Kim Jong Un besteigt den Zug nach Wladiwostok. Foto: AFP/STR

Beim Treffen von Russlands Präsiden Wladimir Putin und Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un dürfte es um Waffengeschäfte gehen.

Am Dienstagmorgen überquerte der olivgrüne Sonderzug im Schneckentempo die nordkoreanische Grenze nach Russland. Statt der einstündigen Flugroute nach Wladiwostok, wählte Kim Jong Un für seine erste Auslandsreise seit vier Jahren ein kugelsicheres, aber raucherfreundliches Zugabteil. Wegen der maroden Gleise und der tonnenschweren Sicherheitsausrüstung ist Nordkoreas Machthaber über 20 Stunden unterwegs.

Ob sich die beschwerliche Reise lohnt, dürfte von Wladimir Putins Gunst abhängen. Ein Treffen zwischen den Staatschefs ist inzwischen von offizieller Seite bestätigt. Details zum Gipfel sind bislang jedoch Spekulationen. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass Kim und Putin am Rande eines Wirtschaftsforums in Wladiwostok aufeinandertreffen. Russische Medien mutmaßen, dass auch ein Besuch des Weltraumbahnhofs Kosmodrom Wostotschny auf dem Programm steht.

Doch auch ohne offizielle Agenda ist klar, worum es bei dem Treffen geht: Putin braucht dringend Munition, um den Nachschub für seinen Angriffskrieg in der Ukraine zu gewährleisten. Und er hofft, sich aus den riesigen Beständen des nordkoreanischen Militärs versorgen zu können.

Ironie der Geschichte

Historisch betrachtet wäre dies eine ironische Wendung: Während des Koreakriegs (1950-53) war es das Kim-Regime, das bei der Sowjetunion um militärische Unterstützung bat. Erst durch die Waffenlieferungen Moskaus konnte Pjöngjang seine Invasion gegen den kapitalistischen Süden starten.

Auch in den kommenden Jahrzehnten hielt Moskau mit billigem Öl und militärischem Schutz den nordkoreanischen Staat am Leben. Dennoch war die Beziehung zwischen beiden Ländern ambivalent: Im eigenen Interesse spielte Pjöngjang regelmäßig die Sowjetunion und China gegeneinander aus. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs schwand jedoch Nordkoreas Bedeutung, und Russland interessierte sich zunehmend für das wirtschaftlich erstarkte Südkorea.

Seit dem Ukraine-Krieg aber ist Machthaber Kim zum wichtigen Verbündeten aufgestiegen. Die entscheidende Frage lautet nun: Ist Putin bereit, im Austausch für Munition den Nordkoreanern bei der Modernisierung ihres Atomwaffenprogramms zu helfen? Das würde nicht nur der Westen als Affront betrachten, sondern auch die chinesischen Regierung. Peking will vor allem Stabilität in der Region. Die ständigen Raketentestes der Nordkoreaner sind der Volksrepublik schon längst ein Dorn im Auge.

Regime mit Marotten

So wird das Kim-Putin-Treffen in Washington und Seoul mit Argusaugen beobachtet. Am Dienstag ermahnte Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol seinen russischen Amtskollegen, er solle „verantwortungsvoll handeln“. Aus dem Weißen Haus kamen schärfere Töne: Für Waffengeschäfte mit Russland werde Nordkorea „einen Preis dafür zahlen“, warnte Jake Sullivan, nationaler Sicherheitsberater der Biden-Regierung. Gemeint sein dürfte damit eine neue Sanktionsrunde der US-Amerikaner.

Ungeachtet der Resultate, stellt der Gipfel eine Zäsur für Nordkorea dar. In der Pandemie hatte kein Land seine Grenzen früher geschlossen und keines blieb vergleichbar lang vom Rest der Welt abgeschirmt. Erst seit wenigen Wochen gibt es wieder Flugrouten zwischen Pjöngjang und Peking. Mit seiner Moskau-Reise signalisiert Machthaber Kim das Ende der pandemischen Isolation.

Dass er im persönlichen Zug anreist, hat mit Sicherheitsbedenken des Regimes zu tun. Zugleich ist dies das skurrile Gebaren einer anachronistischen Diktatur. Laut südkoreanischen Medienberichten verfügen die 20 Waggons nicht nur über einen Karaoke-Raum und einen Weinkeller, sondern auch über eine medizinische Notfallstation. Des weiteren habe Kim seinen Mercedes dabei.

Bereits sein Vater Kim Jong Il, der lebenslang an fürchterlicher Flugangst litt, absolvierte seine Reisen bevorzugt mit dem Zug. Im Dezember 2011 soll er während einer Inspektionstour in Nordkorea während einer Zugreise gestorben sein.