Rhabarber, Radieschen und Porree vom eigenen Acker sind frei zu haben, steht auf den Plakaten. Gemüse aus eigenem Anbau hat viele Menschen in der Nachkriegszeit zumindest halbwegs satt gemacht. Fotos: Sammlung Michael-Andreas Wahle Quelle: Unbekannt

Von Elisabeth Maier

An die erste Orange, die er gegessen hat, erinnert sich Wolfgang Haug noch gut. „Die haben amerikanische Soldaten im Jahr 1946 von einem Lastwagen geworfen.“ Damals war der Schüler völlig überrascht von dem ihm noch unbekannten Geschmack der saftigen Südfrucht, die heute das ganze Jahr in jedem Supermarkt zu finden ist. Heute ist Haug Rentner und ehrenamtlicher Leiter des Stadtmuseums in Echterdingen. Gemeinsam mit Jürgen Helmbrecht vom Stadtarchiv hat er die neue Ausstellung „Kindheit in der Nachkriegszeit 1945 bis 1955“ konzipiert.

Im Mittelpunkt stehen Nachkriegsbilder aus der Sammlung des Hattersheimers Michael-Andreas Wahle. Die Echterdinger Ausstellungsmacher haben die Schau aber um Exponate aus Leinfelden-Echterdingen und um Fotos aus dem Stadtarchiv erweitert. Selbstgestrickte Unterhosen, Waschzuber, eine Teedose aus einem Care-Paket der Amerikaner und ein Tipp-Kick-Spiel sind in den Vitrinen des Stadtmuseums in der Hauptstraße 79 ausgestellt.

Im oberen Stockwerk hängen Fotos vom Ferienlager an der Schlösslesmühle im Siebenmühlental. Bei dieser kirchlichen Freizeit erlebten die Kinder aus Leinfelden und Echterdingen unbeschwerte Stunden. „So konnten sie die Schrecken des Kriegs vergessen“, erinnert sich Haug. Sie hätten als Kinder mit Ästen und Steinen gespielt, denn die wenigsten Familien hatten Geld für Spielsachen.

Bewusst hat sich der Museumsleiter bei der Auswahl der Alltagsgegenstände auf eine kleine Anzahl beschränkt. „Die Bilder von hungrigen Kindern und vom Kampf der Menschen um ihre Existenz sprechen für sich“, sagt Wolfgang Haug. Die müsse man auf sich wirken lassen. „Dafür sollen sich die Betrachter Zeit nehmen, die Not und den Schrecken wahrnehmen.“ Bilder von kranken Kindern, die völlig abgemagert sind, hat Michael-Andreas Wahle ebenso in seiner Fotosammlung wie kleine Mädchen, die sich herzlich über den Inhalt eines Care-Pakets freuen. Und es sind auch Spiele, Puppenhäuser und Kasperlefiguren in den Vitrinen des Museums zu finden.

Die Karten eines Schwarzer-Peter-Spiels hat Annette Kögler vom Spielkartenmuseum in Leinfelden-Echterdingen zu der Nachkriegsschau beigesteuert. Das Spiel habe sie von einer Stuttgarterin bekommen, die jede einzelne Karte mit ihrer Schwester gesammelt hat. „Die gab es damals im Fett einer ganz bestimmten Marke“, erinnert sich die Museumschefin. Da hätten die Mädchen ihre Mutter gelöchert, nur dieses bestimmte Produkt zu kaufen, damit sie ihr komplettes Kartenspiel zusammenbekamen. Das habe schließlich geklappt.

Einige Stunden Spaß zu haben und nicht an die harten Lebensbedingungen zu denken, ist für die Kinder wichtig gewesen, weiß Hans Huber. Der Mediziner hat in den Nachkriegsjahren bereits in Heidelberg studiert. „In den Städten war die Not noch größer als bei uns auf den Fildern“, erinnert sich der Arzt und langjährige Stadtrat. Die Nachkriegsjahre fand er noch härter als die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Wenn es nichts mehr zu essen gegeben habe, seien die Leute einfach in den Wald gegangen, um Beeren, Bärlauch oder Pilze zu finden. Zwischen den Trümmerfeldern hätten sich viele einen kleinen Garten angelegt, um sich mit Gemüse zu versorgen. „Da waren gerade die Heimatvertriebenen vorbildlich“, findet Huber. An die Hilfsaktionen der Amerikaner erinnert sich Huber gut. Als junger Medizinstudent habe er in Heidelberg an der sogenannten Hoover-Speisung teilgenommen. Der ehemalige US-Präsident habe nach dem Krieg Spenden gesammelt, um deutschen Kindern und Jugendlichen ein warmes Essen zu ermöglichen. „Da gab es Reisbrei und Haferschleim, den wir Elefantenrotz nannten“, erinnert sich Wolfgang Haug.

Das Haus der Familie Haug in Echterdingen ist völlig zerstört worden. Oft hätten er und sein Bruder Steine klopfen und nach der Schule arbeiten müssen, „damit der Vater uns wieder eine Bleibe aufbauen konnte“. Das sei Kinderarbeit gewesen, „aber wir haben das gerne gemacht, weil das für uns einfach zum Alltag gehörte“. Im Museum ist eine Unterhose zu sehen, die Haugs Ehefrau als Achtjährige für ihre jüngere Schwester gestrickt hat. „So haben wir Kinder die Familien unterstützt.“

Lebendig schilderten Haug und Huber im Gespräch mit der Presse, wie sie die Nachkriegsjahre erlebt haben. Gespräche mit Zeitzeugen sollen nach den Worten von Jürgen Helmbrecht, der im Stadtarchiv arbeitet, ein wichtiger Teil des Rahmenprogramms sein. Zur Ausstellungseröffnung am Sonntag berichten Zeitzeugen über das Zeltlager an der Schlösslesmühle. Tom Martin und Bert Boll spielen US-amerikanische Rhythmen der 50er-Jahre.

Öffnungszeiten des Stadtmuseums in Echterdingen, Hauptstraße 79, sind sonntags von 10.30 bis 12.30 und 14.30 bis 17.30 Uhr. Die Schau ist bis 24. Juli zu sehen.

Begleitprogramm der Ausstellung

Öffentliche Führungen: An den Sonntagen, 24. April und 24. Juli, werden die Besucher der Ausstellung jeweils um 15 Uhr fachkundig durch die Räume im Echterdinger Stadtmuseum geführt.

Gespräche mit Zeitzeugen: Menschen, die die Nachkriegszeit in Leinfelden-Echterdingen erlebt haben, binden die Macher ein. Am Mittwoch, 13. Juli, 19 Uhr, schildern Zeitzeugen ihre Erinnerungen.

Spiele in der Nachkriegszeit: Am Sonntag, 22. Mai, gibt es zum Internationalen Museumstag ab 10.30 Uhr Mitmachspiele aus den 50er-Jahren. Der Stadtjugendring organisiert diese Veranstaltung mit.