Die Welt ist aus den Fugen geraten. Wie sollte das Kabarett mit den Kriegen im Nahen Osten und in der Ukraine umgehen? Im Interview sagt Mathias Richling, was Satire leisten kann, warum er die Ampel für „desaströs“ hält und ob er befürchtet, dass der SWR auch seine Sendung streicht.
Mathias Richling, der Mann der vielen Gesichter, kommentiert seit 50 Jahren die deutsche Politik und das Weltgeschehen. Wie reagiert ein Kabarettist, wenn die Welt aus den Fugen gerät? Darüber sprachen wir mit dem 70-jährigen Stuttgarter, der vom 14. bis zum 18. November fünf Heimspiele im Renitenztheater gibt (Regie: Günter Verdin).
Herr Richling, was gibt es in diesen Zeiten zu lachen?
Innenpolitisch eine ganze Menge! Wenn auch aus Verzweiflung. Es sind nun bekanntermaßen keine Fake News oder journalistische Übertreibungen, dass die „Ampel“ einen desaströsen Eindruck bei jedermann hinterlässt, der – ob Heizungsgesetze, Migration, Verschuldungspläne – zu seltenen Spontanreaktionen im Publikum führt.
Selten haben Sie in den vergangenen Jahrzehnten eine Regierung bejubelt.
Aber so habe ich es in den vielen Jahren noch nie erlebt, dass ohne jegliche pointierte Bemerkung allein die bloße Nennung des Namens Ricarda Lang ein brüllendes Gelächter auslöst. Jedes Mal in letzter Zeit, wenn der Satz lautet: „So sagt Ricarda Lang...“ ist ein Weitersprechen nicht möglich, weil man das Gefühl hat, die Zuschauer liegen schenkelklopfend unter ihren Stühlen. Das bedeutet ja aber, zu Mitgliedern der aktuellen Bundesregierung muss man sich nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen. Was wirklich eine Menge aussagt über die aktuelle Situation in Deutschland.
Kann ein Kabarettist Witze machen über die Kriege in Nahost und in der Ukraine?
Natürlich nicht. Man muss auch vorsichtig sein mit der Frage an sich. Denn so gestellt, impliziert sie sie ja, dass man davon ausgeht, dass man sie auch mit einem ‚Ja’ beantworten könnte. Und das darf einem bei Tragödien wie dem Krieg in der Ukraine und dem Überfall der Hamas nicht mal in den Sinn kommen. Wohl muss man Begleiterscheinungen dieser Katastrophen satirisch kommentieren. Wie verhält sich Baerbock im UN-Sicherheitsrat oder wie redet sich Scholz raus usw usw? Was nicht damit zu haben kann, ein Witzle dazu zu reißen. Kabarett ist auch nicht dazu da, Witze zu machen. Auch wenn man sie zur Auflockerung natürlich benötigt. Bei ernsten Themen klärt Kabarett auf und erhellt Zusammenhänge. Mehr ist nicht drin.
Gibt es Themen, die man besser aus einem Kabarettprogramm heraushalten sollte?
Nein! Kabarett sollte sich nie heraushalten. Aber wie angedeutet, gibt es Dinge, bei denen Ironie und Satire meist versagen, wie Tod, Gebrechen, Behinderung, Vertreibung.
Oder ist es gerade jetzt wichtig, sich abzulenken?
Satire ist auch nur zwischen den Zeilen, respektive in kurzen Momenten dazu da, abzulenken. Es soll den Finger legen auf die gesellschaftlichen und politischen Wunden. Es soll Distanz schaffen zur eigenen Ohnmacht, nichts tun zu können, außer alle vier Jahre seine Stimme abzugeben. Wobei man dies immer mehr und richtigerweise im doppelten Wortsinn verstehen kann. Man gibt seine Stimme ab und hat also nichts mehr zu sagen. Satire soll aber den Zuschauern auch eine Relation geben. Hinsichtlich der eigenen Sorgen gegenüber den vielen auf der Welt, die unter Schlimmerem zu leiden haben als wir unter der ‚Ampel‘.
Wie kann man sich einmischen, damit die Welt nicht noch mehr verrückt spielt?
Ach, Du liebe Zeit. Es wäre schon viel geholfen, wenn sich nicht so viele einbilden würden, sie könnten die Welt mit ihrer geistigen Fugenmasse zusammenhalten. Da aber jeder seine eigene kleine Welt ist, wäre schon viel getan, wenn man sich in ihr einbringt mit mehr gesundem Menschenverstand und Rationalität.
Fürchten Sie, dass sich der Nahostkrieg noch stärker auf Deutschland auswirkt?
