstößen bei den Zuhörern führen, gibt auch Heinrich Brinker zu. Doch die Themen würden die Bürger unmittelbar betreffen, darum könne auch das Interesse groß sein: „Es wäre schön, wenn der Funke bei wichtigen Punkten auf die Bürger überspringen würde.“

Bis dieser Funke wirklich zündet, kann es indes noch etwas dauern. Nach Angaben von Roland Karpentier, Pressesprecher der Stadt Esslingen, wird das Thema Übertragung der Ratssitzungen per Livestream zunächst vom „Ältestenrat“ behandelt. Dieses nach der Kommunalwahl neu zusammengesetzte Gremium bestehe zum einen aus zehn Mitgliedern der sechs Esslinger Gemeinderatsfraktionen mit je zwei Personen der Fraktionsspitze von SPD, CDU, Grünen und Freien Wählern sowie je einer Person von FDP und der Linken. Außerdem gehört Oberbürgermeister Jürgen Zieger dem „Ältestenrat“ an: „Anwesend sind stets auch alle städtischen Bürgermeister in ihrer Funktion als Dezernenten.“ Die nächste Sitzung des „Ältestenrats“ steht laut städtischem Pressesprecher am Montag, 16. September, an. Bei einer großen Themenfülle könne der Antrag auf Übertragung der Gemeinderatssitzungen im Livestream aber auch auf eine spätere Zusammenkunft verschoben werden. Der „Ältestenrat“ hätte den Vorteil, dass in ihm Vertreter aller Fraktionen zugegen sind, die dann im kleineren Kreis das Thema erörtern können. Denn, so gibt Roland Karpentier zu bedenken, es müsste wohl aus Datenschutzgründen das Einverständnis aller 40 Esslinger Gemeinderäte eingeholt werden, bevor an eine Übertragung überhaupt zu denken sei.

Im Gemeinderat vertretene Fraktionen stehen dem Vorstoß der Linken indes positiv gegenüber. Bei der SPD hat das sogar einen sehr persönlichen Grund: Zwei junge SPD-Kandidaten für die Kommunalwahl am Sonntag, 26. Mai, hätten im Vorfeld des Urnengangs in einer Pressemitteilung genau den gleichen Vorschlag gemacht, weiß SPD-Fraktionsvorsitzender Andreas Koch. In einer Medieninfo vom Mittwoch, 15. Mai, hätten sich die jungen Sozialdemokraten für „die Einführung von Videomitschnitten von Gemeinderatssitzungen“ eingesetzt, „um mit zeitgemäßen Medien eine größere Transparenz in der Esslinger Kommunalpolitik zu erreichen“. Er wolle nicht von „Ideenklau“ sprechen, so der Genosse. Doch schon allein aufgrund der SPD-Pressemitteilung begrüße seine Fraktion den Vorstoß der Linken.

Ebenso wie die FDP. Die Liberalen möchten aber laut ihrer Fraktionsvorsitzenden Rena Farquhar einen Probezeitraum von einem halben Jahr für die Maßnahme. Dann könne geschaut werden, ob die Livestreams auch angeschaut würden. Es mache keinen Sinn, die Infrastruktur für etwas zu schaffen, das dann nicht genutzt werde, so die FDP-Gemeinderätin. Die CDU-Fraktion hat laut ihrem Fraktionschef Jörn Lingnau noch nicht über den Antrag der Linken beraten. Doch er persönlich, so der promovierte Christdemokrat, sei für eine Liveübertragung per Livestream offen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf einen Vorstoß seiner Fraktion, der ebenfalls für mehr Transparenz in der kommunalpolitischen Arbeit sorgen solle: Die Christdemokraten im Esslinger Gemeinderat hätten in der letzten Legislaturperiode nachgefragt, ob die digitale Erfassung von Abstimmungsverhalten und -ergebnissen möglich wäre. Diese Maßnahme würde klar anzeigen, welcher Abgeordnete wie abgestimmt habe, so Jörg Lingnau.

Auch die Freien Wähler treten laut ihrer promovierten Fraktionsvorsitzenden Annette Silberhorn-Hemminger dafür ein, „dass sich die Bürgerinnen und Bürger schnell, ohne große Hürden - wie zum Beispiel langes Suchen auf der Esslinger Homepage - und fundiert über die aktuellen Themen der Kommunalpolitik informieren können“. Dazu brauche es entsprechende Angebote: „Die Liveübertragung der Sitzungen kann eine mögliche Maßnahme sein. Bevor man sich aber nur darauf konzentriert, sollte zunächst vorgestellt werden, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt und wie erfolgreich diese in verschiedenen Kommunen eingesetzt werden. Damit hätten wir eine vernünftige Entscheidungsgrundlage.“ Carmen Tittel von den Grünen spricht sich für eine gute Einbeziehung der Öffentlichkeit in die Gemeinderatsarbeit aus, betont aber auch, dass das Thema innerhalb ihrer Fraktion noch nicht beraten worden sei.