Paul Lücke (l.) und Heike Mohrmann beantworten Publikumsfragen. Foto: Elternselbsthilfe BW

Die Zahl der Menschen, die in Deutschland an den Folgen ihres Drogenkonsums sterben, steigt. Ein neues Videoprojekt möchte gegen das soziale Stigma ankämpfen und geht dafür einen besonderen Weg.

Auf dem Bildschirm erscheint eine blonde Frau Anfang 30, sie wirkt etwas unsicher und verletzlich. Ihre Stimme dagegen klingt klar, als sie von ihrer ersten Erfahrung mit der Droge Ecstasy berichtet: „Es gab mir diese extrem krasse Wärme und Geborgenheit; ein Gefühl, nach dem ich mich immer gesehnt habe“, sagt die Frau. Damals war sie 14 Jahre alt.

Mehr Akzeptanz als Ziel

Die Erzählerin ist Teil des Filmprojekts „Einsicht durch Zweisicht“, das in Zusammenarbeit der Elternselbsthilfe Suchtgefährdeter und Suchterkrankter mit dem gemeinnützigen Verein Stigma entstanden ist. Fokus der Doku-Serie ist das Leben Betroffener und Angehöriger mit Suchtproblemen. In der Alten Kelter in Winnenden haben sich nun Interessierte und Betroffene zu einer exklusiven Vorschau versammelt.

Für die Dokumentation wurden zehn Protagonisten und Protagonistinnen ausgesucht, je fünf Betroffene und fünf Angehörige. In Gesprächen mit Paul Lücke, dem Vorsitzenden von Stigma, berichten sie über ihre Erfahrungen, Gefühle und die Herausforderungen, vor welche die Sucht sie stellte. Die Episoden sind lose in verschiedene Themen eingeteilt, beginnend bei der Kindheit.

Ein emotionales Thema für alle Beteiligten

So bekommt der Zuschauer die Möglichkeit, die Protagonisten genauer kennenzulernen. Er wird mit auf ihre Reise genommen, wird konfrontiert mit ihren Gefühlen und kann mitfühlen. In der Alten Kelter gibt es nach knapp zwanzig Minuten Preview viel Applaus, aber auch einiges zu verarbeiten. Schließlich sitzen im Publikum mehrere Teilnehmende der Dokumentation, die sich gerade zum ersten Mal selbst auf der Leinwand gesehen haben.

Heike Mohrmann ist die Vorsitzende des Baden-Württemberg-Zweigs der Elternselbsthilfe und eine der fünf Angehörigen in der Doku. Sie ist sichtlich gerührt von der Vorstellung, und erklärt, warum das Projekt für sie eine Herzensangelegenheit ist: „Wir müssen das Thema Sucht aus der Schmuddelecke rausbekommen.“

Auch Aufklärung an Schulen geplant

Daher soll der Film auch in Schulklassen gezeigt werden, wo Paul Lücke immer wieder mit Schülern und Lehrkräften arbeitet, um aufzuklären und Kompetenz zu schaffen. Dafür arbeitet der Verein mit einem Drei-Säulen-Modell. Das bedeutet, dass nicht nur die Schülerinnen und Schüler für das Thema Sucht sensibilisiert werden, sondern auch die Mütter und Väter bei einem Elternabend Informationen an die Hand bekommen. Außerdem erhalten auch die Lehrkräfte Hilfestellung und Anregungen, wie sie mit den Schülern kompetent über das Konsumieren von Drogen sprechen können.

Dabei ist Paul Lücke besonders sogenannte Konsumkompetenz wichtig: „Wenn junge Menschen entscheiden, konsumieren zu wollen, sollten sie wissen, worauf sie sich einlassen.“ Die Filmemacher wollen Jugendliche aber nicht mit dem moralischen Zeigefinger abschrecken, sondern empathisch aufzuklären. Deshalb werden die Protagonisten der Doku auch nicht als negative Beispiele vorgeführt. Sie werden als Menschen dargestellt, die aus verschiedensten Gründen in eine Sucht geraten sind oder einen Angehörigen haben, bei dem das der Fall ist. Diese Kombination verdeutlicht die Auswirkung einer Sucht auf das Umfeld des Konsumenten – und damit auch die Tragweite eines Suchtproblems.

Ein Ende des Stigma als Ziel

In diesem Kontext beklagt eine der Betroffenen, dass Eltern ab der Volljährigkeit ihres Kindes von vielen Prozessen komplett ausgeschlossen würden: „Konsumierende brauchen auch mit über 18 Jahren Unterstützung.“ Die Hoffnung der Organisatoren des Filmprojekts ist es, durch die Doku mehr Sensibilität in der Gesellschaft für solche Probleme zu schaffen und mit weit verbreiteten Vorurteilen gegenüber Konsumierenden aufzuräumen.

Um möglichst viele Menschen zu erreichen, wird das Filmprojekt vom 17. November an in mehreren Folgen auf der Internetplattform Youtube veröffentlicht. Nach jahrelanger Verzögerung wegen Corona kommen nun die Menschen zu Wort, die aus nächster Nähe wissen, was es bedeutet, mit einer Drogenabhängigkeit zu leben. Und die dankenswerterweise bereit waren, andere an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen, damit das Stigma ein Ende hat.