Die Ensembles agieren im fast ausverkauften Beethovensaal klanglich ausgewogen in einem meist sicheren und genauen Miteinander. Foto: Holger Schneider Quelle: Unbekannt

Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Karge Gregorianik, prachtvoll-festliche Chöre, zart begleiteter, expressiver Sologesang: Claudio Monteverdis Marienvesper bietet ein wahres Füllhorn an unterschiedlichen musikalischen Formen, Formationen, formidablen gestalterischen Ideen. Kurz: Sie eignet sich trefflich für die Eröffnung eines Festivals, das unter dem Motto „Reichtum“ steht. Und sie bietet dem Leiter der Internationalen Bachakademie, Hans-Christoph Rademann, im Eröffnungskonzert des Musikfestes Stuttgart ein vielseitiges Terrain, um erstmals sein neues, auch auf Altem gegründetes Ensemble Gaechinger Cantorey vorzustellen. Es zeigt sich, dass der Chor - schon seit Längerem aufeinander eingesungen - mit dem neuen Orchester auf historischem Instrumentarium, dessen Mitglieder in dieser Zusammensetzung zum ersten Mal auftraten, sehr gut harmonierte. Die Ensembles agieren an diesem Abend im fast ausverkauften Beethovensaal klanglich ausgewogen in einem meist sicheren und genauen Miteinander. Und Rademann stürzt sich mit weicher, schwingender, fordernder Gestik hinein in diesen ganz eigenen und manchmal irritierend modern wirkenden Klangkosmos, der auch viel Meditatives zu bieten hat. Manchmal scheint die Zeit zu still zu stehen, wenn sich Rademann dann doch mehr um die Klangfarben kümmert als um Textverständlichkeit und sanften Fluss. Aber insgesamt hält das musikalische Geschehen das Publikum über die pausenlosen 90 Minuten bei der Stange: die festliche Chor-Polyfonie der Psalmvertonungen mit ihren schwingenden, pendelnden Klangflächen genauso wie die sauber gesungenen einstimmigen Antiphone. Fein gestaltet gelingt das dynamische Aufblühen der Klänge, das Einschwingen in neue Metren, und immer wieder erfreut die satte, saftige Klanglichkeit.

Wunderbare Duette

Es gibt großartige Momente: Etwa das „Sancta Maria“, wenn die Chor-Soprane einzelne Phrasen in das Wechselspiel der Instrumentalisten setzen - die „swingenden“ Violinen gemeinsam mit den Zinken und Posaunen ein luzides Klangnetz spinnen, sich die Bälle unendlich leicht zuwerfen. Das hätte man gerne noch einmal gehört! Überhaupt die Frauenstimmen: Sopranistin Dorothee Mields singt ihre Soli mit instrumentalen Farben in der Stimme, zart verzierend, historisch legitimiert vibratoarm, dennoch von herzergreifender Intensität und Wärme. Wunderbar auch ihre Duette mit der blinden Sopranistin Gerlinde Sämann. Beide Stimmen verbinden sich ideal, geschmeidig und intonatorisch astrein. Ganz so ans Herz geht der Gesang der Solo-Tenöre Georg Poplutz und Jakob Pilgram nicht, sie fügen sich aber - zwar nicht besonders textverständlich, aber ansonsten artikulatorisch doch sehr klar und präzise - harmonisch ins Ganze ein. Wirkungsvoll auch, dass man die lila illuminierte, weite Bühne des Beethovensaals nutzt, um die unterschiedlich besetzten Einzelnummern zu choreografieren. Perfekt einstudiert wechseln die Chorgruppen ihre Positionen, teilen sich nach rechts und links, finden wieder zusammen, positionieren sich Solisten mal nebeneinander, mal gegenüber, mal als Echo auf der Empore.

Dennoch bleibt der Aufführungsort das Defizit des Abends. Nicht nur, weil man sich bei derartiger sakraler Musik, in der man zuweilen Mönche durch dämmrige Gänge huschen hört, doch einen Kirchenraum als „Kulisse“ wünscht. Nein, mit seiner 1610 gedruckten Marienvesper schrieb sich Monteverdi eine genial aussagekräftige Bewerbungsmappe, was ihm drei Jahre später den heiß begehrten Posten als Kapellmeister des Markusdoms in Venedig einbrachte. Die Klanglichkeit solch kathedraler Akustik scheint diese, auf der Schwelle zum Barock stehenden Musik aufsaugen zu wollen.

Im Idealfall setzen Kirchenräume durch ihren wohl dosierten Hall den Klängen noch einmal die Krone auf. Das fehlt im Beethovensaal. Was ein klangliches Vakuum zur Folge hat, das so manche kräftig angegangene Steigerung merkwürdig klein enden lässt - vor allem, was den großen Schlusschor angeht, dessen Energie im Konzertsaal gnadenlos früh verpufft. Ja, die Marienvesper gehört in eine Kirche. Daran ist nicht zu rütteln.