Zukunftsmusik oder nur eine Idee, die wieder verworfen wird? Ab Dezember 2025 könnte die S 1 jede halbe Stunde in den Nürtinger Bahnhof einfahren. Foto: Fotomontage:Holzwarth - Fotomontage:Holzwarth

Ab 2025 könnte die S-Bahn-Linie 1 in Nürtingen halten.

EsslingenDerzeit fahren die S-Bahn-Züge der Linie 1 im 30-Minuten-Takt von Stuttgart aus über Esslingen, Plochingen, Wernau und Wendlingen nach Kirchheim. Zu den Hauptverkehrszeiten zwischen 5 und 10 Uhr sowie zwischen 15 und 20 Uhr fährt die S 1 zwischen Stuttgart und Plochingen sogar jede Viertelstunde. Eine Ausdehnung des 15-Minuten-Taktes über Plochingen hinaus bis nach Kirchheim ist derzeit indes nicht möglich, da die Strecke zwischen Wendlingen und der Teckstadt zum Teil eingleisig ist. Stattdessen könnte bei einem mittelfristig geplanten durchgängigen Viertelstunden-Takt jede zweite Bahn über Oberboihingen nach Nürtingen weiterfahren. Damit könnte sowohl Kirchheim als auch Nürtingen zweimal pro Stunde von einer S-Bahn erreicht werden.

Dahinter steckt der Plan, dass in Nürtingen nach der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 ein Umsteigen auf die dann fahrenden Metropolexpresszüge möglich wäre. Diese sollen einmal von Nürtingen aus Richtung Reutlingen und Tübingen fahren und in der Gegenrichtung mit Zwischenhalt am Flughafen das Zentrum von Stuttgart erreichen. Somit würde der Nürtinger Bahnhof zu einer neuen Drehscheibe für den Zugverkehr.

Wurmthaler: Realistische Idee

Die Verbindung von Nürtingen über die noch zu bauende Große Wendlinger Kurve auf die Fildern für die Metropolexpresszüge sieht Dr. Jürgen Wurmthaler, Leitender Direktor des Verbands Region Stuttgart, als große Chance zur zügigeren Verbesserung des Nahverkehrs rund um Stuttgart. Denn eine ebenfalls in der Diskussion stehende Verlängerung der S-Bahn-Linie 2 ins Neckartal wird nicht vor Mitte der 2030er-Jahre umsetzbar sein. Erst einmal wird die S 2 bis zum Jahr 2023 von Filderstadt bis nach Neuhausen verlängert. „Die S-Bahn-Verbindung vom Flughafen ins Neckartal werden wir aber auf jeden Fall weiter untersuchen“, sagt Wurmthaler. „Das Thema wird jetzt nicht auf Eis gelegt.“

Wie groß die Chance ist, dass tatsächlich ab Dezember 2025 die S 1 in Nürtingen hält, vermag der Regionaldirektor nicht einzuschätzen. „Ich halte es für eine realistische Idee. Es kommt nun darauf an, wie alle beteiligten Akteure dazu stehen“, sagt er. Für die Option werde nun eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Als mögliche Alternative bereits beauftragt sei die Machbarkeitsstudie für einen Ausbau der Strecke zwischen Wendlingen und Kirchheim, sodass auf diesem Abschnitt einmal ein 15-Minuten-Takt möglich wird. „Was eher realisierbar ist, hängt von den finanziellen Bedingungen und der zu erwartenden Nachfrage ab.“ Untersucht werden soll nun auch, welche Ausbaumaßnahmen bei einer Verlängerung der S 1 nach Nürtingen nötig würden.

Vor dem Start von Stuttgart 21 kann die S-Bahn aus Sicht von Wurmthaler noch nicht Nürtingen ansteuern. „Die Trasse ist jetzt noch durch die Regionalzüge von Nürtingen nach Plochingen belegt. Erst wenn einmal ein Teil der Züge auf die Fildern weiterfährt, gibt es auf den Gleisen nach Plochingen genug Luft für diese Idee, die jetzt weiter konkretisiert werden muss.“ Erst wenn die Untersuchungsergebnisse vorliegen, werde der Verband Region Stuttgart in die öffentlichen Diskussionen mit den Gemeinden einsteigen, erklärt Jürgen Wurmthaler. „Auf die Kommunen können wir erst zugehen, wenn wir etwas in der Hand haben.“

