„Allein 2017 haben wir die Rekordsumme von 150 Millionen Euro schwerpunktmäßig in das Thema Digitalisierung investiert“, sagt Dekra-Chef Stefan Kölbl. Quelle: Unbekannt

Die Stuttgarter Expertenorganisation Dekra wächst nun schon seit 14 Jahren hintereinander. Im vergangenen Jahr betrug der Konzernumsatz 3,1 Milliarden Euro und der Jahresüberschuss 132 Millionen Euro.

StuttgartDie Stuttgarter Expertenorganisation Dekra wächst nun schon seit 14 Jahren hintereinander. Im vergangenen Jahr betrug der Konzernumsatz 3,1 Milliarden Euro und der Jahresüberschuss 132 Millionen Euro. Die Mitarbeiterzahl lag bei mehr als 44 000 Menschen. Stefan Kölbl, der Vorstandsvorsitzende des weltweit tätigen Prüfkonzerns, war zum Redaktionsgespräch in Esslingen.

Wie ist das Geschäftsjahr 2018 bisher gelaufen?
Die Nachfrage nach technischer Sicherheit ist weiterhin enorm. Wir erwarten 2018 das 15. Wachstumsjahr in Folge bei Umsatz und Ergebnis.

Der Dekra-Konzern ist seit Jahren auf allen Kontinenten vertreten. Muss er ja auch sein, um dem für das Jahr 2025 formulierten strategischen Anspruch „globaler Partner für eine sichere Welt“ zu sein, gerecht zu werden. Was verstehen Sie unter einer „sicheren Welt“?
Sichere Welt bedeutet, dass unser Leben in alltäglichen Situationen im privaten Zuhause, am Arbeitsplatz und im Bereich der Mobilität auch wirklich sicher ist. Wir haben den Anspruch, für unsere Kunden weltweit der Sicherheitspartner zu sein. Historisch haben wir damit vor über 90 Jahren in Deutschland mit funktionaler Sicherheit im Straßenverkehr begonnen und unsere Dienstleistungen umfassen mittlerweile auch Sicherheit im digitalen Zeitalter.

Prognosen zufolge werden im Jahr 2020 unvorstellbare 60 Milliarden Dinge miteinander vernetzt sein. In der digitalen Welt ist aber auch die Disruption zu Hause, sprich die Zerstörung bestehender Geschäftsmodelle oder sogar ganzer Märkte. Was haben Sie unternehmerisch getan, um dem entgegen zu wirken?
Auch in unserer TIC-Industrie – das heißt Testing, Inspection, Certification, auf deutsch Prüfung, Inspektion, Zertifizierung – haben wir seit Jahren die Weichen in Richtung neuer digitaler Geschäftsmodelle gestellt. Wir wissen: Dinge, die wir jahrzehntelang geprüft, getestet und zertifiziert haben, können in den nächsten Jahren wegfallen. Deshalb haben wir allein 2017 die Rekordsumme von 150 Millionen Euro schwerpunktmäßig in das Thema Digitalisierung investiert. Diese Entwicklung wird weitergehen, weil die Digitalisierung alle Lebensbereiche voll erfasst hat. Notwendig dazu ist Augenhöhe mit den Herstellern. Wir müssen als Prüforganisation deren hohe technologische Geschwindigkeit mitgehen. Wir investieren deshalb massiv in unseren internationalen digitalen Testverbund, speziell auch im Bereich automatisiertes und vernetztes Fahren für eine sichere Mobilität der Zukunft. Am Lausitzring beschäftigen wir uns insbesondere mit der Funktionssicherheit von Assistenzsystemen als Grundlage für das automatisierte Fahren. In Málaga liegt der Schwerpunkt auf Konnektivität – denn automatisiertes Fahren wird nur sicher funktionieren, wenn ein Auto mit seiner Umgebung, also anderen Verkehrsteilnehmern und der Infrastruktur wie Ampeln, sicher kommuniziert. Und in China geht es vor allem um Produktprüfungen von Komponenten rund um die Fahrzeugsicherheit.

Da mussten Sie bestimmt Know-how dazu kaufen.
Wir haben in den vergangenen zehn Jahren etwa eine Milliarde Euro Umsatz insbesondere über Akquisitionen erzielt. Zukäufe gehören für uns dazu, um in neue Technologien zu investieren. Wir wachsen aber derzeit zu über zwei Dritteln aus eigener Kraft.

Sie beschäftigen sogenannte Innovationsmanager und wollten Leute einstellen, ich zitiere Sie, die „auch vom Typ anders sind“. Haben sie das getan und passt die Firmenkultur noch?
Es ist ein sehr spannender Prozess: In unseren bewährten Standardthemen wollen wir mit der bestehenden Mannschaft wachsen und gleichzeitig möchten wir in neuen Bereichen anders sein und neu denken. Dazu haben wir mit der Dekra Digital GmbH Anfang dieses Jahres eine Einheit geschaffen, die sozusagen abseits fester Konzernstrukturen agiert und sich beispielsweise an Start-ups beteiligen kann. Hier stellen wir bewusst Querdenker ein.

