Das Gemälde „Alt-Eßlingen“ von Julie Textor wirkt zwar naturalistisch, ist aber sehr frei gestaltet. Foto: Michael Saile - Michael Saile

Das Stadtmuseum präsentiert im August das Ölgemälde „Alt-Eßlingen“ der Malerin Julie Textor. Es zeigt einen romantisierenden Blick auf die Stadt.

EsslingenWollte man im Mittelalter eine Stadt darstellen, genügte es, eine Ansammlung von Häusern und Türmen zu zeichnen. „Das überzeugte die Zeitgenossen, dass dies kein Dorf, sondern eine echte Stadt war“, erklärt Martin Beutelspacher, Leiter der Städtischen Museen. In der Neuzeit war man damit aber nicht mehr zufrieden. So suchten die Maler nach neuen Perspektiven. Mit dem Ölgemälde „Alt-Eßlingen“ von Julie Textor präsentiert das Stadtmuseum in diesem Monat ein Bild, dass einen außergewöhnlichen Blick auf Esslingen zeigt.

Vor gut 400 Jahren kamen Abbildungen auf den Markt, welche die gesamte Stadt in einem einzigen Bild zeigen. Diese Form der Darstellung hatte einen hohen Wiedererkennungswert. Berühmtheit erlangten die Kupferstiche von Matthäus Merian aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Der Kupferstecher und Verleger zeigte die Städte von ihrer Schokoladenseite. „Und er wurde fleißig kopiert“, sagt Museumschef Beutelspacher. „So produzierte man auch seinen Blick auf das wehrhaft ummauerte Esslingen durchs ganze 17. und 18. Jahrhundert immer von der Südseite über den Neckar mit der Burg im Hintergrund, die über allem thronte. Alle wichtigen Gebäude sollten zumindest erkennbar sein.“

Erst mit der Wende zum 19. Jahrhundert kam Bewegung in den Bildermarkt. Nun wagten sich die Maler an neue Blickwinkel – in Esslingen etwa die beliebte Aussicht von den Weinbergen der Neckarhalde auf die Stadt. Diese neue Perspektive wurde von Eberhard Emminger detailreich und großformatig lithografiert. Das Innenleben der Stadt hat vor allem der 1849 gestorbene Maler Johannes Braungart mit seinen Nahansichten von einzelnen Gebäuden und Plätzen ins Bild gesetzt. Neue Wege ging ein halbes Jahrhundert später auch Julie Textor. 1848 in Ellwangen als Kaufmannstochter geboren, hatte sie von in Stuttgart an der Kunstschule studiert. Ihre Professoren Albert Kappis und Jakob Grünenwald waren ausgewiesene Landschaftsmaler. Weiteren Unterricht erhielt sie in München unter anderem bei den Kunstprofessoren August Fink und Bernhard Buttersack.

In ihrem großformatigen Ölgemälde „Alt-Eßlingen“ von 1897 stellt die Malerin „eine vorher wie nachher sehr selten gestaltete Detailansicht der Esslinger Altstadt dar“, erklärt Martin Beutelspacher . Mit Julie Textor schaut man den Wehrneckarkanal aufwärts entlang der rechts liegenden Wehrneckarstraße auf den südlichsten Bogen der Inneren Brücke. Dahinter beherrschen die hohen, sommerlich grünen Bäume der Maille die Szenerie. Wer die Situation östlich der Agnesbrücke oder an der Wehrneckarstraße in Richtung Rossmarkt allerdings kennt, „weiß, dass die Krümmung der Straße beileibe nicht so stark ist, die Gärten fehlen und die Häuser anders aussehen“, sagt der Museumschef. Das Bild, das Julie Textor von der Stadt gezeichnet hat, entsprach bereits 1897 nicht mehr der Realität. Schon damals hatten Neubauten die Gärten verdrängt. Auch die lange Reihe sehr spitzgiebliger Gebäude hat mit der Wirklichkeit nicht allzu viel zu tun. Vielmehr hat sich die Malerin die Rückseiten der Häuser am Roßmarkt zum Vorbild genommen, wie Martin Beutelspacher herausgefunden hat. „Dieses historische Genre wirkt ganz naturalistisch, ist aber recht frei gestaltet und nur durch die Anbindung an die Innere Brücke überhaupt räumlich nachzuvollziehen.“

Derart rückwärtsgewandte Fantasien waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weit verbreitet. So sollte eine romantische Stimmung erzeugt werden. „Die gebildete Julie Textor stellte sich so das mittelalterliche Esslingen vor und setzte es in derart überzeugender Weise um, dass genau dieses Gemälde wohl ihr berühmtestes ist.“ Zugleich blieb die dekorative Ansicht „Alt-Eßlingen“ ihre einzige Darstellung der einstigen Reichsstadt. Denn die gebürtige Ellwangerin, die als Mitglied des Württembergischen Malerinnenvereins geschätzt war, starb bereits im Alter von 50 Jahren.

Unter dem Titel „Historische Schätze“ stellt die Eßlinger Zeitung Objekte und Neuerwerbungen der Städtischen Museen Esslingen, oder auch Schenkungen an die Ausstellungshäuser vor. Zudem werden Schätze aus dem Fundus des Stadtarchivs und des Esslinger Geschichts- und Altertumsvereins präsentiert. Die Objekte sind vom ersten Dienstag des Monats an im Gelben Haus am Hafenmarkt zu sehen.