Klement Tockner setzt sich für den Erhalt der letzten freifließenden Gletscherflüsse ein. Foto: /Luiza Puiu

Klement Tockner ist Süßwasserforscher. Im Interview spricht er über den Wert freifließender Gewässer und warnt vor der Biodiversitätskrise.

Klement Tockner ist Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Seine Forschungsinteressen gelten der Biodiversität und dem nachhaltigen Management von Gewässern. Im Gespräch erklärt er, weshalb Klima- und Umweltschutz nicht identisch sind.

Herr Tockner, halten Sie den Ausbau des Kraftwerks Kaunertal für zeitgemäß?

Wenn wir unseren Planeten Erde so erhalten wollen, dass er weiterhin lebenswert bleibt, ist der Schutz der natürlichen Ressourcen unabdingbar. Erneuerbare Energien tragen vielfach zum Klimaschutz bei, sind aber nicht per se umweltfreundlich. Der ungebremste Ausbau der Wasserkraft gefährdet die biologische Vielfalt in den Flüssen. Bereits jetzt ist eine von drei Arten in unseren Gewässern vom Aussterben bedroht. Dies ist umso beunruhigender, weil wir wissen, dass der Verlust von Biodiversität zumeist unumkehrbar ist und schwerwiegende Folgen für unser Wohlergehen nach sich zieht. Zudem verschlingen Megaprojekte wie der Ausbau des Kraftwerks Kaunertal immense Mittel, die wir dringend bräuchten, um eine naturverträgliche Energiewende zu schaffen.

Welche Umweltschäden verursachen Wasserkraftwerke wie jenes im Kaunertal?

Staumauern zerstückeln die Gewässer, jedes Kraftwerk greift massiv in das hydrologische Regime der Flüsse und Bäche ein. Wertvolle Lebensräume gehen verloren. Außerdem entstehen durch den Schwallbetrieb, d. h. rasch schwankende Abflussmengen, „Todeszonen“ für viele Lebewesen. Stauseen verändern aber auch das Sediment- und Temperaturregime. Werden Kies und Schotter in den Stauseen abgelagert, führt dies flussabwärts zur Eintiefung und sinkendem Grundwasserspiegel.

Weshalb sind die Flüsse Venter Ache und Ötztaler Ache aus Ihrer Sicht besonders schützenswert?

Beide Achen zählen zu den wenigen noch frei fließenden Bächen in den Alpen. Sie sind nicht nur einzigartige Lebensräume, sie dienen auch als Referenzsystem für Renaturierungsprojekte.

Inwieweit haben Großprojekte wie das Kaunertal-Kraftwerk direkte Auswirkungen auf die Downstream-Länder Deutschland, Frankreich und Italien?

Viele der großen Flüsse Europas wie der Rhein, die Donau, der Po und die Rhone entspringen in den Alpen. Dort wird Strom aus Wasserkraft in erster Linie im Winter produziert, während im Sommer die Stauseen aufgefüllt werden. Das kann die Wasserknappheit flussabwärts gerade in den heißen Monaten nochmals verschärfen.

Welche Maßnahmen zum Gewässerschutz erwarten Sie von der Politik?

Intakte Flüsse und Bäche sind Lebensadern. Sie versorgen uns mit Trink und Brauchwasser, schützen uns vor Überschwemmungen und bieten Tieren und Pflanzen Lebensraum. Deshalb hat der Schutz der letzten freifließenden Flüsse höchste Priorität. Gewässer sollten renaturiert, nicht verbaut werden. Im Sinne der Vorsorge für die kommenden Generationen muss verantwortliche Politik die Weichen stellen, damit unsere Fließgewässer ihre Aufgaben auch zukünftig erfüllen können. Und wir müssen jetzt gegensteuern, denn Schutz der Natur bedeutet zugleich Schutz des Menschen.