Modern und klimaneutral soll sich künftig die Neue Weststadt mit dem Schlachthof-Areal präsentieren. Foto: Wittfoht Architekten - Wittfoht Architekten

Mehr als 600 Wohnungen, Büro- und Gewerbeflächen sowie ein Hochschul-Neubau entstehen. Das bundesweite Pilotprojekt soll ein Vorbild für andere Städte werden.

EsslingenDie große Zeit von Atomenergie und fossilen Brennstoffen ist vorüber – die Energiewende ist eingeläutet. Weil am Klimaschutz kein Weg mehr vorbeiführt, stehen erneuerbare Energien wie Photovoltaik, Windenergie und Wasserkraft mehr denn je im Fokus. Allen Fachleuten ist klar, dass viele kleine und größere Bausteine nötig sind, damit die Energiewende gelingt. Esslingen will seinen Beitrag dazu leisten – und die Neue Weststadt spielt dabei eine zentrale Rolle. Dort entsteht ein urbanes Quartier mit mehr als 600 Wohnungen, Büro- und Gewerbeflächen sowie einem Neubau der Hochschule Esslingen. Und die Verantwortlichen im Rathaus haben es sich zum Ziel gesetzt, die Neue Weststadt zu einem klimaneutralen Vorzeige-Stadtviertel zu machen, für das ein „zukunftsorientiertes ganzheitliches Energiekonzept auf Quartiersebene“ umgesetzt werden soll. Wegbereiter dieser Entwicklung ist die neu gegründete Green Hydrogen Esslingen GmbH. Mit deren Hilfe will die Kommune ihr ehrgeiziges Ziel weiter vorantreiben, die CO2-Emissionen auf dem Esslinger Stadtgebiet bis 2020 um ein Viertel zu reduzieren.

Das Energiekonzept für die Neue Weststadt setzt auf Solarenergie, die dort produziert und zur Versorgung des neuen Stadtquartiers genutzt wird. Was an Strom vor Ort nicht verbraucht wird, lässt sich mit Hilfe moderner Elektrolyseur-Technologie in speicherbaren Wasserstoff umwandeln: Täglich dürften rund 400 Kilogramm Wasserstoff anfallen – genug, um 400 Fahrzeuge jeweils 100 Kilometer weit anzutreiben. Die Abwärme, die bei der Elektrolyse entsteht, wird über ein Nahwärmenetz im Quartier genutzt. Emissionen vor Ort werden durch zugekaufte erneuerbare Energie kompensiert. Um dieses ausgeklügelte Konzept zu realisieren, hat die Stuttgarter Ingenieurgesellschaft EGSplan ein komplexes System aus Elektrolyse, Wasserstoff-Abfüllstation, Blockheizkraftwerk, Stromspeicher und Photovoltaik-Anlagen entwickelt. Teil des Energiekonzepts ist es, den Nahverkehr per O-Bus ins Quartier zu bringen.

Mit Blick auf ihre Pläne für ein klimaneutrales und emissionsfreies neues Stadtquartier spricht OB Jürgen Zieger von einem „Leuchtturmprojekt“. Das sieht man offenbar auch in Berlin so, denn die Bundesregierung hat Esslingens Neue Weststadt neben weiteren Projekten in Heide, Zwickau, Kaiserslautern und Oldenburg als eines von bundesweit fünf Pilotprojekten für den Förderschwerpunkt „Solares Bauen und energieeffiziente Stadt“ ausgewählt. Dass die Esslinger bei 60 Mitbewerbern quer durch die Republik den Zuschlag erhielten, zahlt sich in klingender Münze aus: Rund 25 Millionen Euro sind als Investitionen in das klimaneutrale neue Stadtquartier kalkuliert – die Hälfte davon wird aus Mitteln der Bundesministerien für Wirtschaft und Energie beziehungsweise für Bildung und Forschung finanziert.

Dass sich der Bund finanziell so stark engagiert, ist für Professor Norbert Fisch von der Technischen Universität Braunschweig, der das Projekt begleitet, naheliegend: „Wenn die Energiewende gelingen soll, werden wir bundesweit viele solcher Projekte brauchen. Wir sind Pioniere und wollen in Esslingen nachweisen, dass das funktionieren kann. Dann lässt sich dieses Konzept auch auf andere Stadtquartiere übertragen. Wer heute baut, muss bereits die Ansprüche des Jahres 2050 im Blick haben.“ Finanzier, Bauherr und Betreiber der Energieversorgung in der Neuen Weststadt ist die eigens gegründete Green Hydrogen Esslingen GmbH, deren Gesellschafter die Stadtwerke Esslingen, die Polarstern Erzeugungs GmbH und Professor Norbert Fisch sind. Läuft alles nach Plan, soll die Wasserstoff-Produktion bereits im Herbst 2020 beginnen. Dass man sich in der Esslinger Weststadt technisch auf Neuland begibt, bereitet Florian Henle von der Polarstern Erzeugungs GmbH kein Kopfzerbrechen: „Unser System ist so aufgebaut, dass wir immer eine zuverlässige Versorgung garantieren können.“