Die Leserinnen und Leser haben die Stuttgarter und Stuttgarterinnen des Jahres 2023 gewählt. Zudem gab es einen Sonderpreis. Wer sind die Menschen, die die Ehrenamtspreise erhalten haben und was machen sie? Ein Einblick in den Abend mit der Preisverleihung.
Großer Bahnhof für die Freiwilligen in der Stadt Stuttgart: Zum zehnjährigen Jubiläum der Verleihung des Ehrenamtspreises waren nicht nur die aktuellen Nominierten und deren Paten eingeladen, auch die Sieger der Vorjahre waren zahlreich vertreten beim Festakt in der Volksbankzentrale in Bad Cannstatt.
Dort wurde am Donnerstag stellvertretend das Engagement der vielen Ehrenamtlichen gefeiert, denn darin sind sich alle Akteure vor und hinter den Kulissen der Auszeichnung Stuttgarter/Stuttgarterin des Jahres einig: Alle, die sich in ihrer Freizeit für die Gemeinschaft und das Miteinander engagieren, haben eine Anerkennung verdient. Der Preis wird von der Stuttgarter Zeitung, den Stuttgarter Nachrichten und der Volksbank Stuttgart gemeinsam verliehen. Das Preisgeld in Höhe von insgesamt 12 000 Euro spendet die Genossenschaftsbank.
Ehrenamt macht Mut und Hoffnung
Andreas Haas, Mitglied des Vorstands der Volksbank Stuttgart und bereits zum dritten Mal Gastgeber des Festakts, freute sich, dass so viele Preisträger und Preisträgerinnen aus den Vorjahren der Einladung gefolgt waren und betonte, dass das freiwillige Engagement heute einen ganz besonderen Stellenwert hat: „In so unruhigen Zeiten mit Konflikten überall auf der Welt, mit Tendenzen zur Spaltung und dem Auseinanderdriften ganzer Gesellschaftsteile wird unsere Demokratie derzeit auf die Probe gestellt. Aber es lohnt sich, für sie zu kämpfen und sich für sie zu engagieren. Ihr Beispiel, ihr Vorbild macht Mut und Hoffnung für eine lebenswerte, bunte und demokratische Gesellschaft.“
Oberbürgermeister Frank Nopper stellte zum zehnjährigen Jubiläum des Ehrenamtspreises eine stattliche Liste von zehn Punkten auf, die dieses Engagement so wertvoll machen: Es stärke die städtische Gemeinschaft und fördere die Integration und „in einer Welt, in der man fast alles kaufen kann, ist es unbezahlbar.“ Vor allem aber sei es eine Win-Win-Situation, denn auch die Ehrenamtlichen hätten so eine Möglichkeit, sich persönlich weiter zu entwickeln.
Ansporn zum eigenen Engagement
Anne Guhlich, die stellvertretende Chefredakteurin der Stuttgarter Zeitung, betonte im Talk mit Moderator Jan Sellner (Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten), dass hinter dem Ehrenamtspreis auch die Idee stecke, Menschen ins Scheinwerferlicht zu rücken, die das verdienen. Darüber hinaus sollen so andere Menschen dazu ermutigt werden, sich auch ehrenamtlich zu engagieren. „Gerade in diesen Zeiten sollten wir uns nicht nur auf extremistische Entwicklungen konzentrieren, sondern auch auf die andere Seite schauen: Auf die vielen Stuttgarter und Stuttgarterinnen, die täglich aktiv Demokratiearbeit machen, indem sie einen Beitrag dazu leisten, dass die Gesellschaft nicht auseinanderdriftet“, betonte Anne Guhlich.
Der Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten, Christoph Reisinger, würdigte die positive Wirkung des breit gestreuten freiwilligen Engagements auf das Zusammenleben und die Demokratie: „Die größte Stärke ist die Vielfalt der Stadt. Wenn ich bei den Projekten sehe, wer engagiert sich wofür, sehe ich, dass dies ein klarer Gradmesser für Integration ist.“ Der Schub, der aus der Freiwilligkeit kommt, sei ein Kitt, der stärker sei als das, was man verordnen könne, sagte Reisinger.
Die Sieger des Wettbewerbs wurden Anfang des Jahres durch ein Online-Voting bestimmt. Die Jury, zu der auch die frühere Spitzenturnerin Kim Bui und der Stuttgarter Nachtmanager Nils Runge gehörten, hatte neun Kandidaten und Kandidatinnen nominiert und 7786 Leser und Leserinnen gaben ihre Stimme ab. Insgesamt waren für den Ehrenamtspreis 43 Einsendungen im Pressehaus eingegangen.
Der Sonderpreis der Jury
Außer Konkurrenz ist der Sonderpreis der Jury. Auch dieses streng gehütete Geheimnis wurde erst beim Festakt gelüftet. Als er im Oktober beschlossen wurde, war noch nicht zu ahnen, welche besorgniserregende Aktualität dieser Preis angesichts der rechtsradikalen und antisemitischen Umtriebe in Deutschland bei seiner Verleihung erhalten wird. Ausgezeichnet wird das Ehepaar Heinz und Hildegard Wienand.
