Die Neonatologin Janaina Rauch (rechts) kann jetzt bereits ärztlich eingreifen, wenn die Geburtshilfe noch nicht abgeschlossen ist. Foto: Gottfried Stoppel

Eine neue Errungenschaft macht an der Rems-Murr-Klinik in Winnenden eine Behandlung von Früh- und Neugeborenen bei noch verbundener Nabelschnur möglich. Das kann bisher nur ein weiteres Krankenhaus in der Region.

Wenn Komplikationen bei einer Geburt eintreten oder ein Kind zu früh auf die Welt kommt, vergeht teils wertvolle Zeit, bis der Neonatologe – spezialisiert auf die Behandlung von Frühgeborenen und kranken Neugeborenen – die Versorgung übernehmen kann. Eine neue sogenannte Erstbehandlungseinheit an der Rems-Murr-Klinik macht nun möglich, dass der Kinderarzt bereits eingreifen kann, während das Kind noch über die Nabelschnur von der Mutter versorgt wird. Deren Name, Concord Neonatal, leitet sich vom englischen Wort für mütterliche Versorgungsleitung (cord) ab und mag eine Anspielung auf das berühmte Überschallflug sein.

Später abnabeln ist förderlich für Gesundheit und Entwicklung

„Atmung, Blutdruck, Sauerstoffsättigung im Blut und Herzfrequenz verbessern sich, das Baby bekommt einen optimalen Eisenspeicher für die ersten Lebensmonate“ erläutert die Oberärztin und Neonatologin Janaina Rauch den Vorteil der Erstbehandlung bei verbundener Nabelschnur. Aber selbst mittel- und langfristig entwickelten sich Gesundheit und Gehirnleistung positiv, wenn die mütterliche Versorgung noch eine Weile gewährleistet sei. Das zumindest legen Studien nahe. Demnach habe man bei Vierjährigen nachweisen können, dass sie neurologisch gesünder seien, wenn sie später abgenabelt wurden, so Rauch. Später bedeute, dass die Nabelschnur im Zeitraum von mindestens drei Minuten bis bestenfalls sechs bis acht Minuten nach der Geburt durchtrennt werde. So lange dauert es laut der Kinderärztin, bis die volle Blutmenge inklusive Inhaltsstoffen von der Mutter auf das Baby übergegangen sei. In dieser Zeit bleibe das Kind nah bei der Mutter, was auch psychologisch wichtig sei und die Beziehung stärke. Parallel könne der Kinderarzt aber sofort das nötige Behandlungsprogramm beginnen.

Nicht nur für Ulrich Bernbeck, den leitenden Oberarzt, der seit mehr als 30 Jahren als Neonatologe tätig ist, und seine Kollegin vom Kreißsaal, Elionor Roma Mas, ist die Behandlungsmethode über die wie ein Hightech-Wickeltisch anmutende Erstversorgungseinheit etwas ganz Besonderes. Auch der Klinik-Aufsichtsratsvorsitzende, der Landrat Richard Sigel, spricht von einem „weiteren Meilenstein in der Versorgung der Kleinsten“. Nicht zuletzt erhofft sich Sigel aber auch, dass derlei technische Aufrüstungen dazu beitragen, dass das Zentrum für Früh- und Neugeborene an der Rems-Murr-Klinik nicht den Plänen der angedachten Gesundheitsreform zum Opfer fällt. „Unser Winnender Perinatalzentrum Level 1, in dem die Geburtshilfe und die Kinderklinik wirklich Tür an Tür auf höchstem Niveau zusammenarbeiten, ist seit dem Jahr 2014 eine unverzichtbare Einrichtung für die Familien im Kreis“, sagt Sigel. „Mit solchen sinnvollen und zukunftsweisenden Methoden unterstreichen wir die regionale Bedeutung ganz klar: Es ist ein elementarer Vorteil, dass wir solche Angebote auch weiterhin wohnortnah machen können.“

Möglich gemacht hat die Anschaffung im Gegenwert von fast 50 000 Euro, die sich in der Region bisher nur eine einzige Klinik leistet, die Unterstützung der Eva Mayr-Stihl Stiftung, die regelmäßig Projekte in der Kindermedizin des Rems-Murr-Klinikums fördert. Dazu gehören eine Studie zu den Auswirkungen der Frühgeburtlichkeit auf Herz und Lunge, der Aufbau der sozialpädiatrischen Nachsorge „Bunter Kreis Rems-Murr“ und die Anschaffung von Geräten zum PCR-Schnelltest. Zuletzt hat die Stiftung in Winnenden den Neubau einer Milchküche unterstützt, um die steigende Nachfrage nach Spendermilch in der hiesigen Frauenmilchbank bedienen zu können.