Der Angeklagte (rechts) und sein Verteidiger kurz vor Beginn der Verhandlung. Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Wegen übler Nachrede musste sich am Dienstag ein Mann aus Ebersbach vor dem Esslinger Amtsgericht verantworten. Er hatte auf Facebook einen Post geteilt, der einen unschuldigen Mann als den Amokfahrer von Münster dargestellt hatte.

EsslingenMit einer Verwarnung unter Vorbehalt einer Geldstrafe ist am Dienstag ein in Ebersbach lebender AfD-Politiker davongekommen. Der 1978 geborene Sandro Scheer hatte sich wegen des Vorwurfs der üblen Nachrede vor dem Esslinger Amtsgericht verantworten müssen. Scheer hatte im April 2018 – kurz nach der Amokfahrt in Münster – auf Facebook ein Bild eines Mannes aus Münster mit iranischen Wurzeln gepostet, das mit folgendem Text überschrieben war: „Das ist nun also Jens R. Deutscher. [sic!] Ich erinnere mich noch sehr gut an Anis Amri. Da war auch mehrere Tage ein polnischer LKW Fahrer der Täter hätte [sic!] man den Verantwortlichen geglaubt.“

Der Münsteraner auf dem Bild hatte mit dem erweiterten Suizid im April 2018 nichts zu tun. Auf Bildern, die auf Facebook kursierten, wurde er jedoch als Täter hingestellt. Grund dafür ist wohl ein Screenshot von einer Sendung des österreichischen Senders Ö24, der den Münsteraner, der in Wien lebt, als Ortskundigen zu der Amokfahrt befragt und während des Beitrags ein Foto des Mannes eingeblendet hatte. Dieser Screenshot wurde aus dem Zusammenhang gerissen, und aufgrund seines südländischen Aussehens wurde der Münsteraner fortan als Attentäter betitelt. Der Angeklagte will das Bild von der Facebook-Seite eines ihm bekannten AfD-Politikers übernommen und mit einem eigenen Text überschrieben haben.

Scheer, der zur Tatzeit in Wernau wohnte, beteuerte vor Gericht seine Reue. „Ich war einfach zu schnell mit dem Posten. Ich bin ja in gewisser Weise selbst ein Opfer, weil ich den Leuten geglaubt habe, von denen ich das Bild übernommen habe.“

Sein Mandant stehe zu Unrecht vor Gericht, sagte Scheers Verteidiger Dubravko Mandic zu Beginn der Verhandlung. Das Gesetz sehe vor, dass in einem Fall wie dem vorliegenden auf den Privatklageweg verwiesen wird. Er warf dem Gericht vor, aufgrund der Parteizugehörigkeit seines Mandanten eine Ausnahme zu machen. „Wenn uns jemand als Nazischwein bezeichnet, landet der Fall nicht gleich vor Gericht“, sagte er. „Es gibt keine andere Partei oder Gruppierung, die man wegen so etwas vor den Amtsrichter zerrt.“

Tatsächlich hatten der Angeklagte und sein Verteidiger versucht, den Konflikt mit einem Täter-Opfer-Ausgleich außergerichtlich beizulegen. Im Januar 2019 lehnte das Opfer dies allerdings mit der Begründung ab, dass er es nicht einsehe, sich mit einem Mann an einen Tisch zu setzen, der sein politisches Amt gebrauche, um Lügen zu verbreiten. Da auch eine Einstellung des Verfahrens für den Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht infrage kam, bat der Vorsitzende Richter und Amtsgerichtsdirektor Andreas Arndt den Angeklagten, den Tathergang in seinen eigenen Worten zu schildern. „An dem Tag, als der Anschlag passiert ist, ging auf den Kanälen, die mir Facebook einspielt, mehrfach das Bild eines Mannes ein, der als der Attentäter bezeichnet wurde“, so Scheer. Schließlich habe er den Post auch bei zwei Männern gesehen, die er persönlich kenne und denen er vertraue. „Auf dem Bild stand auch Ö24, da bin ich davon ausgegangen, dass das stimmt.“ Daraufhin habe er das Bild des Mannes aus Münster mit der oben genannten Überschrift auch auf seinem Facebook-Profil eingestellt. „Das wurde auch viel geteilt und kommentiert“, sagte er. Noch am selben Tag sei der Post auf Scheers Seite von Facebook gelöscht worden. „Weil es als Fake News gemeldet worden war“, wie Scheer sagte.