Seit Jahrzehnten erforschen sie die Schicksale von Menschen, die in der NS-Zeit in Feuerbach und in Weilimdorf verfolgt und ermordet wurden. Unermüdlich berichten sie vor allem jungen Menschen in Vorträgen über das Schicksal von Jüdinnen und Juden, politisch Verfolgten, behinderten Menschen, Sinti, Zeugen Jehovas, Homosexuellen oder Männern, die den Kriegsdienst verweigern wollten. Ohne das Ehepaar Wienand gäbe es auch keine Gedenkstele für die Zwangsarbeiter, die bei Bosch in Feuerbach in der Produktion eingesetzt waren. Für die Stuttgarter Stolperstein-Bewegung sei das Ehepaar Wienand das Gedächtnis der NS-Zeit, würdigt die Patin Gudrun Greth dieses Engagement.
Die Preisträger des Online-Votings
Klarer Sieger des Ehrenamtspreises 2023 wurde mit über einem Viertel (27,5 Prozent) aller abgegebenen Stimmen (2138) der Architekt Hasan Atamish, der in seiner Freizeit Menschen, die ein Handicap haben, berät, wie sie ihre Wohnung komfortabler für ihre individuellen Bedürfnisse umgestalten können und woher sie dafür finanzielle Unterstützung erhalten können. „Er ergänzt und bereichert mit seinem umfangreichen Wissen als erfolgreicher Architekt das Team der Hauptamtlichen in der Wohnberatung beim DRK“ , würdigte Andreas Haas den Preisträger in seiner Laudatio.
Für den Trainer im Blinden-Ballsport, Alexander Knecht, stimmten 1056 Teilnehmer (13,6 Prozent). Seit drei Jahrzehnten ermöglicht er nicht nur in der Halle mit dem Goalball und dem Torball blinden Menschen ein sportliches Erfolgserlebnis, Knecht ist auch bei mehreren internationalen Wettkämpfen in diesen Disziplinen als Schiedsrichter unterwegs gewesen.
Das Rennen um den dritten Platz war denkbar knapp: Drei der Nominierten erhielten fast die gleiche Zahl der Stimmen. Das zeigt wie schwer die Wahl auch für die Leser und Leserinnen war. 831 beziehungsweise 10,8 Prozent votierten für Tanja Prause für deren Kulturprojekt Props, das Kinder und Jugendliche aus den unterschiedlichsten Lebenszusammenhängen bei kreativen Aktivitäten wie Theaterspielen, Fotografieren, Malen und Tanzen zusammenbringt.
Nur acht Stimmen weniger (831) und somit 10,7 Prozent erhielt Mohammad Reza Kharazmi, der im Team der Mobilen Jugendarbeit jeden Samstag auf dem Schlossplatz mit dem „Wohnzimmer unter freiem Himmel“ ein Ohr und eine helfende Hand hat für junge Menschen, die im Nachtleben praktische Hilfe benötigen.
Für Doris Bregenzer-Hellmann, die am Robert-Bosch-Krankenhaus seit vielen Jahren die Betreuung und Begleitung von Patienten durch die grünen Damen und Herren managt, stimmten 825 Teilnehmer am Online-Voting. Das entspricht 10,6 Prozent. Da es zwar nur einen dritten Platz geben kann, aber die Stimmen so nah beieinander liegen, erhalten im Jubiläumsjahr des Ehrenamtspreises Mohammad Reza Kharazmi und Doris Bregenzer-Hellmann jeweils einen Sachpreis.
Gute Gespräche bei Musik
Herzlicher Dank für ihr Engagement geht an alle Preisträger und Preisträgerinnen sowie allen Nominierten. Über die vielfältigen Aktivitäten der Freiwilligen in der Landeshauptstadt informierte darüber hinaus ein Film von Ingo Dalcolmo, der einen Querschnitt aus zehn Jahren Ehrenamtspreis „Stuttgarter/in des Jahres“ zeigt.
Unter den rund 130 Gästen waren auch der stellvertretende zweite Vorstand der Volksbank Stuttgart, Oliver Grötsch. Die Bürgerstiftung war mit Valentina Leventis, die den Bürgerpreis organisiert und mit der Geschäftsführerin der Kinderstiftung, Silke Schmidt-Dencker, vertreten.
Unplugged – nur mit der Gitarrenbegleitung von Dana Labana Martinez sorgte Eva Leticia Padilla mit ihrer souligen Jazzstimme für den stimmungsvollen Rahmen der Preisverleihung und schon bei der Ankunft sowie später beim Buffet wurden die Gäste von dem jungen Pianisten Linus David im Foyer der Volksbank mit Melodien aus den 1920er Jahren unterhalten.