Wut und Resignation von Jimmy Porter (Andreas Hessling) vergiften das Leben von Ehefrau Alison (Laura Pletzer). Foto: Sabine Haymann Quelle: Unbekannt

Von Maria Krell

Stuttgart - Jimmy Porter ist wütend. Wütend über die gesellschaftlichen Zustände, die als gegeben hingenommen werden, wütend über die herrschenden Klassen, wütend über die Hilflosigkeit und Resignation der unteren Gesellschaftsschichten. Und so sitzt der junge Student ruhelos auf einem weißen Plastikstuhl in seinem kleinen Zimmer und blickt gehetzt zwischen seiner Frau Alison und seinem Freund Cliff hin- und her. Mal brüllt er zornige Tiraden, mal stichelt er mit ruhiger, schneidender Stimme gehässige Provokationen, adressiert an seine Frau. Die kommt nämlich aus der gehobenen Mittelschicht und wird so für ihn zum Inbegriff des unmoralischen und arroganten Establishments.

Der Regisseur Martin König hat mit „Blick zurück im Zorn“ von John Osborn ein Stück auf die Bühne des Stuttgarter Theaters der Altstadt gebracht, das vor dem Hintergrund der aktuellen weltpolitischen Entwicklungen neue Brisanz gewinnt. Das 1956 uraufgeführte Wut-Werk stellt nicht nur schlüsselbildlich den Zorn auf die britische Klassengesellschaft der 50er-Jahre dar, es prägte auch das Schlagwort „Angry Young Men“ (Zornige junge Männer).

Dem schier grenzenlosen Zorn des jungen Mannes gibt Andreas Hessling in der Rolle des Jimmy Porter ein überzeugendes Gesicht. Schnaubend, schäumend und schreiend tobt er sich durch das Zimmer - stets glaubwürdig, nie ins Übertriebene abgleitend.

Die Enge des Systems, gegen die Jimmy ankämpft, hat Hannes Hartmann ins Bühnenbild übersetzt. Auf engstem Raum sind alle Habseligkeiten des Paares untergebracht: eine Badewanne in der Ecke, ein Esstisch, Stühle, ein ausziehbares Bett und Kisten. Die Kostüme von Leonie Mohr holen das Stück in die Gegenwart.

Verzweifelt sucht Jimmy nach einer guten, höheren Sache, nach „begeisterter Aufrichtigkeit“, auf die er seine Leidenschaft und romantischen Vorstellungen richten kann. In Wut und Resignation fixiert er sich indes auf seine junge Ehefrau Alison, die für ihn mehr und mehr zum Ventil seines Zorns wird: Als „militant, arrogant und voller Bosheit“ beschimpft er Alisons Familie, schwärmt von der verflossenen Liebe zu einer anderen Frau, spricht von Alison als lieblosem, lethargischem „Monument der Gleichgültigkeit“. Doch gleichgültig ist Alison, gespielt von Laura Pletzer, nicht. Während ihr Mann sie beschimpft, bügelt sie, ihm den Rücken zugewandt, scheinbar unbeteiligt weiter. Ihr Blick, die zusammengekniffen Lippen, die gerunzelte Stirn zeigen aber: Die junge Frau leidet. Sie reißt sich um des Friedens Willen, nach dem sie sich so sehr sehnt, zusammen. Lieber schweigt und erduldet sie, statt ihren cholerischen Mann durch Widerspruch in Rage zu bringen. Alison verkörpert das Gegenbild zu Jimmy: Ruhig und beherrscht sucht sie nach Frieden, wo ihm nach Kampf zumute ist. Dass es aber nicht nur Hass ist, den Jimmy für seine Frau empfindet, zeigt sich, als sie nach einer kurzen Trennung emotional gebrochen doch wieder zu ihm zurückkehrt. Dann wirkt der Tyrann plötzlich ruhig, besorgt, fast verletzlich.

Zwischen den Beiden steht Cliff (Maxim Agné), der versucht, Alison zu trösten und Jimmy zu beruhigen. Cliff ist wie Jimmy ein Kind der Arbeiterschicht. Aber anders als dieser ist er naiv, gutherzig und loyal. Immer wieder lenkt er Jimmy ab, beruhigt ihn dann sogar. Alle drei scheinen dann kurz verschnaufen zu können, die Lage entspannt sich. Doch der nächste Ausbruch ist gewiss. So gelingt es den Schauspielern bis zum Ende, das Publikum in einem Zustand dauerhafter Anspannung zu halten, in ständiger Erwartung des nächsten Wutanfalls.

Doch Jimmy ist eben nicht nur ein Tobsüchtiger, der aus Wut eine Obsession gemacht hat. Osborns Charaktere sind komplexer gezeichnet. So erfährt das Publikum von Jimmys eigener, tragischer Vergangenheit, die früh den Keim des Zorns in den Jungen gepflanzt hat. Eine neue Dynamik setzt ein, als die schwangere Alison Jimmy verlässt und zu ihrem Vater (Udo Rau) flüchtet. In ihrer Abwesenheit beginnt die selbstbewusste Helena (Bernadette Hug), Alisons Freundin und eigentlich Hassobjekt Jimmys, eine Affäre mit ihm.

Die hervorragende Inszenierung hinterlässt - mit Blick auf aktuelle Entwicklungen - einen gezielt bitteren Beigeschmack: Die rasende Wut eines eigentlich klugen Mannes auf Gesellschaft und Establishment vergiftet letztlich alles und jeden um ihn herum.

Die nächsten Vorstellungen: heute und morgen sowie täglich vom 1. bis zum 11. Juni.