Taucher der Wasserschutzpolizei suchen nach Toten, finden Granaten und sichern Tatorte unter Wasser; im Bodensee bei guter Sicht, in Rhein, Neckar und in Tümpeln bleibt ihnen dafür nur ihr Tastsinn.
Überlingen - Vier, fünf Meter tief– und die Welt ist für Manuel Wilkendorf und Jonas Dummel nur noch smaragdgrün. Über ihnen etwas heller, unter ihnen dunkler. Langsam schweben die beiden Kommissare vorwärts. Mühelos elegant in einer Welt voller champagnerfarbener Bröckchen und Blasen, deren Ränder hellgrau leuchten.
„Taucheinsatz nach Beweismitteln im Bodensee vor Überlingen, Höhe Zeughaus“ lautet der Einsatzbefehl für die Wasserschutzpolizeistation Überlingen für diesen Tag. Für eine Polizistin und vier Beamte bedeutet das: den normalen polizeilichen Tagesdienst abbrechen, Tauchflaschen und Trockentauchanzug packen, ab in den Bodensee.
Ein Auftrag zur Unzeit für Wilkendorf. Auf seinem Schreibtisch liegen säuberlich geordnet ein gutes Dutzend Ordner und hellbraune Akten. An einer Wand des Büros pappen Fotos, Karten, Grafiken: Verdächtige, die der Polizeihauptkommissar einer südosteuropäischen Bande zuordnet. Sie sollen – so der Vorwurf – Bootsmotoren im Bodenseeraum gestohlen haben; ein Schaden von etwa 20 000 Euro ist entstanden. Wilkendorf koordiniert die internationalen Ermittlungen in diesem Fall, führt die Rechercheergebnisse aus anderen Bundesländern und Nationen zusammen. Fotos aus sozialen Netzwerken zeigen die Verdächtigen in ihrem Heimatland. Auswertungen von Handydaten. Mögliche Reiserouten.
Sisyphusarbeit: Ermittlungen zu Motordieben
„Wirklich eine Sisyphusarbeit“, erklärt der 41-Jährige diesen Fall: Beschlüsse sind bei Richtern zu beantragen, um bei Telefonanbietern die Funkzellendaten einholen zu können. E-Mails sind zu schreiben, Berichte zu verfassen. „Die Ermittlungen stehen kurz vor dem Abschluss“, sagt Wilkendorf.
Aus dem Fenster seines Büros schaut Wilkendorf nun aber auf die „23“. Das Polizeiboot dieses Namens dümpelt im Hafen Überlingens – und ist der eigentliche Arbeitsplatz von ihm und seinem Kollegen, Polizeioberkommissar Jonas Dummel. Dummels Hauptaufgabe: Zusammen mit einem Kollegen patrouilliert er auf Deutschlands größtem Binnensee, rettet und überwacht Sportler, von Surfern über Seglern bis zu Tauchern, schaut bei Anglern nach dem Rechten.
Gerade auf die hat sich der 29-Jährige spezialisiert – und nimmt zwei Angler ins Visier, die sich in einem Schlauchboot fläzen und gleich fünf Köder ins Wasser geworfen haben. Während sich Polizeiboot „23“ dem Duo nähert, wirft Dummel einen Blick auf das bordeigene Sonar: In 52 Meter Tiefe zeigt es drei Fischschwärme an. „Das könnten Saiblinge sein“, vermutet der Polizist.
Einer der Speisefische liegt denn auch in einem weißen Plastikeimer. „Heute beißen sie nicht“, klagt einer der Angler. Der Bauch des Fisches ist aufgequollen. „Die Schwimmblase platzt oft, wenn die Fische aus dieser Tiefe nach oben geholt werden“, erklärt Dummel. Und ärgert sich: Das Tier wurde offenbar nicht fachgerecht betäubt und getötet.
Hohe Strafe für Angler
Der Blick des Kommissars fällt auf eine Kühltruhe, halb versteckt unter einem Klappstuhl und einem Handtuch. „Machen Sie die bitte einmal auf“, weist er die Angler an, die erröten und in Hektik ausbrechen. Da seien, plappert einer drauflos, noch Fische von gestern drin: Zwölf weitere Saiblinge finden sich in einer Pfütze aus Eiswürfeln und Wasser. Selbst wenn die Geschichte vom Fang am Vortag stimmen sollte, dann hätten die Angler statt der pro Person erlaubten fünf Saiblinge sechs Fische aus dem Bodensee gezogen.
Auch weil der Fang nicht in der vorgezeigten Fangstatistik der Angler verzeichnet ist, bleibt Dummel skeptisch: „Diese Regeln wurden nicht ohne Grund erlassen: Die Fischbestände im Bodensee sollen geschont und geschützt werden. Jeder soll ein Stück vom Kuchen abbekommen, ohne der Natur zu schaden.“ 20, 25 Berufsfischer leben am Untersee des Bodensees noch davon, professionell zu fischen und den Fang zu verkaufen. Den Fall der Hobbyangler wird Dummel beim Regierungspräsidium in Tübingen zur Anzeige bringen. Den Anglern drohen hohe Bußgelder bis zu 400 Euro, im Wiederholungsfall auch, dass ihnen die Angelerlaubnis entzogen wird.
