Von Thomas Gross

Ob die Bezeichnung „Heulsusen“ auf die Führung der SPD zutrifft oder ob dem früheren Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück einfach nur der Kragen geplatzt ist, ist einerlei. Jedenfalls befindet sich die Partei bei den Meinungsforschern weiter im Sinkflug. Nun sind Umfragen - erst recht knapp vier Monate vor den eigentlichen Wahlen - natürlich keine Ergebnisse; sie bieten aber Aufschluss über die Wirkung von Personen, Parteien und auch Programmen auf die Bürger. Und wenn sich die SPD hier nichts vormacht, wird sie konstatieren müssen, dass ihre „Evergreens“ nicht mehr verfangen. Die Gesellschaft hat sich weiter entwickelt. Töricht ist ihr Versuch, der Öffentlichkeit weiß machen zu wollen, bei den Landtagswahlen seien bewusst bundespolitische Themen zurückgehalten worden, um die sicher geglaubten Siege nicht zu gefährden. Das glaubt niemand, noch nicht einmal in der SPD. Längst hat sich auch dort die Erkenntnis breit gemacht, dass es ein Fehler war, den Kandidaten derart hochzujubeln. Hype kommt vor dem Fall. Steinbrücks Diagnose ist richtig.

Martin Schulz jedenfalls kann einem fast leidtun. Die Quadratur des Kreises wird auch ihm nicht gelingen. Die SPD für die Zukunft einer sich rasch wandelnden Gesellschaft zu öffnen, ist schwer und vor allem ein langfristiges Unterfangen, zumindest nichts, was in Monaten gelingen wird. Da war der verunglückte Titel des halbfertigen SPD-Programms „Mehr Zeit für Gerechtigkeit“ statt „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ durchaus ein freudscher Verschreiber. Die Herstellung absoluter Gerechtigkeit ist und bleibt Utopie, der Weg dahin jedenfalls lang, sehr lang. Selbstbewusstsein ist schön und gut, aber ohne Unterfütterung durch Greifbares erfolglos. Steinbrück hat das am eigenen Leib erfahren.