Eine Kommune ist jetzt schon restlos begeistert von der Idee: Oberboihingen. „Für unseren Ort wäre das eine Riesenchance“, sagt Bürgermeister Torsten Hooge, der über die Tageszeitung von der Idee des Regionalverbandes erfahren hat. „Es wäre toll, wenn das auch zeitnah klappen würde.“ Schließlich würde die Anbindung der S-Bahn an Nürtingen auch einen S-Bahn-Halt in Oberboihingen mit sich bringen. Aus Sicht von Hooge wäre es die ideale „Interimslösung“, bevor Mitte der 2030er-Jahre einmal eine S-Bahn-Verbindung von Nürtingen zum Flughafen möglich werden könnte. Die Bevölkerung von Oberboihingen bekomme derzeit in Form von Lärm, Erschütterungen, Sperrung der Landesstraße nach Wendlingen und Baustellen hauptsächlich die Nachteile des Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur vor der Haustür zu spüren, vor allem wenn dann auch noch der Bau der Großen Wendlinger Kurve folge. „Es wäre schön, wenn Oberboihingen auch von den Vorteilen profitiert – durch eine bessere Anbindung an die Landeshauptstadt – und nicht alle Züge nur vorbeifahren.“ Derzeit sei Oberboihingen „eher schlecht angebunden“ an das öffentliche Nahverkehrsnetz, stellt Hooge fest. „Nur mit einem attraktiven Angebot bringen wir mehr Pendler auf die Schiene.“

Andreas Teufel, in der Nürtinger Stadtverwaltung zuständig für den ÖPNV, hat diese Woche gemeinsam mit Torsten Hooge den Mobilitätskongress der Metropolregion in Stuttgart besucht, bei dem sich rund 400 Personen aus Ämtern, Firmen und Verkehrsunternehmen trafen. In dieser Runde wiederholte Regionalpräsident Bopp noch einmal die Idee mit der S-Bahn-Verlängerung. „Wenn man mit der S-Bahn in Nürtingen einen schnellen Zug auf die Fildern erreicht, dann ist das eine absolut sinnvolle Konstruktion“, lobt Teufel das Konzept. „Die Schienenwege, die dafür gebraucht werden, sind vorhanden oder im Bau. Daher wäre das alles auch relativ schnell umsetzbar.“

Die Bahnsteiganlagen in den Bahnhöfen von Nürtingen und Oberboihingen seien schon jetzt dafür geeignet, dass dort auch S-Bahnen halten könnten, so Teufel. Der Fachmann aus dem Nürtinger Rathaus sieht derzeit nur eine Lücke in der Infrastruktur: Es gibt im Nürtinger Bahnhof zwar fünf Gleise, aber nur drei Bahnsteige. Es müssten jedoch zwei Metropolexpresszüge, eine S-Bahn und die Tälesbahn aus Neuffen gleichzeitig im Bahnhof halten können, damit ein Umstieg in alle Richtungen möglich ist. Der Metropolexpresszug soll nach der Fertigstellung von Stuttgart 21 von Nürtingen aus über den Flughafen den Stuttgarter Hauptbahnhof in 25 Minuten erreichen. Der Bau eines zusätzlichen Bahnsteigs mit Anschluss an die Unterführung sei aber nicht ganz so einfach. Diesen Bau müsste die Deutsche Bahn AG für die nötige Finanzierung übernehmen.

Genaue Überprüfung muss folgen

Aus Sicht von Bahn-Pressesprecher Werner Graf wäre das kein Problem: „Wir setzen die politischen Wünsche und Forderungen um, wenn sie technisch möglich sind und bezahlt werden.“ Klaus Neckernuß, der im Landratsamt Esslingen für den ÖPNV zuständig ist, sagt: „Dieser Idee muss nun eine genaue Überprüfung folgen. Für viele im Landkreis wäre es eine Verbesserung. Allerdings schreckt jedes Umsteigen auch ein paar Fahrgäste ab.“ Grundsätzlich unterstütze er den Ausbau des S-Bahn-Netzes, sagt der Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz (Grüne). Parallel dazu müssten aber die Varianten für eine Direktverbindung aus dem Raum Kirchheim und Wendlingen an die Fildern mit Hochdruck bearbeitet werden. Nürtingen werde durch Regionalzüge bereits gut an Stuttgart angebunden. Er favorisiere daher eine Tangential-S-Bahn von Kirchheim über die Fildern nach Böblingen. „Aus dem Raum Kirchheim und Wendlingen kann mit einer Nachfrage von bis zu 5100 Fahrgästen pro Tag gerechnet werden. Eine Verlängerung der S 1 nach Nürtingen kann eine sinnvolle Übergangslösung sein.“ Schwarz kann sich auch gut vorstellen, „dass der Viertelstundentakt auf der S 1 verlängert wird und die Züge in Wendlingen aufgeteilt werden, sodass der vordere Zugteil nach Kirchheim und der hintere nach Nürtingen fährt.“