Quelle: Unbekannt

Von Melanie Braun

Für viele ist Stuttgart mit der Königstraße, dem Milaneo, dem Gerber, den Königsbaupassagen und Breuninger vor allem eine Einkaufsstadt. Auch für architektonische Höhepunkte wie die Weissenhofsiedlung, das einst als hochmodern gefeierte Landtagsgebäude oder den von Paul Bonatz geplanten Hauptbahnhof ist die Schwabenmetropole bekannt - ebenso wie für das kontrovers diskutierte Megaprojekt Stuttgart 21. Aber an ihren Rändern hat sie noch ganz andere Seiten zu bieten - diese kann erleben, wer den Rössleweg rund um Stuttgart läuft.

Entstanden ist der Rundwanderweg ursprünglich aus einer Widerstandsbewegung: Der Verschönerungsverein Stuttgart und der Deutsche Bund für Vogelschutz wehrten sich Ende der 1960er-Jahre erfolgreich gegen Pläne, von Wangen über Geroksruhe bis zum Birkenkopf eine vierspurige, autobahnähnliche Schnellstraße - die sogenannte Südringtrasse - durch die Wälder zu bauen. Das Teilstück von der Geroksruhe zur Doggenburg widmete der Verein daraufhin um zum „Stuttgarter Höhenrundweg“ und markierte die Strecke mit einem Stuttgarter Rössle im gelben Ring, das auch heute noch den Weg rund um den Kessel weist. Bis etwa 1980 wurde der Rest des Rundweges um Stuttgart herum angelegt

Wer die abwechslungsreiche Strecke in all ihren Facetten in geballter Form erleben will - und nichts gegen wund gelaufene Füße hat - kann die 54 Kilometer lange Runde an einem Tag hinter sich bringen. Das ist kein Pappenstiel, aber zum einen kann man die Wanderung dank zahlreicher Bus- und Bahnhaltestellen in der Nähe immer abbrechen und zum anderen ist es ein ungewöhnliches und eindrückliches Erlebnis. Denn hier wechseln sich Idylle und Industriecharme, einsame Waldwege und viel befahrene Straßen, Wohngebiete und beliebte Spazierstrecken ab. Und all das ganz in der Nähe von Schlossplatz und Schlossgarten - und verbunden mit ungewohnten Ausblicken über den Kessel.

Allerdings ist bei diesem Vorhaben vor allem eines wichtig: früh aufstehen. Fünf Uhr morgens ist dafür gar keine schlechte Uhrzeit. Wo man in den Rössleweg einsteigt, ist letztlich egal, von der Stadtmitte oder vom Marienplatz aus beispielsweise bietet sich ein Start beim Teehaus an. Von dort aus sind es nur noch wenige hundert Meter bis zum Rössleweg.

Wer seine Runde in Richtung Norden startet, ist zunächst auf einem breiten Waldweg unterwegs, gesäumt von hohen Bäumen, am Wegesrand liegen immer wieder Stapel von Baumstämmen. Frühmorgens ist es ruhig, die ersten Vögel fangen an zu zwitschern, langsam wird es hell. Von städtischem Leben ist hier keine Spur, die City scheint weit entfernt. Dann, ganz unverhofft, lichtet sich der Wald und gibt den Blick auf den Kessel frei. Die Stadt scheint noch zu schlafen, auch in dem Wohngebiet, durch das der Rössleweg nun führt, ist es noch ruhig. Bei der Stadtbahn-Haltestelle Geroksruhe geht es über die breite Jahnstraße und auf der anderen Seite wieder in den Wald hinein. Inzwischen läuft man nicht mehr über Waldboden, sondern über asphaltierte Wege. Langsam weichen die Bäume niedrigerem Bewuchs - und dann einer endlosen Reihe von Kleingärten.