Das tut er doch bereits. Wenn Sie an die zahlreichen, von Hass und Verachtung getragenen Demonstrationen in Deutschland denken. Und an die Unmöglichkeit aufgrund der unmenschlichen Brutalität des Überfalls der Hamas sich einigermaßen differenziert zum Beispiel auseinanderzusetzen mit den Äußerungen des UN-Generalsekretärs Antonio Guterres. Der für viele zu früh eine „beispiellose Eskalation“ durch Israel kritisiert hat. Zu früh für mich deswegen, weil man aus der Psychologie weiß, dass ein Mensch, der mit dem Tod bedroht wird, zurückschlägt ohne darauf zu achten, den Gegner nur kampfunfähig zu machen. Mit etwas Abstand sieht das wieder anders aus.
Sind Scholz und Baerbock die richtigen Politiker für diese schweren Zeiten?
Selten ist eine Frage so kurz zu beantworten: Ganz gewiss nicht.
Oder würden es Merz und Wagenknecht besser machen?
Tja, würde, würde, Fahrradkette. Beide, Merz und Wagenknecht hatten noch nie die Gelegenheit, sich in einem ministralen Amt zu beweisen. Insofern wäre ein ‚Ja‘ zu dieser Frage reine Spekulation. Und ein ‚Nein‘ zu dieser Frage wäre die Zerstörung letzter Hoffnung, die man als Wähler haben muss, dass es vielleicht doch jemand gäbe, der .... Obwohl man im tiefen Inneren weiß, dass diese Hoffnung meist zerstört wird.
Was erwartet Ihr Publikum im Renitenz-Theater?
Da das Programm „Richling #2023“ heißt, geht es um alles, was in diesem Jahr geschehen ist. Um Olaf Scholz. Der 15 verschiedene Antworten auf ein und dieselbe Frage präsentiert. Um Faeser, die unbedingt abstinken wollte in Hessen. Um Habeck, der einem bei jedem Satz das Gefühl gibt, er wolle gleich losheulen, weil er nicht Kanzlerkandidat geworden war. Um Baerbock in und Özdemir zu Klima und seinen Klebern, die bei der circa 20-Mal stärkeren CO‘-Produktion von China im Vergleich zu Deutschland zum Beispiel immer noch nicht in Peking auf der Straße kleben. Kretschmann/Strobl treten auf als Pat und Patachon der Landespolitik. Lindner, Elon Musk und Gabalier. Lauterbach, Gerhard Schröder und Putin ebenso. Und Frau Schwarzer, Precht und Schwesig, Boris Becker und Rolando Villazon. King Charles auch noch. Und ich! Mich können die Zuschauer im Renitenz-Theater auch erwarten.
Der SWR-Intendant ist gerade dabei, eine TV-Sendung nach der anderen aus seinem Programm zu werfen – von „Ich trag einen großen Namen“ bis zum „ARD-Büfett“. Die Zukunft sieht er in der Mediathek und im jungen Publikum. Im SWR-Funkhaus heißt es, dass es im nächsten Jahr auch die Richling-Show trifft. Wissen Sie mehr?
Ich weiß nicht, woher das SWR-Funkhaus seine Informationen hat. Aber die „Mathias-Richling-Show“ ist für das gesamte Jahr 2024 fest terminiert. Und ich habe dazu zusätzlich bei SWR ein Format „Richling backstage“, das für 2024 ebenso bereits terminiert ist. Und es gibt noch ein weiteres Projekt, das Anfang des Jahres mit dem SWR realisiert wird. Allerdings „sieht der SWR“ die Zukunft nicht in der Mediathek. Die Zukunft IST in der Mediathek. Heißt, im Digitalen. Im Netz. Niemand, den ich kenne und der unter 45 Jahre alt ist, geht noch ins analoge Fernsehen. Man sucht sich im Netz, was einen interessiert. Und so läuft auch „Richling backstage“ nur im SWR-Kanal auf youtube. Und das neue Format wird es auch tun. Und dass die Zukunft im jungen Publikum gesucht wird, macht auch Sinn, weil man darauf setzt, dass in dieser schnelllebigen Zeit auch die Jugend schneller alt wird. Und damit die Zielgruppe des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks wieder erreicht ist.
Heimspiele im Renitenz-Theater
Karten
Mathias Richling tritt vom 14. bis zum 18. November, jeweils um 20 Uhr, mit seinem Programm „Richling#2023“ im Renitenz-Theater im Stuttgarter Hospitalviertel auf. Regie und Bühnenbild-Idee von Günter Verdin. Karten gibt es online auf der Seite des Theaters. oder unter Telefon: 0711/5 53 25 10.