Später sei Scheer dann von einer Zeitung angerufen worden. „Die fragten, warum ich solche Sachen verbreite. Am nächsten Tag war dann ein Bericht drin über schwere rechte Hetze“, berichtete er. Über die Zeitung habe Scheer dann den Namen des Münsteraners herausgefunden, der auf dem Facebook-Bild zu sehen gewesen war. „Ich hatte den Namen und wusste, er ist aus Münster“, so Scheer. „Ich habe dann versucht, Kontakt aufzunehmen, und habe mit der Mutter des Geschädigten telefoniert.“ In einem 40-minütigen Gespräch habe sich Scheer bei der Frau entschuldigt. „Das war sehr emotional, sie hat auch geschimpft“, sagte Scheer. Schließlich sei ausgemacht worden, dass man sich treffen wolle. „Ich war sowieso zum Katholikentag in Münster eingeladen, da habe ich dann die Adresse der Familie aus dem Telefonbuch rausgesucht und bin hingegangen.“ Scheer habe auch Blumen und eine Entschuldigungskarte an die Familie geschickt. „Es ist mir aber nicht gelungen, das Opfer selbst zu erreichen.“

Diese Bemühungen, seine Tat wiedergutzumachen, rechnete der Richter Scheer hoch an. „Dieser Fall zeichnet sich durch zwei Dinge aus“, sagte Arndt. „Erstens: Man ist für seine Äußerungen verantwortlich und hat dafür geradezustehen, wenn man etwas Falsches behauptet hat. Auf der anderen Seite haben Sie sich um Wiedergutmachung bemüht. Ein Blumenstrauß ist schnell verschickt, aber die 40-minütige Diskussion, die Sie mit der Mutter geführt haben, drückt eher Bedauern aus.“

Eben dieses Bedauern war auch ausschlaggebend für das Strafmaß, das der Vertreter der Staatsanwaltschaft in seinem Plädoyer forderte. „Auf üble Nachrede stehen eigentlich zwei Jahre Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe“, sagte er. „Zu Ihren Gunsten wirkt sich aus, dass Sie erhebliche Bemühungen angestellt haben, um den Schaden zu beheben. In Anbetracht der Tatsache, dass Sie nicht vorbestraft sind und die Tat schon relativ weit zurückliegt, halte ich abweichend vom Strafbefehl eine Verwarnung mit Vorbehalt einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 60 Euro für ausreichend.“

Scheers Verteidiger forderte einen Freispruch. „Er hatte das amtliche Siegel von Ö24, das auf dem Bild zu sehen war. Er kam gar nicht dazu, das zu hinterfragen. Sie müssen das heute mit Ihrem Gewissen vereinbaren, wenn Sie diesen treuen Bürger strafrechtlich verurteilen“, beschwor Mandic den Richter. „Ich glaube, das können Sie nicht.“

Das Urteil des Richters spiegelte schließlich wider, was der Staatsanwalt schon gefordert hatte. Wegen übler Nachrede wird Sandro Scheer mit Vorbehalt einer Geldstrafe verwarnt. „Wenn Sie innerhalb eines Jahres straffällig werden, kann es sein, dass die Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 60 Euro wirksam wird“, erklärte Richter Arndt. Scheer hat nun die Möglichkeiten der Berufung sowie der Revision.

Am Samstag, 7. April 2018, war in Münster in Nordrhein-Westfalen ein Mann mit einem Camping-Bulli auf dem Platz am Kiepenkerl-Denkmal in eine Gruppe von Menschen gerast. Vier Menschen starben, mehr als 20 wurden verletzt. Der Fahrer erschoss sich anschließend selbst. Nach der Tat beteiligten sich viele Personen des öffentlichen Lebens sowie zahlreiche Medienvertreter an Spekulationen über die Identität und die Beweggründe des Mannes. In Fernsehberichten wurde über zwei geflohene Täter und angebliche Sprengsätze sowie über erfolgte Bombenentschärfungen berichtet. Kommentatoren stellten auch Bezüge zur Flüchtlingskrise her. Auch Bundestagsabgeordnete der AfD verdächtigten vor ersten Ermittlungsergebnissen öffentlich islamistische Terroristen oder Flüchtlinge als Täter – beispielsweise auf Twitter und Facebook. All diese Behauptungen stellten sich bald als Falschmeldungen heraus. Die Polizei schloss nach Ermittlungen einen politischen oder extremistischen Hintergrund aus. Die Tat gilt als erweiterter Suizid. Der Täter, ein deutscher Staatsangehöriger, litt offenbar unter psychischen Problemen.