Flüchtlingsströme, Grenzzäune, Schuldzuweisungen von Politikern und die Reaktionen von Bürgern - das alles macht vor Schultoren nicht halt. Die Entwicklungen seit vergangenem Sommer beschäftigen die Schüler am Otto-Hahn-Gymnasium (OHG) in Nellingen. Nun sind zwei bemerkenswerte Theaterstücke zum Thema „In der Fremde“ entstanden, die heute nochmals aufgeführt werden.

Von Petra Bail

Dass gleich zwei Stücke zur Flüchtlingsproblematik erarbeitet werden, war nicht vorgesehen, erklärt Uwe Reutter. Er macht seit sieben Jahren Theaterarbeit am OHG. Die Oberstufenschüler seines Literatur- und Theaterkurses wollten wieder ein Stück aufführen, allerdings nicht mehr in der Theater AG. Reutter wählte mit der Biografie der jüdischen Schauspielerin Lilli Palmer (1914 bis 1986) eine Flüchtlingsgeschichte aus einer anderen Zeit mit dem Ziel, deutlich zu machen, dass Flucht ein Menschheitsthema ist. Die 15 Mitwirkenden setzten den Prosatext „Lilli Palmer. Die preußische Diva“ szenisch um. In der Theater AG wurde die Satire „Beerland“ entwickelt, eine witzige und zugleich nachdenkliche Sicht auf den Wohlstandsstaat. Unterstützung erhielt der Pädagoge bei beiden Projekten von seinen Kollegen Tilo Steinke und Serpil Bozbek.

„Beerland“ ist Deutschland. Schon der Titel macht das amüsante Spiel mit Klischees deutlich. Nicht nur die Vorliebe vieler Bürger für den Gerstensaft wird in „Elektropolis Television“, dem Sender eines erfundenen und Deutschland in allen Bereichen weit überlegenen Landes, genüsslich aufs Korn genommen. Im XXL-Bildschirm auf der Bühne der Aula sitzen Talkgäste und diskutieren Rituale und religiöse Handlungen der Deutschen wie Shoppen, Schulpflicht und Feiern. Die Ansagerinnen Regardis und Maisentis erzählen von der Entstehung des Landes, ein rasendes Reporterteam besucht Fußgängerzonen sowie Schulklassen und die Zuschauer bekommen einen Spiegel vorgehalten, in dem sie durchaus eigene, groteske Verhaltensweisen erkennen. Das begeisterte Publikum spendet viel Beifall.

Im zweiten Stück erfährt das Publikum das Thema Migration am eigenen Leib. Beginnend in der Aula nimmt „Lilli Palmer“ die Besucher mit auf eine Wanderung durch das Schulgebäude und zeigt, dass das Leben der Schauspielerin und Malerin eine einzige Achterbahnfahrt war. Unten im Fahrradkeller ist die Tingeltangel-Zeit in Paris, wohin sie mit 18 Jahren vor den Nazis geflohen war.

Über Treppen und durch Flure geht der Exodus weiter nach London. Dort macht die junge Frau die bittere Erfahrung vieler Asylsuchender, aufs Fremdsein reduziert zu werden. Drei Schauplätze sind dafür im Foyer eingerichtet. Doch Lilli will hoch hinaus, folgt gemeinsam mit ihrem Ehemann Rex Harrison dem Ruf nach Hollywood in den zweiten Stock. Eine Affäre des Gatten bedeutet zunächst das Aus ihrer Hollywoodkarriere. Doch es folgt nahtlos der Erfolg am Broadway in New York. 1954, nach 20 Jahren, kehrt Lilli Palmer schließlich nach Deutschland zurück - in das Land, das für die Ermordung von Millionen Juden, darunter auch Familienangehörige von ihr, verantwortlich ist.

Die Herausforderung, aus dem Prosatext ein Theaterstück zu machen, ist dem engagierten Team gelungen. Es zeichnet sich durch eine große Spielfreude aus. Insbesondere Eda Koyuncu als frühe Lilli Palmer und Ester Tina als reifere Frau sind Glanzpunkte in dem lebendigen Stück mit viel Musik und informativen Texteinspielungen.

Die beiden Stücke werden heute um 17 und um 19 Uhr in der Aula des Otto-Hahn-Gymnasiums aufgeführt.