Nicht witzig: Yavuz Köroglu als Känguru, Roman Roth als Kleinkünstler. Foto: Regina Brocke Quelle: Unbekannt

Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Dieses Känguru hat längst Kultstatus: Es ist Kommunist, kann sprechen, haut Neonazis die Nasen blutig, sprüht antikapitalistische Slogans an die Wand, pöbelt in der U-Bahn, hört Nirvana. In seinem Arbeitszeugnis steht als einzige „positive“ Bewertung: „Hat durch seine Geselligkeit zur Verbesserung des Betriebsklimas beigetragen.“ Außerdem liebt es falschzugeordnete Zitate: „Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten.“ - Heidi Klum. „Ozapft is!“ - Graf Dracula. „Leiht mir euer Ohr!“ - Vincent van Gogh.

Mit diesem Känguru, das sich bei einem „Kleinkünstler mit Migränehintergrund“ einnistet und mit ihm zusammen auf politisch unkorrekte Weise die Mitmenschen durcheinanderbringt, hat Marc-Uwe Kling, Autor und Star der Poetry-Slam-Szene, einen Coup gelandet. Die Figur entwickelte der Kabarettist zunächst in einer Radio-Comedy-Serie. Die daraus gewonnenen humoristischen Kurzgeschichten veröffentlichte er in drei Bänden, der „Känguru-Trilogie“, die auch als Hörbücher zu Bestsellern wurden.

Seitenhieb aufs epische Theater

Weil Marc-Uwe Kling ein guter Selbstvermarkter ist, hat er aus dem ersten Band, den „Känguru-Chroniken“, ein paar Geschichtchen ausgewählt und daraus ein Theaterstück zusammengeklebt. Und dieses Stück hat jetzt Werner Schretzmeier im Stuttgarter Theaterhaus auf die Bühne gebracht.

Gespielt wird auf karger Bühne, die Gudrun Schretzmeier entworfen hat. Als Bühnenhintergrund dient eine unverputzte Mauer, in der sich immer wieder Klappen aufschieben, durch die Dinge gereicht werden oder Köpfe gucken: eine Worthülsen blubbernde Radiomoderatorin etwa oder ein gestrenger Herr, der zusammenfassend die nächste Szene vorwegnimmt - ein kleiner Seitenhieb aufs epische Theater Brechts und sehr präzise und komisch gespielt von Stephan Moos, der auch als Polizist oder Hooligan eine Menge Lacher einheimsen kann.

Knackpunkt des Abends

Mehr als ein orangenes Sofa für die Therapiestunde oder einen Liegestuhl zum Draufrumlümmeln braucht das sechsköpfige Ensemble zum Spielen nicht. Roman Roth als Kleinkünstler, das Alter Ego Klings, darf auch singen: „Ich weiß noch nicht, was ich mal werden will, es gibt so viele interessante Sachen!“, grölt er klampfend ins Mikro, „Ich weiß nur: Ich will auf jeden Fall was ohne Menschen machen!“ Roth spielt den Kleinkünstler so nett und sympathisch, wie auch Kling als Kabarettist gewöhnlich rüberkommt.

Einen Charakter entwickeln? Ist ja eher ein Sitcom-Abend. Die Frage, warum der namenlose Kleinkünstler das hemmungslos schnorrende und grenzüberschreitende Känguru bei sich in der Wohnung aufnimmt und sich willenlos ausnutzen lässt, bleibt deshalb ohne Belang. Wie auch die Vorlage besteht das Stück aus kurzen, lose aneinandergereihten Sketchen. Lustig, nett, unterhaltsam, aber harmlos. Knackpunkt des Abends also: Ist die Theaterversion genauso witzig wie das Original?

Alles steht und fällt mit dem Känguru. Und das ist schnell klar: Worüber man beim Lesen rätseln darf, ob das knitze Beuteltier echt oder bloß ein Hirngespinst seines Domizilgebers ist, das macht den Reiz aus: Sich vorzustellen, wie es wohl aussieht, wie es sich bewegt, wie es spricht. Das geht im Theater verloren. Da wird einem ein Bild vorgesetzt. Und das tötet in diesem Fall die Komik. Vor allem, weil unklar bleibt, welche Haltung der Schauspieler Yavuz Köroglu zu seiner Rolle einnimmt. Das Kostüm sieht ziemlich albern aus: Ein brauner, schlaff sitzender Kunstfellganzkörperanzug mit Beutel, langen Ohren und noch längerem Schwanz; die Nase und die Fingernägel sind schwarz angemalt.

Spielt Köroglu ein Känguru? Nichts deutet körperlich darauf hin. Spielt er einen Mann, der ein Känguru spielt? Nö. Spielt er einen Mann, der ein Kängurukostüm trägt, dies aber nicht wirklich gerne tut? Schon eher. Auf jeden Fall spielt er das Känguru als ungeheuer faules, auf allen Ebenen völlig phlegmatisches Wesen. Und das ist doch ein Missverständnis der Rolle. Obwohl es sich durchs Leben schnorrt und sich jeder Festanstellung verweigert, sich gerne - Schnapspralinen futternd - im Liegestuhl fläzt, ist das Känguru auf der anderen Seite doch sehr aktiv und steht immer unter politischem Hochdruck. Und weil dem Köroglu-Känguru genau diese Spannung zwischen Hyperaktivität und Phlegma völlig abgeht, ist es überhaupt nicht witzig.

„Dämliches Kostüm“

Fazit: Die „Känguru-Chroniken“ eignen sich nicht fürs Theater. Das weiß der Autor auch selbst. Er hat nämlich vorsichtshalber eine Metaebene ins Stück eingebaut, lässt den Kleinkünstler aus seiner Rolle heraustreten: „Hier spricht der Geist von Marc-Uwe Kling! Ich bin gefangen im Körper dieses mittelmäßigen Schauspielers, helfen Sie mir!“ Und als es um die Darstellung seines Beuteltierkumpels geht: „Dann stecken wir eben irgendeinen bühnengeilen Idioten in ein dämliches Kostüm.“ Tja, wenn Theater so einfach wäre!

Weitere Vorstellungen: Mittwoch, 24. Mai, 20 Uhr; Donnerstag, 25. Mai, 19.45 Uhr; Freitag, 26. Mai., 20 Uhr; Freitag, 9. Juni, 20.30 Uhr; Samstag, 10. Juni, 20.30 Uhr; Sonntag, 11. Juni, 19.30 Uhr; Freitag, 30. Juni, 20.30 Uhr; Freitag, 28. Juli, 20.15 Uhr; Samstag, 29. Juli, 20.15 Uhr; Sonntag, 30. Juli, 19.30 Uhr.