Den Löwenanteil des Geschäfts machen nach wie vor die Fahrzeugprüfungen und Gutachten mit rund 1,3 Milliarden Euro Umsatz aus. Wie verändert die fortschreitende Vernetzung von Kraftfahrzeugen dieses Geschäft?
Wir sprechen in dem Zusammenhang von Hauptuntersuchung 4.0. Dafür müssen wir sehr viel direkter am Fahrzeug prüfen, insbesondere die sicherheits- und umweltrelevanten Daten des Fahrzeuges. Das muss der Gesetzgeber dringend regeln. Zweitens geht es um sogenannte Over-the-Air-Updates, die die Fahrzeughersteller zunehmend zwischen Prüfterminen (der klassischen Hauptuntersuchung) aufspielen können und tun werden. Das muss geprüft werden und auch hier ist der Gesetzgeber gefordert. Und drittens muss absolut sichergestellt werden, dass sicherheitsrelevante Funktionen wie die Assistenzsysteme im Fahrzeug zu 100 Prozent während des ganzen Lebenszyklusses eines Pkw oder Lkw funktionieren. Diese Dreiteiligkeit muss jedes vernetzte Gerät zukünftig erfüllen. Und – ganz wichtig – in allen drei Bereichen muss die Gesetzgebung in Brüssel und Berlin den Rahmen schaffen.

Wie ist das das mit der Elektromobilität? Welche Auswirkungen erwarten Sie davon auf das Unternehmen?
Wir prüfen heute schon Batterietechnologie und haben kürzlich dazu einen innovativen Schnelltest für den Batteriezustand entwickelt. Damit können wir rasch erkennen, wie die aktuelle Ladekapazität ist und rechnen hoch, wie lang die Lebensdauer sein kann. Das ist für die Preisfindung und den Handel mit gebrauchten Elektrofahrzeugen eine zentrale Größe.

Dienstleistungen werden digitalisiert, und Maschinen und Alltagsgeräte kommunizieren über drahtlose Verbindungen. „Internet der Dinge“ lautet dazu das Stichwort. Auch hier sollte es sicher zugehen. Wie hat sich denn der Dekra-Konzern aufgestellt?
Im Internet der Dinge werden viele Produkte, Maschinen und Fahrzeuge miteinander vernetzt, also hochkonnektiv sein. Wir müssen in der Lage sein, diese vernetzten Geräte zu prüfen – in Echtzeit durch unmittelbaren Datenzugriff. Hier müssen wir permanent technologisch nachziehen. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahren intensiv neue Labore aufgebaut und gezielt in neue Unternehmen investiert.

Lässt sich sagen, dass der digitale Wandel ein Wachstumsmotor für den Dekra-Konzern ist?
Wir erwarten, dass es mehr neue Geschäftsmöglichkeiten für uns gibt. Aber: Die Politik muss in einer vernetzten Welt dafür sorgen, dass es auch hier unabhängige Dritte gibt, die den technischen Zustand von Produkten, Anlagen und Fahrzeugen prüfen. Was die Gesetzgebung anbelangt, hinkt das Verständnis für die Komplexität und für die Herausforderungen in der vernetzten Welt ein Stück weit hinterher.

Wie steht es in Zeiten des gravierenden Fachkräftemangels um Ihre Zeitarbeitsfirma, die in der Geschäftseinheit „Personnel“ angesiedelt ist.
Dekra ist eine Expertenorganisation, weswegen wir hohen technischen Sachverstand an ganz vielen Stellen haben. Allein in Deutschland beschäftigen wir mehr als 6000 Ingenieure. Auch wir spüren den Fachkräftemangel. Wir haben heute schon Geschäftsfelder in denen wir bis zu 15 Prozent mehr Geschäft machen könnten, wenn wir genügend Personal hätten.

Was fällt Ihnen in aller Kürze zu den folgenden Stichworten ein: Todesfälle mit einem autonom fahrenden Auto.

Sind in Zukunft vermeidbar. Alledings nur wenn es den richtigen rechtlichen Rahmen gibt und so viele Redundanzen in der Technik, dass wenn ein System ausfällt, das andere übernimmt beziehungsweise notfalls der Fahrer rechtzeitig alarmiert wird, einzugreifen.

Datendiebstahl.
Eine riesige Herausforderung. Die Einbrecher des 21. Jahrhunderts sind zunehmend digital unterwegs. Unabhängige Dritte können auch hier zu mehr Sicherheit beitragen.

Privatsphäre der Menschen.
In der zunehmend vernetzen Welt müssen Menschen vernetzten Geräten vertrauen können. Und vielleicht auch Verzicht üben: Im Schlafzimmer gilt bei mir „Betreten verboten für Alexa“.

Cyber-Angriffe auf vernetzte Fahrzeuge.
Werden dramatisch zunehmen. Wird der PC zu Hause gekapert, ist das lästig, aber normalerweise nicht lebensbedrohlich. Fährt das Auto dadurch gegen einen Baum, geht es um Leben und Tod. Deshalb ist Sicherheit immer oberstes Gebot.

Das Interview führte Michael Paproth.

Zur Person

Stefen Kölbl wurde am 26. November 1967 in Nürnberg geboren. Er wurde im Januar 2010 zum Vorstandsvorsitzenden von Dekra e.V. und Dekra SE berufen. Kölbl gehört dem Unternehmen seit dem Jahr 2000 an. Er studierte Volkswirtschaft mit dem Abschluss Diplom-Volkswirt. Sein beruflicher Weg führte über die Berliner Wirtschaftsinitiative für Deutschland e.V. und die Frankfurter Managementberatung Diebold Deutschland GmbH zum Stuttgarter Dienstleistungsunternehmen. Von 2006 bis zum Jahr 2009 war Kölbl für das gesamte automobile Auslandsgeschäft von Dekra verantwortlich. Unter seiner Regie expandierte die Geschäftseinheit Dekra Automotive international insbesondere auf Wachstumsmärkten wie beispielsweise Brasilien, Südafrika und China. Zuvor verantwortete Kölbl als Geschäftsführer in Personalunion die Entwicklung der Dekra Akademie-Gruppe und der Dekra Personaldienste GmbH.