Das Buchstabenspiel Scrabble ist bei allen Generationen sehr beliebt. Foto: Holzwarth Quelle: Unbekannt

„Ein gutes Gesellschaftsspiel darf nicht überladen sein mit komplizierten Mechanismen.“

Von Matthäus Klemke

Die Digitalisierung hat jeden Bereich des Alltags erreicht. Brett- und Kartenspiele erfreuen sich im Spielzeughandel aber ungebrochener großer Beliebtheit. Auch jetzt in den Ferien wird viel gespielt. Spieleentwickler Bernhard Naegele aus Wernau erläutert, was ein gutes Spiel ausmacht. Besonders gefragt sind Spiele, bei denen die Teilnehmer kooperieren. Und immer öfter werden Brettspiel und moderne Technik verbunden.

Seit Videospiele und Apps den Markt dominieren, verstauben Klassiker wie „Mensch ärgere Dich nicht“ oder „Monopoly“ in Kellern - sollte man meinen. In Wirklichkeit sind Brett- und Kartenspiele erfolgreicher denn je. Der Verein Spieleverlage, Verbund der wichtigsten Spieleverlage im deutschsprachigen Raum, meldet erneut einen Umsatzanstieg. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum legte der Absatz von klassischen Familienspielen und Puzzles in den ersten acht Monaten um zehn Prozent zu. Würfel-, Wort- und Strategiespiele hatten einen deutlichen Zuwachs. Die Firma Ravensburger erzielte im vergangenen Geschäftsjahr eine Umsatzsteigerung von 19,2 Prozent. Ein Grund dafür war die höhere Nachfrage im Spiele-Segment. Der Erfolg von digitalen Spielen scheint sich auf die Beliebtheit von klassischen Gesellschaftsspielen also nicht negativ auszuwirken. Laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens Ipsos spielen 47 Prozent der Deutschen zumindest gelegentlich Gesellschaftsspiele. Am beliebtesten sind die Klassiker „Monopoly“, „Mensch ärgere Dich nicht“ und Rommé.

Auch im Nürtinger Kaufhaus Hauber ist die Nachfrage nach Brett- und Kartenspielen ungebrochen: „Das hat nie wirklich nachgelassen“, sagt eine Mitarbeiterin: „Besonders beliebt sind Kartenspiele.“ Aber auch die Spiele, die zum „Spiel des Jahres“ gewählt werden, sind bei den Kunden sehr gefragt. Dass Brett- und Kartenspiele nichts von ihrem Charme verloren haben, zeigten auch die Besucherzahlen auf der weltweit größten Spielemesse in Essen. Mit 174 000 Besuchern aus aller Welt war die 34. Auflage der Messe so erfolgreich wie nie zuvor.

Unter den Ausstellern war auch Bernhard Naegele, Spieleentwickler aus Wernau. Für den Verlag Adlung testet und erfindet er neue Spiele. „Die erste Idee für ein Spiel hatte ich 1998, als ich mir im Kino den Film ,Titanic‘ ansah. Da dachte ich mir, dass man aus der Geschichte ein Kartenspiel machen sollte.“ Wenige Wochen später erschien „Titanic - Der Mythos“.

Gespielt hat der 52-Jährige schon immer gern, eine richtige Leidenschaft wurde aber erst 1992 daraus. Was macht eigentlich ein gutes Gesellschaftsspiel aus? Fünf Kriterien sollten laut Naegele erfüllt sein. Erstens braucht ein gutes Spiel einen einfachen Einstieg. „Es ist zu beobachten, dass die Fähigkeit der Leute, Regeln zu lesen, abnimmt. Bei einigen Spielen werden die Regeln mittlerweile sogar im Videoformat erklärt. Es darf nicht zu schwer sein, in das Spiel reinzukommen.“ Zweitens muss ein Spiel beim ersten Durchgang Spaß machen: „Spiele bekommen in der Regel nur eine Chance. Wenn es beim ersten Mal keinen Spaß macht, landet es im Schrank oder im Keller und verstaubt dort.“

Drittens sollte kein Spieler am Ende mit leeren Händen dastehen: „Auch diejenigen Spieler, die nicht gewinnen, sollten am Ende das Gefühl bekommen, etwas geleistet zu haben.“ Womit er zum vierten Kriterium kommt: „Frühzeitiges Ausscheiden geht heute gar nicht mehr.“ Jeder Teilnehmer einer Spielerunde sollte zu jeder Zeit eine Aufgabe haben. Das fünfte und letzte Kriterium ist auch das am schwersten zu erfüllende: „Ein Gesellschaftsspiel darf nicht überladen sein mit komplizierten Mechanismen.“ Spieleentwickler neigen dazu, dem Spieler immer mehr Möglichkeiten an die Hand zu geben und machen das Spiel damit häufig unnötig kompliziert. „Die Kunst ist es, ein Spiel so simpel wie möglich zu halten.“

Im Trend liegen Kooperations-Spiele wie „Pandemic Legacy“, bei dem Spieler nicht gegeneinander, sondern gemeinsam gegen das Spiel antreten. „Die Handlung entwickelt sich während des Spiels und man weiß nie genau, wie es weitergeht“, sagt Naegele.

Ein weiterer Trend ist die Verbindung von klassischem Brettspiel mit moderner Technik. „Eine Handvoll Spiele benötigen eine App, die man auf das Smartphone herunterlädt. Das Gerät wird dann zum Teil des Spiels“, so der Spielentwickler. So gilt es bei dem Spiel „Die Alchemisten“, magische Tränke zusammenzubrauen. Die einzelnen Zutaten müssen mit Hilfe der App gescannt werden.

Andere Spiele wie „Scrabble“ und „Uno“ gibt es als Vollversion für das Smartphone und Tablet. Für Naegele sind diese digitalen Varianten aber nicht mit den klassischen Spielen zu vergleichen: „Eine App kann einem nicht das Gefühl vermitteln, das man hat, wenn man gemütlich mit Freunden oder der Familie zusammensitzt.“

Eine ähnliche Meinung vertritt Claudia Werntgen, Lehrerin an der Fritz-Ruoff-Schule. Sie unterrichtet im Rahmen der Erzieherausbildung das Lernfeld „Spiel“: „Kinder lernen und entwickeln sich dann, wenn sie Beziehung erleben. Diese Beziehung ist bei digitalen Spielen nicht gegeben.“

Werntgen betont die Bedeutung von Gesellschaftsspielen für die Entwicklung von Kindern: „Brett- und Kartenspiele in der Gemeinschaft gespielt, können die gesamte kindliche Persönlichkeitsentwicklung stärken. Zum Beispiel wird die sozial-emotionale Entwicklung durch das gemeinsame Tun und Erleben gestärkt, auch regt es zum Sprechen an. Im Rahmen der motorischen Entwicklung wird die Feinmotorik trainiert.“