Inzwischen geht die Sonne auf, ihre Strahlen lassen die Tautropfen an Gräsern und Blüten glitzern. Hier gibt es alles: vom verwunschenen Gärtchen bis zum akkuraten Pflanzbeet, vom Obstwiesle bis zu wahrer Blütenpracht. Auch einige Elemente, die nicht so recht zu der Idylle passen wollen, sind zu sehen: An einem Zaun hängen Nummernschilder, aus denen klar hervorgeht, wer die Grünfläche als Parkplatz nutzen darf. Davor hat man einen schwarz-weißen Straßenleitpfosten in einem Blumenkübel platziert. Ordnung muss sein, auch am Kesselrand.

Bald schlängelt sich der Rössleweg durch Weinreben hinunter nach Hedelfingen und über den Neckar nach Obertürkheim. Von Idylle kann keine Rede mehr sein: Fabrikgebäude und Kräne säumen den Fluss, hier dominiert die Industrie. Lange hält das nicht an: Schon bald geht es durch ein Wohngebiet wieder hinauf in die Weinberge, vorbei an der Grabkapelle auf dem Württemberg, kurz hinunter zum Max-Eyth-See, dann abwechselnd durch Reben, an Kleingärten vorbei und durch Wohnviertel. Das Robert-Bosch-Krankenhaus wird umrundet, dann führt einen das Rössle nach Zuffenhausen.

Die urbane Atmosphäre ist ein weiterer Kontrast, bevor es wieder in den Wald geht, nun in Richtung Weilimdorf und Botnang. Inzwischen ist es Nachmittag, die Sonnenstrahlen brennen - und die Füße auch. Sollten sich jetzt Fragen nach dem Warum dieser Wanderung aufdrängen: einfach weiterwandern. Denn es liegen noch saftige Wiesen voll summender Bienen vor einem, ein Bach, der sich durchs Unterholz schlängelt, das Waldheim Heslach und schließlich ein breiter Waldweg, der bequem zu laufen ist.

Nah an den Bärenseen und ganz nah am Monte Scherbelino geht es vorbei und in stetem Auf und Ab durch ein Waldstück, bis irgendwann der Waldfriedhof in Degerloch in erreichbare Nähe rückt. Die Füße schmerzen inzwischen so sehr, dass auch ein hartgesottener Wanderfreund sich ein Taxi herbeiwünschen dürfte. Aber dann wäre die Mission gescheitert - und die zurückgelegten mehr als 50 Kilometer Fußmarsch wären quasi umsonst gewesen. Also geht es weiter: Unendlich zäh erscheinen nun die letzten Meter hoch über der Stadt, an einem Grillplatz würde man am liebsten aufgeben. Doch kurze Zeit später erscheint die Abzweigung hinunter zum Teehaus. Geschafft!

die strecke in teilstücken

Zahlen: Der Stuttgarter Rössleweg ist insgesamt etwa 54 Kilometer lang und überwindet auf dieser Strecke mehr als 1000 Höhenmeter. Der niedrigste Punkt befindet sich im Neckartal bei 220 Metern über dem Meeresspiegel, der höchste mit 460 Metern beim Fernsehturm.

Etappen: Den Rössleweg kann man auch in Teilstücken gehen. Der Stuttgarter Verschönerungsverein, der den Rössleweg zusammen mit dem Schwäbischen Albverein eingerichtet hat, schlägt folgende Abschnitte vor: Geroksruhe - Waldau (2,9 km), Waldau - Waldeck (4,7 km), Waldeck - Birkenkopf (4,1 km), Birkenkopf - Doggenburg (3,4 km), Doggenburg - Schützenhaus Weilimdorf (7,3 km), Schützenhaus Weilimdorf - Ludwigsburger Straße Zuffenhausen (4,7 km), Ludwigsburger Straße - Au-Brücke beim Max-Eyth-See (6,4 km), Au-Brücke - Schmidener Straße in Bad Cannstatt (3,9 km), Schmidener Straße - Untertürkheimer Straße nördlich Luginsland (4,2 km), Untertürkheimer Straße - Augsburger Straße in Obertürkheim (5,6 km), Augsburger Straße - Hedelfinger Platz (1,2 km) Hedelfinger Platz - Geroksruhe (5,8 km).