Michael Stülpnagel (links) und Johannes Weigle wollen mit ihren literarisch-musikalischen Inszenierungen das „Kino im Kopf“ inspirieren. Foto: FMS Photography - FMS Photography

Als Traditionskino hat die Scala am Esslinger Charlottenplatz ausgedient – als attraktiver Ort für unterschiedlichste Kulturveranstaltungen hat das Haus großes Potenzial.

EsslingenFast 80 Jahre sind vergangen, seit sich in der Scala am Esslinger Charlottenplatz zum ersten Mal der Vorhang hob: 894 Plätze zählte das Filmtheater in seinen besten Zeiten, Stars wie Zarah Leander, Götz George oder Romy und Magda Schneider schritten dort bei glanzvollen Premieren über den roten Teppich. Doch das ist lang vorbei: Ende der 90er-Jahre gingen in der Scala die Lichter aus. Eine Zeit lang stand das Kino leer, doch vor gut zehn Jahren hauchte Angelika Goll, eine Tochter des Gründers Friedrich Sieger, der Scala wieder Leben ein. Mit großem Aufwand wurde das einstige Lichtspielhaus auf Vordermann gebracht – der frühere Kinosaal wurde zum multifunktionalen Veranstaltungsort. Aller Anfang war schwer, doch nun ist das Traditionshaus auf einem guten Weg: Seit zwei Jahren präsentieren der Schauspieler Michael Stülpnagel und der Musiker Johannes Weigle als Duo Phantasma „Kultur im Kino“. Das Konzept kommt beim Publikum so gut an, dass daraus eine dauerhafte Institution werden soll. Das sieht auch die Stadt so, die Stülpnagels und Weigles Projekt zwei Jahre lang mit jeweils 4000 Euro aus den Töpfen der Kulturförderung unterstützen wird.

Die Esslinger Theaterszene hat ganz unterschiedliche Facetten. Mit der Scala und ihren unverwechselbaren Programmen hat sie eine weitere hinzugewonnen, die nach Einschätzung der beiden Macher perfekt in diese Zeit passt – als wohltuender Kontrapunkt zu all den lauten, kunterbunten, immer noch effektvolleren und spektakuläreren Angeboten der Unterhaltungskultur. „Wir wollen erlebte Literatur bieten und haben in Esslingen und weit darüber hinaus ein Publikum gefunden, das unser Konzept zu schätzen weiß“, sagt Stülpnagel. „Es ist ein faszinierendes Gemeinschaftserlebnis, zuzuhören und mit anderen in eine Fantasiewelt einzutauchen, die jeder in seinem Kopf auf seine Weise ausgestaltet. Unsere Worte und unsere Musik wollen das Kino im Kopf inspirieren, und dazu passt ein Ort wie die Scala ganz perfekt.“

Stülpnagel bemüht sich bei der Programmgestaltung um ein klares Profil: „Die Leute müssen wissen, was sie in der Scala erwartet – und sie müssen sicher sein können, dass wir für Qualität stehen.“ Das gilt nicht nur für das Duo Phantasma: Das Ensemble Worton ist mehrfach mit seiner Produktion „Eine Liebe in Briefen“ in der Scala zu Gast, um an Russlands berühmtestes Künstlerpaar zu erinnern – den Schriftsteller Anton Tschechow und die Schauspielerin Olga Knipper. Abgerundet wird das Repertoire der Reihe „Kultur im Kino“ von der Schauspielerin Andrea Hancke und der Musikerin Petra Kruse, die unter dem Titel „Selma“ Gedichte der jüdischen Schriftstellerin Selma Meerbaum-Eisinger zum Leuchten bringen.

Mit Alessandro Bariccos „Novecento“, jener fantasievollen Legende vom Ozeanpianisten, hat 2017 alles angefangen. Im vergangenen Jahr brachten Weigle und Stülpnagel dann Antonio Skármetas Welterfolg „Mit brennender Geduld“ auf die Bühne. Nun folgt am 20. Januar die Premiere der dritten Inszenierung: Diesmal ist es Bariccos geheimnisvolle Liebesgeschichte „Seide“, über die Michael Stülpnagel sagt: „In einer glasklaren und eleganten Prosa erzählt der italienische Autor eine poetische Parabel vom Glück, seiner Unerreichbarkeit und von der Macht der Sehnsucht.“

So unterschiedlich diese Werke auch sein mögen, so unverwechselbar ist die Handschrift, in der sie vom Duo Phantasma präsentiert werden. Michael Stülpnagel, der nicht nur Schauspieler, sondern auch ein versierter Sprechtrainer ist, interpretiert die Texte auf seine ganz eigene Weise: Ausdrucksstark und facettenreich lotet er die Bandbreite der Stimmungen aus, die in den literarischen Vorlagen angelegt sind. Dazu kreiert Johannes Weigle, der seine musikalische Vielseitigkeit auch solo und in anderen Ensembles beweist, einen Soundtrack, der die Wirkung der Texte noch intensiver herauszuarbeiten hilft. „So sprechen Worte und Musik für sich“, erklären die Künstler. „Klar und kraftvoll gelangen sie übers Ohr zur Seele – als beste Nahrung für die Fantasie.“

Das Duo Phantasma feiert am Sonntag, 20. Januar, um 17.30 Uhr in der Scala am Esslinger Charlottenplatz die Premiere seiner Inszenierung von Alessandro Bariccos „Seide“, einer hauchzarten und geheimnisvollen Liebesgeschichte.