Winfried Kretschmann (Mitte) mit Begleitern auf dem Weg zur Burg Hohenneuffen. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Bettina Grachtrup

Hülben/Beuren -Montagmorgen, kurz nach 9 Uhr in Hülben (Landkreis Reutlingen): Ministerpräsident Winfried Kretschmann rollt in einem Elektroauto vor das Rathaus. Dort warten bereits rund 50 Bürger auf den Regierungschef. Sie spenden ihm spontan Applaus. Die vergangenen Wochen mit der Diskussion um mögliche Fahrverboten in Stuttgart und Stickoxid-Emissionen alter Diesel-Autos sind stressig gewesen für Kretschmann. Nun stehen Termine an, die ganz nach seinem Geschmack sind: mehrere Wanderungen durch Baden-Württemberg.

Kretschmann, ganz leger in grauer Jeans, schnürt seine Wanderschuhe. „Mobilität ist ja gerade ein wichtiges Hauptthema“, sagt er in die Kameras. „Bei allen Diskussionen sollten wir nicht vergessen: am besten ist Laufen.“ Wandern, so sinniert er, verschaffe Überblick und mache den Kopf frei. Beides kann Kretschmann gerade gut gebrauchen. Aber auch mit den Bürgern ins Gespräch kommen will der Landesvater bei seinen Touren bis zu diesem Freitag. „Beim Wandern kann man gut meinander reden und auch philosophieren. Bitte machen Sie das.“

Kretschmann macht keinen Hehl daraus, dass er Fernreisen nicht mag. Beim Wandern aber ist er voll in seinem Element. Es passt in das Bild, das viele Bürger von ihm haben und das seine Strategen von ihm gerne zeichnen: bodenständig, heimatverbunden, ein Naturliebhaber. Die Bundestagswahl soll bei der Wandertour zwar offiziell kein Thema sein. Klar ist aber, dass es auch am starken baden-württembergischen Landesverband liegen wird, ob die Grünen am 24. September ihr angestrebtes zweistelliges Zweitstimmenergebnis im Bund erreichen. Derzeit liegen die Umfragewerte noch bei mauen acht Prozent.

Der Wandertross stoppt nach ein paar Kilometern bei einem Hof. Dort wurde in der vergangenen Nacht ein Kälbchen geboren. Ob man es nach seiner Ehefrau Gerlinde benennen dürfe? Kretschmann nickt. Bäuerin Christa Scheu, die noch die Flasche mit dem Nuckel für das Kalb in der Hand hält, klagt über die niedrigen Milchpreise. 60 Milchkühle hat der Hof - und komme damit kaum über die Runden. Während der Wanderung kommt dann eine Mutter von zwei kleinen Kindern auf Kretschmann zu. Sie meint, die Gemeinschaftsschule werde weder den stärksten noch den schwächsten Schülern gerecht. Kretschmann bestreitet das. „Die Gemeinschaftsschule hat ein System der individuellen Förderung.“

Der Tross macht Halt am Heidengraben. Rund 10 000 Kelten sollen hier im ersten Jahrhundert vor Christus gelebt haben. Kommunalpolitiker bitten Kretschmann um Geld vom Land für Grabungen und um das frühere Geschehen hier für die Nachwelt dokumentieren zu können. Richtige Begeisterung ist beim früheren Lehrer und Biologen Kretschmann aber erst zu spüren, als er am Wegesrand eine kleine Waldmeisterpflanze entdeckt. „Warum duftet Waldmeister nicht?“, fragt er in die Runde. „Der muss erst welken, damit er riecht“, erklärt er und freut sich sichtlich über die erstaunten Gesichter der Mitwanderer.

Kurz vor der Burgruine Hohenneuffen wird der Regierungschef dann doch noch vom Auto-Thema eingeholt. Mitwanderer Peter Bering arbeitet bei einem Automobilzulieferer und fährt seit drei Jahren privat ein Elektroauto mit einer Reichweite von 130 bis 160 Kilometern. „Es ist unser einziges Familienauto, und es funktioniert immer besser“, sagt er mit Blick auf die Verteilung der Schnellladesäulen im Land. Im Gegensatz zu Kretschmann hält Bering es für gut, dass die Grünen mit dem Jahr 2030 ein klares Datum gesetzt haben, ab dem nur noch abgasfreie Autos in Deutschland neu zugelassen werden sollen.

„Die Industrie braucht eine klare Leitplanke, damit sie weiß, in welche Richtung sie jetzt investieren soll“, argumentiert Bering und widerspricht damit Kretschmann. Es entspinnt sich eine längere, kontroverse Debatte zwischen den beiden. Die Regierungszentrale will das dann lieber als rein privates Gespräch verstanden wissen.