Allerdings muss auch die Schreibtischarbeit zu diesem Fall erst einmal warten. Wilkendorf und Dummel werden vom Tagesdienst abberufen. Tauschen Computer, Pistole und Uniform mit dem unförmigen Taucheranzug, der einem Astronauten alle Ehre machen würde. „Das ist Alltag für uns“, erklärt der Leiter der Überlinger Wasserschutzpolizeistation, Markus Zengerle. „Über das ganze Land sind Polizeitaucher verteilt. Die müssen dann alles stehen und liegen lassen, wenn irgendetwas unter Wasser für die Polizei interessant ist.“
DNA des Mörders am Glied einer Armbanduhr
Leichen bergen, Beweismittel und Kampfmittel aufspüren, Umweltschutz, Tatorte unter Wasser forensisch sichern und dokumentieren – bis zu einer Tiefe von 30 Metern ist das die Aufgabe von Frauen und Männern wie Zengerle, Wilkendorf und Dummel. Eine freiwillige Zusatzausbildung für die 50 derzeit aktiven Polizeitaucher im Südwesten. Bewerber auf den Job quälen sich vier Monate lang in ihrer Freizeit, um sich auf die eigentliche Ausbildung vorzubereiten: schwimmen, joggen, Liegestütz. Es folgt ein einwöchiger Auswahltest bei der Wasserschutzpolizeidirektion in Bruchsal. Wer ihn besteht, wird für sechs Wochen zum Tauchergrundlehrgang in Philippsburg bei Karlsruhe abgeordnet. Nach dessen erfolgreichem Abschluss, einem viermonatigen Praktikum als Taucher in einer der Wasserschutzpolizeistationen des Landes und einem eine Woche dauernden Tieftauchlehrgang am Bodensee sind die Beamten fertige Polizeitaucher.
Kaum etwas, was der Schlick des Bodensees nicht verbirgt: Fahrräder, wahrscheinlich 100 Tote seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, massenhaft Waffen und Munition zweier Weltkriege. Den Blick konzentriert auf den Grund des Bodensees gerichtet, graben sich die Handschuhe der Taucher in Schlamm und Muscheln. Immer eine halbe Armlänge nach vorne, die Arme wie Scheibenwischer über den Boden bewegend. „Wir wühlen im Schlamm“, sagt Zengerle. Diesmal bei guter Sicht. Müssen die Taucher in Tümpel und Weiher steigen, sehen sie oft keinen Zentimeter. Dann bleibt ihnen nur ihr Tastsinn.
Wie 2017 in der Nähe von Ulm in einem unter Polizeitauchern legendären Einsatz: In einem Tümpel wurde ein in Frischhaltefolie eingewickelter Ermordeter gefunden. Kriminaltechniker fanden in der Folie Blätter. In einem aufwendigen Verfahren bestimmten sie die DNA der Bäume und fanden diese am Ufer. Dort sanken die Polizeitaucher bei völliger Dunkelheit auf den Grund und tasteten ihn ab. Nach stundenlanger Suche fanden sie im Schlamm ein Glied der Armbanduhr des Opfers. An dem stellten Kriminaltechniker wiederum die DNA des Mörders sicher, der verhaftet werden konnte. Dagegen nimmt sich die Ausbeute des aktuellen Taucheinsatzes vor Überlingen eher bescheiden aus: ein Handy, ein Fahrrad, ein Stuhl, eine Gewehrpatrone.
„Du bist angespannt, voll konzentriert und hast die ganze Zeit im Kopf: Auf was stoße ich? Du tastest dich durch alles Mögliche: Steine, Autoreifen, etwas Hartes. Und manchmal ist es auch so, dass du auf etwas Weiches stößt. Das kann auch eine Leiche sein“, beschreibt Wilkendorf die Suche nach Vermissten. Tote, erzählen die Taucher, wirkten unter Wasser, als schlummerten sie. Sie sind sich einig: „Viele Verkehrsunfälle an Land sind für Kolleginnen und Kollegen deutlich schwerer zu verkraften als Tote unter Wasser.“
Gemeinschaft zählt – gerade im Notfall
Wenn auch gerade Tauchunfälle bei den Polizisten nachwirken. „Dir schwirren beim nächsten Tauchen Gedanken durch den Kopf: Könnte dir das auch passieren? Unwillkürlich verbrauche ich beim nächsten Einsatz dann mehr Luft“, sagt Wilkendorf. Dummel ergänzt: „Auch wenn ich erst einen Toten geborgen habe: So etwas erdet einen. Viele Dinge, die selbstverständlich im Leben sind, haben für uns einen besonderen Wert.“ „Man sagt der Familie öfter, dass man sie lieb hat“, sagt Wilkendorf. Dummel: „Die Gemeinschaft mit den anderen Tauchern unter den Kollegen ist nicht nur wichtig, weil im Notfall dein Leben von denen abhängt. Du kannst mit denen auch zu jeder Tages- und Nachtzeit über alles reden.“
Auf der Promenade Überlingens hat sich eine Menschentraube um den grauen Kastenwagen gebildet, in dem die Taucher ihre Ausrüstung transportieren. Mit Handys wird jede Luftblase gefilmt, die an die Oberfläche des Bodensees steigt. Über Wilkendorfs Gesicht huscht ein Lächeln, als er aus dem Wasser steigt, über einen Bootssteg stapft, Flossen in der Linken. Ein kleines, dunkelhäutiges Mädchen lächelt ihn schüchtern an. „Ist das spannend?“, fragt der Hauptkommissar. Das Mädchen nickt energisch. Wilkendorf hält ihr die Hand hin, die Kleine schlägt ein. Strahlt den Polizisten an.
Wenig später fällt Dummel am Einsatzfahrzeug eine Wasserflasche aus der Hand. Keiner des Taucherquintetts schaut nur zu: Einer holt Kehrblech und Besen, ein anderer einen Eimer, Zengerle, der Chef der Überlinger Wasserschutzpolizei, bückt sich als Erster, um Scherben aufzuklauben. Kein Wort wechseln die fünf dabei. Als die kleinste Scherbe verschwunden ist, brummt Zengerle: „Dann wollen wir mal zurück!“