In starker Verfassung: Alexander Zverev Foto: dpa/Eduardo Munoz Alvarez

Der Hamburger Alexander Zverev steht in der dritten Runde der US Open und scheint zu alter Stärke zurückgefunden zu haben.

Als Alexander Zverev am 3. Juni letzten Jahres im Sand von Paris dem French Open-König Rafael Nadal gegenüberstand, war er nahe dran am größten Sieg seines Lebens – und auch am Sprung auf Platz eins der Weltrangliste. Die Tennisgötter und das Schicksal hatten allerdings anderes mit ihm vor, Zverev knickte beim Stand von 6:7 und 6:6 böse um, sieben Bänder im rechten Fuß waren gerissen. Eine lange, schwere, entbehrungsreiche Reise begann für Zverev, ewige Stunden in der Rehabilitation, einsamer Drill in Fitnessräumen, stoische Trainingsroutine. Und der bittere Blick darauf, wie ihm die langjährigen Rivalen und neue Gesichter in der Branchenspitze davon eilten.

Auf die harte Tour Geduld gelernt

„Geduld ist nicht meine Stärke gewesen, aber ich habe sie auf die harte Tour gelernt“, sagte Zverev, als er zu Jahresbeginn wieder in den Tourzirkus einstieg. Wahrscheinlich hat es bis zu den laufenden US Open gebraucht, um aus Zverev wieder jenen eisernen Wettkämpfer und Matchplayer werden zu lassen, der sich mit den Besten der Branche hochklassig messen kann. Dort, wo es am meisten zählt, bei den Grand Slams. Bei jenen Klassentreffen der Topleute, die eine Karriere definieren und bestimmen. Als Zverev in der Nachtshow des Samstags den früheren ATP-Weltmeister Grigor Dimitrow (Bulgarien) mit 6:7 (2:7), 7:6 (10:8), 6:1 und 6:1 niedergerungen hatte, wirkte es wie ein Meilenstein im Comeback-Jahr des 26-Jährigen. Wie ein Zeugnis-Nachweis, dass nun wirklich wieder mit ihm gerechnet werden muss.

Der Sieg war umso wertvoller, da Dimitrow einen der stärksten Auftritte der vergangenen Jahre lieferte, es war für Zverev der willkommene und erfolgreiche Härtetest für das, was in der zweiten US-Open-Woche noch kommen wird und kann – nicht zuletzt schon an diesem Montag im Achtelfinalduell gegen den Südtiroler Ballermann Jannik Sinner, die Nummer sechs der Tennis-Charts, dann insgesamt 458 Tage nach dem Schmerzerlebnis von Paris.

Alexander Zverev hatte zu Saisonbeginn betont, die Saison 2023 werde „ein Prozeß“ für ihn, die fortwährende Anstrengung, sich nah und näher an die Eliteprofis heranzutasten. Er erlebte manch bittere Stunde dabei, und auch wenn er sich vornahm, Langmut zu zeigen, gingen die Niederlagen doch an die Substanz. Zverev wechselte in seinem Team einige Mitstreiter aus, zuletzt ging sogar einer der ältesten Getreuen von Bord, der französische Physio Hugo Gravil. Im Kern vertraute der deutsche Frontmann schließlich zuallererst auf die Expertise seines Vaters Alexander senior oder auch dem früheren Doppelpartner seines Bruders Mischa, dem Russen Michail Ledowskich – er dient Zverev als Sparringspartner.

Wo steht Zverev? Das war die am häufigsten gestellte Frage in diesem Jahr. Zunächst drehte sich dabei alles ums Körperliche, um das Thema, wie Zverev seinen hässlichen Fehltritt bei den French Open verkraftet hatte, wie sehr ihn die böse Verletzung aber womöglich auch psychisch hemmen könnte. Zverev konnte da bald Entwarnung geben, im Frühjahr fühlte er sich voll wiederhergestellt. Aber Anschluss zu finden an die Spitzentruppe fiel schwer. Ein ums andere Mal verlor er gegen die Top-Ten-Konkurrenz, ob sie nun Alcaraz, Medwedew oder Rublew hieß. Bei den French Open, die dank günstiger Auslosung im Halbfinale endeten, kam das Aus gegen den Vorjahres-Finalisten Casper Ruud, sang- und klanglos.

In Cincinnati kam die Wende

Zverev war und blieb im internationalen Maßstab noch kein großes Gesprächsthema. Auch, weil sich inzwischen eine neue „New Generation“ auf den Center Courts etablierte, weil einer wie Carlos Alcaraz mit aller Macht das Rampenlicht auf den großen Bühnen beanspruchte. Und weil Novak Djokovic auch mit Mitte Dreißig noch immer großen Pokalhunger nachwies. Bis weit in diesen Sommer sah es so aus, als könne Zverev in dieser Gemengelage keine große Rolle in den Machtkämpfen spielen, auch wenn ihm zwischenzeitlich ein emotionaler Heimsieg am Hamburger Rothenbaum gelang. Dort aber waren seine eigentlich wichtigsten Gegner nicht angetreten.

Beim Masters-Turnier in Cincinnati bekam die Geschichte aber einen neuen Dreh. Gegen Daniil Medwedew landete Zverev den ersten Sieg gegen einen Top-Ten-Gegner nach der Verletzung, im Halbfinale lieferte er Djokovic einen leidenschaftlichen Kampf, verlor knapp in zwei Sätzen. In der ersten US Open-Woche wirkte es alles in allem so, als habe Zverev nun das Paket zusammen, um die härtesten Prüfungen meistern zu können. Nach den beiden Auftaktpartien auf Court 17 und dem Drittrunden-Ausflug ins Armstrong-Stadion wird Zverev gegen Sinner zur Standortbestimmung auf den Center Court marschieren – dort, wo er vor drei Jahren denkwürdig das Finale gegen Dominic Thiem verlor.